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Nimm an, ich kenne ihn als einen ehrlichen Menschen; er gibt, wie ich es beschrieben habe, ein Rot durch ein Blaugrün wieder—aber nun ''nicht'' den gleichen Ton immer durch den gleichen, sondern einmal durch einen, einmal durch einen andern Ton.—Soll ich sagen "Ich weiß nicht, was er macht"?—Er macht, was ich sehe—aber ''ich'' würde es nie tun; ich weiß nicht, warum er es tut; seine Handlungsweise 'ist mir unverständlich'.
Nimm an, ich kenne ihn als einen ehrlichen Menschen; er gibt, wie ich es beschrieben habe, ein Rot durch ein Blaugrün wieder—aber nun ''nicht'' den gleichen Ton immer durch den gleichen, sondern einmal durch einen, einmal durch einen andern Ton.—Soll ich sagen "Ich weiß nicht, was er macht"?—Er macht, was ich sehe—aber ''ich'' würde es nie tun; ich weiß nicht, warum er es tut; seine Handlungsweise 'ist mir unverständlich'.


{{ParZ|317}} Man könnte sich ein negatives Bildnis denken, das ist cines, das darstellen ''soll'', wie Herr N. ''nicht'' aussieht (das also ein schlechtes Porträt ist, wenn es dem Herrn N. ähnlich sieht).
{{ParZ|317}} Man könnte sich ein negatives Bildnis denken, das ist eines, das darstellen ''soll'', wie Herr N. ''nicht'' aussieht (das also ein schlechtes Porträt ist, wenn es dem Herrn N. ähnlich sieht).


{{ParZ|318}} Ich kann nicht beschreiben, wie eine Regel (allgemein) zu verwenden ist, als indem ich dich ''lehre'', ''abrichte'', eine Regel zu verwenden.
{{ParZ|318}} Ich kann nicht beschreiben, wie eine Regel (allgemein) zu verwenden ist, als indem ich dich ''lehre'', ''abrichte'', eine Regel zu verwenden.
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{{ParZ|324}} Lernt das Kind nur sprechen oder auch denken? Lernt es den Sinn des Multiplizierens ''vor''—oder ''nach'' dem Multiplizieren?
{{ParZ|324}} Lernt das Kind nur sprechen oder auch denken? Lernt es den Sinn des Multiplizierens ''vor''—oder ''nach'' dem Multiplizieren?


{{ParZ|325}} Wie bin ich denn zum Begriff 'Satz' oder zum Begriff "Sprache gekommen? Doch nur durch die Sprachen, die ich gelernt habe.—Aber die scheinen mich in gewissem Sinne über sich selbst hinausgeführt zu haben, denn ich bin jetzt im Stande, eine neue Sprache zu konstruieren, z. B. Wörter zu erfinden.—Also gehört diese Konstruktion noch zum Begriff der Sprache. Aber nur, wenn ich ihn so festlegen will.
{{ParZ|325}} Wie bin ich denn zum Begriff 'Satz' oder zum Begriff 'Sprache' gekommen? Doch nur durch die Sprachen, die ich gelernt habe.—Aber die scheinen mich in gewissem Sinne über sich selbst hinausgeführt zu haben, denn ich bin jetzt im Stande, eine neue Sprache zu konstruieren, z. B. Wörter zu erfinden.—Also gehört diese Konstruktion noch zum Begriff der Sprache. Aber nur, wenn ich ihn so festlegen will.


{{ParZ|326}} Der Begriff des Lebewesens hat die gleiche Unbestimmtheit, wie der der Sprache.
{{ParZ|326}} Der Begriff des Lebewesens hat die gleiche Unbestimmtheit, wie der der Sprache.
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{{ParZ|331}} Man ist versucht, Regeln der Grammatik durch Sätze zu rechtfertigen von der Art "Aber es gibt doch wirklich vier primäre Farben". Und gegen die Möglichkeit dieser Rechtfertigung, die nach dem Modell der Rechtfertigung eines Satzes durch den Hinweis auf seine Verifikation gebaut ist, richtet sich das Wort, daß die Regeln der Grammatik willkürlich sind.
{{ParZ|331}} Man ist versucht, Regeln der Grammatik durch Sätze zu rechtfertigen von der Art "Aber es gibt doch wirklich vier primäre Farben". Und gegen die Möglichkeit dieser Rechtfertigung, die nach dem Modell der Rechtfertigung eines Satzes durch den Hinweis auf seine Verifikation gebaut ist, richtet sich das Wort, daß die Regeln der Grammatik willkürlich sind.


Kann man aber nicht doch in irgendeinem Sinne sagen, daß die Grammatik der Farbwörter die Welt, wie sie tatsächlich ist, charakterisiert? Man möchte sagen: Kann ich nicht wirklich vergebens nach einer fünften primären Farbe suchen? Nimmt man nicht die primären Farben zusammen, weil sie eine Ahnlichkeit haben; oder zum mindesten die ''Farben'', im Gegensatz z. B. zu den Formen oder Tönen, weil sie eine Ahnlichkeit haben? Oder habe ich, wenn ich diese Einteilung der Welt als die richtige hinstelle, schon eine vorgefaßte Idee als Paradigma im Kopf? Von der ich dann etwa nur sagen kann: "Ja, das ist die Art, wie wir die Dinge betrachten", oder "Wir wollen eben ein solches Bild machen". Wenn ich nämlich sage: "die primären Farben haben doch eine bestimmte Ähnlichkeit miteinander"—woher nehme ich den Begriff dieser Ähnlichkeit? Ist nicht so, wie der Begriff "primäre Farbe nichts Andres ist, als 'blau oder rot oder grün oder gelb',—auch der Begriff jener Ähnlichkeit nur durch die vier Farben gegeben?—Ja, sind sie nicht die gleichen?—"Ja, könnte man denn auch rot, grün und kreisförmig zusammen. fassen?"—Warum nicht?!
Kann man aber nicht doch in irgendeinem Sinne sagen, daß die Grammatik der Farbwörter die Welt, wie sie tatsächlich ist, charakterisiert? Man möchte sagen: Kann ich nicht wirklich vergebens nach einer fünften primären Farbe suchen? Nimmt man nicht die primären Farben zusammen, weil sie eine Ähnlichkeit haben; oder zum mindesten die ''Farben'', im Gegensatz z. B. zu den Formen oder Tönen, weil sie eine Ähnlichkeit haben? Oder habe ich, wenn ich diese Einteilung der Welt als die richtige hinstelle, schon eine vorgefaßte Idee als Paradigma im Kopf? Von der ich dann etwa nur sagen kann: "Ja, das ist die Art, wie wir die Dinge betrachten", oder "Wir wollen eben ein solches Bild machen". Wenn ich nämlich sage: "die primären Farben haben doch eine bestimmte Ähnlichkeit miteinander"—woher nehme ich den Begriff dieser Ähnlichkeit? Ist nicht so, wie der Begriff "primäre Farbe nichts Andres ist, als 'blau oder rot oder grün oder gelb',—auch der Begriff jener Ähnlichkeit nur durch die vier Farben gegeben?—Ja, sind sie nicht die gleichen?—"Ja, könnte man denn auch rot, grün und kreisförmig zusammen. fassen?"—Warum nicht?!


{{ParZ|332}} Glaub doch nicht, daß du den Begriff der Farbe in dir hältst, weil du auf ein farbiges Objekt schaust,—wie immer du schaust.
{{ParZ|332}} Glaub doch nicht, daß du den Begriff der Farbe in dir hältst, weil du auf ein farbiges Objekt schaust,—wie immer du schaust.
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{{ParZ|336}} Wenn ich nun auch zwei Zeichen bei mir habe, den Ausdruck "roter Kreis" und das farbige Bild, oder die Vorstellung des roten Kreises, so wäre doch die Frage: Wie ist denn dann das eine Wort der Farbe, das andere der Form zugeordnet?
{{ParZ|336}} Wenn ich nun auch zwei Zeichen bei mir habe, den Ausdruck "roter Kreis" und das farbige Bild, oder die Vorstellung des roten Kreises, so wäre doch die Frage: Wie ist denn dann das eine Wort der Farbe, das andere der Form zugeordnet?


Denn man scheint sagen zu können, das cine Wort lenke die Aufmerksamkeit auf die Farbe, das andere auf die Form. Aber was heißt das? Wie kann man diese Wörter in dieses Bild übersetzen?
Denn man scheint sagen zu können, das eine Wort lenke die Aufmerksamkeit auf die Farbe, das andere auf die Form. Aber was heißt das? Wie kann man diese Wörter in dieses Bild übersetzen?


Oder auch: Wenn mir das Wort "rot" eine Farbe ins Gedächtnis ruft, so muß sie doch mit einer Form verbunden sein; wie kann ich denn dann von der Form abstrahieren?
Oder auch: Wenn mir das Wort "rot" eine Farbe ins Gedächtnis ruft, so muß sie doch mit einer Form verbunden sein; wie kann ich denn dann von der Form abstrahieren?
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{{ParZ|341}} Kannst du dir vorstellen, was der rot-grün Blinde sieht? Kannst du das Bild des Zimmers malen, wie er es sieht?
{{ParZ|341}} Kannst du dir vorstellen, was der rot-grün Blinde sieht? Kannst du das Bild des Zimmers malen, wie er es sieht?


Kann ''er'' es malen, wie er es sicht? Kann ich also malen, wie ich es sehe? In welchem Sinne kann ich es?
Kann ''er'' es malen, wie er es sieht? Kann ich also malen, wie ich es sehe? In welchem Sinne kann ich es?


{{ParZ|342}} "Wer alles nur grau, schwarz und weiß sahe, dem müßte etwas ''gegeben'' werden, damit er wüßte, was rot, grün etc. ist. Und was müßte ihm gegeben werden? Nun, die Farben. Also z. B. ''dies'' und ''dies'' und ''dies''. (Denk dir, z. B., daß farbige Vorbilder in sein Gehirn eingeführt werden müßten zu den bloß grauen und schwarzen.) Aber müßte das geschehen als Mittel zum Zweck des künftigen Handelns? Oder schließt eben dieses Handeln diese Vorbilder ein? Will ich sagen: "Es müßte ihm etwas gegeben werden, denn es ist klar, er könnte sonst nicht ...."—oder: Sein sehendes Benehmen ''enthält'' neue Bestandteile?
{{ParZ|342}} "Wer alles nur grau, schwarz und weiß sähe, dem müßte etwas ''gegeben'' werden, damit er wüßte, was rot, grün etc. ist. Und was müßte ihm gegeben werden? Nun, die Farben. Also z. B. ''dies'' und ''dies'' und ''dies''. (Denk dir, z. B., daß farbige Vorbilder in sein Gehirn eingeführt werden müßten zu den bloß grauen und schwarzen.) Aber müßte das geschehen als Mittel zum Zweck des künftigen Handelns? Oder schließt eben dieses Handeln diese Vorbilder ein? Will ich sagen: "Es müßte ihm etwas gegeben werden, denn es ist klar, er könnte sonst nicht ...."—oder: Sein sehendes Benehmen ''enthält'' neue Bestandteile?


{{ParZ|343}} Auch: was würden wir eine "Erklärung des Sehens" ''nennen''? Soll man sagen: Nun, du weißt doch sonst, was "Erklärung" heißt; verwende diesen Begriff also auch hier!
{{ParZ|343}} Auch: was würden wir eine "Erklärung des Sehens" ''nennen''? Soll man sagen: Nun, du weißt doch sonst, was "Erklärung" heißt; verwende diesen Begriff also auch hier!
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{{ParZ|358}} Hat denn dieses System etwas Willkürliches? Ja und nein. Es ist mit Willkürlichem verwandt und mit Nichtwillkürlichem.
{{ParZ|358}} Hat denn dieses System etwas Willkürliches? Ja und nein. Es ist mit Willkürlichem verwandt und mit Nichtwillkürlichem.


{{ParZ|359}} Es leuchtet auf den ersten Blick ein, daß man nichts als Zwischenfarben von rot und grün erkennen will. (Und ob es mir immer so eingeleuchtet oder erst nach Erfahrung und Erzichung, ist gleichgültig.)
{{ParZ|359}} Es leuchtet auf den ersten Blick ein, daß man nichts als Zwischenfarben von rot und grün erkennen will. (Und ob es mir immer so eingeleuchtet oder erst nach Erfahrung und Erziehung, ist gleichgültig.)


{{ParZ|360}} 'a ist zwischen b und c, und dem b näher als dem c', dies ist eine charakteristische Relation zwischen Empfindungen gleicher Art. D. h., es gibt z. B. ein Sprachspiel mit dem Befehl "Erzeuge eine Empfindung zwischen ''dieser'' und ''dieser'', und der ersten näher als der zweiten!" Und auch "Nenne zwei Empfindungen, zwischen welchen ''diese'' liegt".
{{ParZ|360}} 'a ist zwischen b und c, und dem b näher als dem c', dies ist eine charakteristische Relation zwischen Empfindungen gleicher Art. D. h., es gibt z. B. ein Sprachspiel mit dem Befehl "Erzeuge eine Empfindung zwischen ''dieser'' und ''dieser'', und der ersten näher als der zweiten!" Und auch "Nenne zwei Empfindungen, zwischen welchen ''diese'' liegt".
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{{ParZ|380}} Ein Stamm hat zwei Begriffe, verwandt unserm 'Schmerz'. Der eine wird bei sichtbaren Verletzungen angewandt und ist mit Pflege, Mitleid etc. verknüpft. Den andern wenden sie bei Magenschmerzen z. B. an, und er verbindet sich mit Belustigung über den Klagenden. "Aber merken sie denn wirklich nicht die Ähnlichkeit?"—Haben wir denn überall einen Begriff, wo eine Ähnlichkeit besteht? Die Frage ist: Ist ihnen die Ähnlichkeit ''wichtig''? Und muß sie's ihnen sein? Und warum sollte nicht ihr Begriff unsern Begriff 'Schmerz' schneiden?
{{ParZ|380}} Ein Stamm hat zwei Begriffe, verwandt unserm 'Schmerz'. Der eine wird bei sichtbaren Verletzungen angewandt und ist mit Pflege, Mitleid etc. verknüpft. Den andern wenden sie bei Magenschmerzen z. B. an, und er verbindet sich mit Belustigung über den Klagenden. "Aber merken sie denn wirklich nicht die Ähnlichkeit?"—Haben wir denn überall einen Begriff, wo eine Ähnlichkeit besteht? Die Frage ist: Ist ihnen die Ähnlichkeit ''wichtig''? Und muß sie's ihnen sein? Und warum sollte nicht ihr Begriff unsern Begriff 'Schmerz' schneiden?


{{ParZ|381}} Aber übersieht dieser dann nicht etwas, was da ist?—Er nimmt davon keine Notiz; und warum sollte er?—Aber dann ist ja eben sein Begriff grundverschieden von dem unsern.—''Grund''verschieden? Verschieden.—Aber es ist dann doch, als ob sein Wort nicht ''dasselbe bezeichnen'' könnte wie unseres. Oder nur einen Teil davon.—Aber so muß es ja auch ausschauen, wenn sein Begriff verschieden ist. Denn die Unbestimmtheit unseres Begriffs kann sich ja für uns in den ''Gegenstand'' projezieren, den das Wort bezeichnet. So dab, fehlte die Unbestimmtheit, auch nicht 'dasselbe gemeint' wäre. Das Bild, das wir verwenden, versinnbildlicht die Unbestimmtheit.
{{ParZ|381}} Aber übersieht dieser dann nicht etwas, was da ist?—Er nimmt davon keine Notiz; und warum sollte er?—Aber dann ist ja eben sein Begriff grundverschieden von dem unsern.—''Grund''verschieden? Verschieden.—Aber es ist dann doch, als ob sein Wort nicht ''dasselbe bezeichnen'' könnte wie unseres. Oder nur einen Teil davon.—Aber so muß es ja auch ausschauen, wenn sein Begriff verschieden ist. Denn die Unbestimmtheit unseres Begriffs kann sich ja für uns in den ''Gegenstand'' projezieren, den das Wort bezeichnet. So daß, fehlte die Unbestimmtheit, auch nicht 'dasselbe gemeint' wäre. Das Bild, das wir verwenden, versinnbildlicht die Unbestimmtheit.


{{ParZ|382}} In der Philosophie darf man keine Denkkrankheit ''abschneiden''. Sie muß ihren natürlichen Lauf gehen, und die ''langsame'' Heilung ist das Wichtigste. (Daher die Mathematiker so schlechte Philosophen sind.)
{{ParZ|382}} In der Philosophie darf man keine Denkkrankheit ''abschneiden''. Sie muß ihren natürlichen Lauf gehen, und die ''langsame'' Heilung ist das Wichtigste. (Daher die Mathematiker so schlechte Philosophen sind.)
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Wenn einer an Feen nicht glaubt, so braucht er seine Kinder nicht lehren "Es gibt keine Feen", sondern er kann es unterlassen, sie das Wort "Fee" zu lehren. Bei welcher Gelegenheit sollen sie sagen "Es gibt ....", oder "Es gibt nicht ...."? Nur wenn sie Leute treffen, die entgegengesetzten Glaubens sind.
Wenn einer an Feen nicht glaubt, so braucht er seine Kinder nicht lehren "Es gibt keine Feen", sondern er kann es unterlassen, sie das Wort "Fee" zu lehren. Bei welcher Gelegenheit sollen sie sagen "Es gibt ....", oder "Es gibt nicht ...."? Nur wenn sie Leute treffen, die entgegengesetzten Glaubens sind.


{{ParZ|414}} Aber der Idealist wird den Kindern doch das Wort "Sessel" beibringen, denn er will sie ja lehren, dies und jenes zu tun, z. B. einen Sessel zu holen. Wo wird sich also, was die ideali erzogenen Kinder sagen, von dem, was die realistischen sagen, unterscheiden? Wird der Unterschied nicht nur der der Schlachtrufe sein?
{{ParZ|414}} Aber der Idealist wird den Kindern doch das Wort "Sessel" beibringen, denn er will sie ja lehren, dies und jenes zu tun, z. B. einen Sessel zu holen. Wo wird sich also, was die idealistisch erzogenen Kinder sagen, von dem, was die realistischen sagen, unterscheiden? Wird der Unterschied nicht nur der der Schlachtrufe sein?


{{ParZ|415}} Fängt denn nicht das Spiel "Das ist wahrscheinlich ein ...." mit der Enttäuschung an? Und kann die erste Einstellung die auf die mögliche Enttäuschung sein?
{{ParZ|415}} Fängt denn nicht das Spiel "Das ist wahrscheinlich ein ...." mit der Enttäuschung an? Und kann die erste Einstellung die auf die mögliche Enttäuschung sein?
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{{ParZ|418}} Einen im Anfang lehren "Das scheint rot", hat gar keinen Sinn. Das muß er ja spontan sagen, wenn er einmal gelernt hat, was "rot" heißt, d. i. die Technik der Wortverwendung.
{{ParZ|418}} Einen im Anfang lehren "Das scheint rot", hat gar keinen Sinn. Das muß er ja spontan sagen, wenn er einmal gelernt hat, was "rot" heißt, d. i. die Technik der Wortverwendung.


{{ParZ|419}} Die Grundlage jeder Erklärung ist die Abrichtung. (Das sollten Erzicher bedenken.)
{{ParZ|419}} Die Grundlage jeder Erklärung ist die Abrichtung. (Das sollten Erzieher bedenken.)


{{ParZ|420}} "Es scheint mir rot."—"Und wie ist rot?"—"''So''." Dabei muß auf das richtige Paradigma gezeigt werden.
{{ParZ|420}} "Es scheint mir rot."—"Und wie ist rot?"—"''So''." Dabei muß auf das richtige Paradigma gezeigt werden.
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Wir lernen allerdings auch dies, unsre Aufmerksamkeit auf Dinge und auf Empfindungen richten. Wir lernen beobachten und die Beobachtung beschreiben. Aber wie lehrt man mich dies; wie wird in diesem Falle meine 'innere Tätigkeit' kontrolliert? Wonach wird beurteilt, ob ich wirklich Acht gegeben habe?
Wir lernen allerdings auch dies, unsre Aufmerksamkeit auf Dinge und auf Empfindungen richten. Wir lernen beobachten und die Beobachtung beschreiben. Aber wie lehrt man mich dies; wie wird in diesem Falle meine 'innere Tätigkeit' kontrolliert? Wonach wird beurteilt, ob ich wirklich Acht gegeben habe?


{{ParZ|427}} "Der Sessel ist der gleiche, ob ich ihn betrachte oder nicht"—das ''müßte'' nicht wahr sein. Menschen werden oft verlegen, wenn man sie anschaut. "Der Sessel fahrt fort zu existieren, ob ich ihn anschaue oder nicht." Das könnte ein Erfahrungssatz, oder es könnte grammatisch aufzufassen sein. Man kann aber auch einfach an den begrifflichen Unterschied zwischen Sinnescindruck und Objekt dabei denken.
{{ParZ|427}} "Der Sessel ist der gleiche, ob ich ihn betrachte oder nicht"—das ''müßte'' nicht wahr sein. Menschen werden oft verlegen, wenn man sie anschaut. "Der Sessel fahrt fort zu existieren, ob ich ihn anschaue oder nicht." Das könnte ein Erfahrungssatz, oder es könnte grammatisch aufzufassen sein. Man kann aber auch einfach an den begrifflichen Unterschied zwischen Sinneseindruck und Objekt dabei denken.


{{ParZ|428}} Ist aber nicht die Übereinstimmung der Menschen dem Spiel wesentlich? Muß, wer es lernt, also nicht zuerst die Bedeutung von "gleich" kennen, und setzt die nicht auch Übereinstimmung voraus? U. s. f.
{{ParZ|428}} Ist aber nicht die Übereinstimmung der Menschen dem Spiel wesentlich? Muß, wer es lernt, also nicht zuerst die Bedeutung von "gleich" kennen, und setzt die nicht auch Übereinstimmung voraus? U. s. f.


{{ParZ|429}} Du sagst "''Das'' ist rot", aber wie wird entschieden, ob du recht hast? Entscheidet es nicht die Übereinstimmung der Menschen?—Aber berufe ich mich denn auf diese Übereinstimmung in meinen Farburteilen? Geht es denn ''so'' vor sich: Ich lasse cine Anzahl Leute einen Gegenstand anschauen; jedem von ihnen fällt dabei eines einer gewissen Gruppe von Wörtern (der sogenannten Farbwörter) ein; ist der Mehrzahl der Betrachter das Wort "rot" z. B. eingefallen (zu dieser Mehrzahl muß ich selbst nicht gehören), so gebührt dem Gegenstand das Prädikat "rot". So cine Technik könnte ja ihre Wichtigkeit haben.
{{ParZ|429}} Du sagst "''Das'' ist rot", aber wie wird entschieden, ob du recht hast? Entscheidet es nicht die Übereinstimmung der Menschen?—Aber berufe ich mich denn auf diese Übereinstimmung in meinen Farburteilen? Geht es denn ''so'' vor sich: Ich lasse cine Anzahl Leute einen Gegenstand anschauen; jedem von ihnen fällt dabei eines einer gewissen Gruppe von Wörtern (der sogenannten Farbwörter) ein; ist der Mehrzahl der Betrachter das Wort "rot" z. B. eingefallen (zu dieser Mehrzahl muß ich selbst nicht gehören), so gebührt dem Gegenstand das Prädikat "rot". So eine Technik könnte ja ihre Wichtigkeit haben.


{{ParZ|430}} Die ''Farbwörter'' werden ''so'' gelehrt: "Das ist rot" z. B.—Unser Sprachspiel kommt freilich nur zustande, wenn eine gewisse Übereinstimmung herrscht, aber der Begriff der Übereinstimmung tritt ins Sprachspiel nicht ein. Wäre die Übereinstimmung vollkommen, so könnte ihr Begriff ganz unbekannt sein.
{{ParZ|430}} Die ''Farbwörter'' werden ''so'' gelehrt: "Das ist rot" z. B.—Unser Sprachspiel kommt freilich nur zustande, wenn eine gewisse Übereinstimmung herrscht, aber der Begriff der Übereinstimmung tritt ins Sprachspiel nicht ein. Wäre die Übereinstimmung vollkommen, so könnte ihr Begriff ganz unbekannt sein.
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{{ParZ|434}} Was heißt es, "eine Empfindung mit einem Wort bezeichnen, benennen"? Gibt es da nichts zu untersuchen?
{{ParZ|434}} Was heißt es, "eine Empfindung mit einem Wort bezeichnen, benennen"? Gibt es da nichts zu untersuchen?


Denk dir, du kämest von einem Sprachspiel mit physikalischen Gegenständen—und nun hieße es, es werden jetzt auch ''Empfindungen'' benannt. Wäre das nicht, als würde zuerst von einer Übertragung des Besitzes, und dann auf einmal von einer Ubertragung der Freude am Besitz oder des Stolzes auf den Besitz gesprochen? Müssen wir da nicht etwas Neues lernen? Etwas Neues, was wir auch "übertragen" nennen.
Denk dir, du kämest von einem Sprachspiel mit physikalischen Gegenständen—und nun hieße es, es werden jetzt auch ''Empfindungen'' benannt. Wäre das nicht, als würde zuerst von einer Übertragung des Besitzes, und dann auf einmal von einer Übertragung der Freude am Besitz oder des Stolzes auf den Besitz gesprochen? Müssen wir da nicht etwas Neues lernen? Etwas Neues, was wir auch "übertragen" nennen.


{{ParZ|435}} Die Beschreibung des subjektiv Geschenen ist nahe oder entfernt verwandt der Beschreibung eines Gegenstandes, aber funktioniert eben daher nicht als Beschreibung eines Gegenstands. Wie vergleicht man Gesichtsempfindungen? Wie vergleiche ich meine mit des Andern Gesichtsempfindungen?
{{ParZ|435}} Die Beschreibung des subjektiv Gesehenen ist nahe oder entfernt verwandt der Beschreibung eines Gegenstandes, aber funktioniert eben daher nicht als Beschreibung eines Gegenstands. Wie vergleicht man Gesichtsempfindungen? Wie vergleiche ich meine mit des Andern Gesichtsempfindungen?


{{ParZ|436}} "Verifying by inspection" ist ein gänzlich irreführender Ausdruck. Er sagt nämlich, daß zuerst ein Vorgang, die Inspektion geschicht, und die wäre mit dem Schauen durch ein Mikroskop vergleichbar oder mit dem Vorgang des Umwendens des Kopfes, ''um etwas zu sehen''. Und, daß dann das Sehen erfolgen misse. Man könnte von "Sehen durch Umwenden" oder "Sehen durch Schauen" reden. Aber dann ist eben das Umwenden (oder Schauen) ein dem Sehen externer Vorgang, der uns daher nur praktisch interessiert. Was man sagen möchte, ist: "Sehen durch Schen".
{{ParZ|436}} "Verifying by inspection" ist ein gänzlich irreführender Ausdruck. Er sagt nämlich, daß zuerst ein Vorgang, die Inspektion geschieht, und die wäre mit dem Schauen durch ein Mikroskop vergleichbar oder mit dem Vorgang des Umwendens des Kopfes, ''um etwas zu sehen''. Und, daß dann das Sehen erfolgen misse. Man könnte von "Sehen durch Umwenden" oder "Sehen durch Schauen" reden. Aber dann ist eben das Umwenden (oder Schauen) ein dem Sehen externer Vorgang, der uns daher nur praktisch interessiert. Was man sagen möchte, ist: "Sehen durch Sehen".


{{ParZ|437}} Die Ursachen, warum wir einen Satz glauben, sind für die Frage, was es denn ist, das wir glauben, allerdings irrelevant; aber nicht die Gründe, die ja mit dem Satz grammatisch verwandt sind und uns sagen, wer er ist.
{{ParZ|437}} Die Ursachen, warum wir einen Satz glauben, sind für die Frage, was es denn ist, das wir glauben, allerdings irrelevant; aber nicht die Gründe, die ja mit dem Satz grammatisch verwandt sind und uns sagen, wer er ist.
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Die Verkehrsregelung in den Straßen erlaubt und verbietet gewisse Handlungen der Fahrer und Fußgänger; aber sie versucht nicht, ihre sämtlichen Bewegungen durch Vorschriften zu leiten. Und es wäre sinnlos, von einer 'idealen' Verkehrsordnung zu reden, die das täte; wir wüßten zunächst gar nicht, was wir uns unter diesem Ideal zu denken hätten. Wünscht einer die Verkehrsordnung in irgendwelchen Punkten strenger zu gestalten, so bedeutet das nicht, er wünsche sie so einem Ideal anzunähern.
Die Verkehrsregelung in den Straßen erlaubt und verbietet gewisse Handlungen der Fahrer und Fußgänger; aber sie versucht nicht, ihre sämtlichen Bewegungen durch Vorschriften zu leiten. Und es wäre sinnlos, von einer 'idealen' Verkehrsordnung zu reden, die das täte; wir wüßten zunächst gar nicht, was wir uns unter diesem Ideal zu denken hätten. Wünscht einer die Verkehrsordnung in irgendwelchen Punkten strenger zu gestalten, so bedeutet das nicht, er wünsche sie so einem Ideal anzunähern.


{{ParZ|441}} Betrachte auch diesen Satz: "Die Regeln eines Spiels können wohl eine gewisse Freiheit lassen, aber sie müssen ''doch'' ganz bestimmte Regeln sein." Das ist, als sagte man: "Du kannst zwar einem Menschen durch vier Wände eine gewisse Bewegungsfreiheit lassen, aber die Wände müssen vollkommen starr sein"—und das ist nicht wahr. "Nun, die Wände können wohl elastisch sein, aber dann haben sie eine ganz bestimmte Elastizität."—Was sagt das nun doch? Es scheint zu sagen, daß man diese Elastizität muß angeben können, aber das ist wieder nicht wahr. “Die Wand hat immer ''eine bestimmte'' Elastizität—ob ich sie kenne oder nicht.": das ist eigentlich das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform. Derjenigen, die sich der ''Form'' eines Ideals der Genauigkeit bedient. Gleichsam als cines Parameters der Darstellung.
{{ParZ|441}} Betrachte auch diesen Satz: "Die Regeln eines Spiels können wohl eine gewisse Freiheit lassen, aber sie müssen ''doch'' ganz bestimmte Regeln sein." Das ist, als sagte man: "Du kannst zwar einem Menschen durch vier Wände eine gewisse Bewegungsfreiheit lassen, aber die Wände müssen vollkommen starr sein"—und das ist nicht wahr. "Nun, die Wände können wohl elastisch sein, aber dann haben sie eine ganz bestimmte Elastizität."—Was sagt das nun doch? Es scheint zu sagen, daß man diese Elastizität muß angeben können, aber das ist wieder nicht wahr. “Die Wand hat immer ''eine bestimmte'' Elastizität—ob ich sie kenne oder nicht.": das ist eigentlich das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform. Derjenigen, die sich der ''Form'' eines Ideals der Genauigkeit bedient. Gleichsam als eines Parameters der Darstellung.


{{ParZ|442}} Das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform, wenn es ausgesprochen wird in der Verkleidung als ein Satz, der von den ''Gegenständen'' (statt von dem Zeichen handelt, muß <nowiki>'</nowiki>''a priori''<nowiki>'</nowiki> sein. Denn sein Gegenteil wird wirklich undenkbar, insofern ihm eine Denkform, Ausdrucksform entspricht, die wir ausgeschlossen haben.
{{ParZ|442}} Das Bekenntnis zu einer Ausdrucksform, wenn es ausgesprochen wird in der Verkleidung als ein Satz, der von den ''Gegenständen'' (statt von dem Zeichen handelt, muß <nowiki>'</nowiki>''a priori''<nowiki>'</nowiki> sein. Denn sein Gegenteil wird wirklich undenkbar, insofern ihm eine Denkform, Ausdrucksform entspricht, die wir ausgeschlossen haben.
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{{ParZ|443}} Denke dir, die Menschen pflegten auf Gegenstände immer ''in der'' Weise zu zeigen, daß sie mit dem Finger in der Luft gleichsam einen Kreis um den Gegenstand beschrieben, dann könnte man sich einen Philosophen denken, der sagte: "Alle Dinge sind kreisrund; denn der Tisch sieht ''so'' aus, der Öfen ''so'', die Lampe ''so''" etc., indem er jedesmal einen Kreis um das Ding schlägt.
{{ParZ|443}} Denke dir, die Menschen pflegten auf Gegenstände immer ''in der'' Weise zu zeigen, daß sie mit dem Finger in der Luft gleichsam einen Kreis um den Gegenstand beschrieben, dann könnte man sich einen Philosophen denken, der sagte: "Alle Dinge sind kreisrund; denn der Tisch sieht ''so'' aus, der Öfen ''so'', die Lampe ''so''" etc., indem er jedesmal einen Kreis um das Ding schlägt.


{{ParZ|444}} Wir haben nun eine ''Theorie''; eine 'dynamische Theorie'<ref>Freud spricht von seiner 'dynamischen' Theorie des Traums.</ref> des Satzes, der Sprache, aber sie erscheint uns nicht als Theorie. Es ist ja das Charakteristische einer solchen Theorie, daß sie cinen besonderen, klar anschaulichen Fall ansieht und sagt: "''Das'' zeigt, wie es sich überhaupt verhält; dieser Fall ist das Urbild ''aller'' Fälle."——"Natürlich! So muß es sein", sagen wir und sind zufrieden. Wir sind auf eine Form der Darstellung gekommen, die uns ''einleuchtet''. Aber es ist, als haben wir nun etwas geschen, was ''unter'' der Oberfläche liegt.
{{ParZ|444}} Wir haben nun eine ''Theorie''; eine 'dynamische Theorie'<ref>Freud spricht von seiner 'dynamischen' Theorie des Traums.</ref> des Satzes, der Sprache, aber sie erscheint uns nicht als Theorie. Es ist ja das Charakteristische einer solchen Theorie, daß sie einen besonderen, klar anschaulichen Fall ansieht und sagt: "''Das'' zeigt, wie es sich überhaupt verhält; dieser Fall ist das Urbild ''aller'' Fälle."——"Natürlich! So muß es sein", sagen wir und sind zufrieden. Wir sind auf eine Form der Darstellung gekommen, die uns ''einleuchtet''. Aber es ist, als haben wir nun etwas gesehen, was ''unter'' der Oberfläche liegt.


Die Tendenz, den klaren Fall zu verallgemeinern, scheint in der Logik ihre strenge Berechtigung zu haben: man scheint hier mit ''voller'' Berechtigung zu schließen: "Wenn ''ein'' Satz ein Bild ist, so muß jeder Satz ein Bild sein, denn sie müssen alle wesensgleich sein." Denn wir sind ja in der Täuschung, das Sublime, Wesentliche unserer Untersuchung bestehe darin, daß sie ''ein'' allumfassendes Wesen erfasse.
Die Tendenz, den klaren Fall zu verallgemeinern, scheint in der Logik ihre strenge Berechtigung zu haben: man scheint hier mit ''voller'' Berechtigung zu schließen: "Wenn ''ein'' Satz ein Bild ist, so muß jeder Satz ein Bild sein, denn sie müssen alle wesensgleich sein." Denn wir sind ja in der Täuschung, das Sublime, Wesentliche unserer Untersuchung bestehe darin, daß sie ''ein'' allumfassendes Wesen erfasse.
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{{ParZ|446}} Denk doch einmal gar nicht an das Verstehen als 'seelischen Vorgang'!—Denn ''das'' ist die Redeweise, die dich verwirrt. Sondern frage dich: in was für einem Fall, unter was für Umständen sagen wir denn "jetzt weiß ich weiter", wenn uns die Formel eingefallen ist?
{{ParZ|446}} Denk doch einmal gar nicht an das Verstehen als 'seelischen Vorgang'!—Denn ''das'' ist die Redeweise, die dich verwirrt. Sondern frage dich: in was für einem Fall, unter was für Umständen sagen wir denn "jetzt weiß ich weiter", wenn uns die Formel eingefallen ist?


Es ist jene Redeweise, die uns hindert, die Tatsachen unparteiisch zu sehen. Betrachte die Aussprache eines Worts durch die Darstellungsform der Schreibung! Wie leicht kann man sich da überreden, daß zwei Worte—z. B. "für" und "führ"—im täglichen Gebrauche verschiedenen Klang haben—weil man sie verschieden ausspricht, wenn man sein Augenmerk gerade auf den Unterschied ihrer Schreibung richtet. Damit zu vergleichen ist die Meinung, ein Violinspieler mit feinem Gehör greife f immer etwas höher als eis. Uberlege dir solche Fälle!—''So'' kann es geschehen, daß das Darstellungsmittel eine ''Einbildung'' erzeugt. Denken wir also nicht, wir ''müßten'' einen spezifischen seelischen Vorgang finden, weil das Verbum "verstehen" dasteht, und weil man sagt: Verstehen sei eine seelische Tätigkeit.
Es ist jene Redeweise, die uns hindert, die Tatsachen unparteiisch zu sehen. Betrachte die Aussprache eines Worts durch die Darstellungsform der Schreibung! Wie leicht kann man sich da überreden, daß zwei Worte—z. B. "für" und "führ"—im täglichen Gebrauche verschiedenen Klang haben—weil man sie verschieden ausspricht, wenn man sein Augenmerk gerade auf den Unterschied ihrer Schreibung richtet. Damit zu vergleichen ist die Meinung, ein Violinspieler mit feinem Gehör greife f immer etwas höher als eis. Überlege dir solche Fälle!—''So'' kann es geschehen, daß das Darstellungsmittel eine ''Einbildung'' erzeugt. Denken wir also nicht, wir ''müßten'' einen spezifischen seelischen Vorgang finden, weil das Verbum "verstehen" dasteht, und weil man sagt: Verstehen sei eine seelische Tätigkeit.


{{ParZ|447}} Die Unruhe in der Philosophie, könnte man sagen, kommt daher, daß wir die Philosophie falsch ansehen, falsch sehen, nämlich gleichsam in (endlose) Längsstreifen zerlegt, statt in (begrenzte) Querstreifen. Diese Umstellung der Auffassung macht die ''größte'' Schwierigkeit. Wir wollen also gleichsam den unbegrenzten Streifen erfassen und klagen, daß es nicht Stück für Stück möglich ist. Freilich nicht, wenn man unter einem Stück einen endlosen Längsstreifen versteht. Wohl aber, wenn man einen Querstreifen darunter versteht.—Aber dann kommen wir ja mit unserer Arbeit wieder nicht zu Ende!—Freilich nicht, denn sie hat keins.
{{ParZ|447}} Die Unruhe in der Philosophie, könnte man sagen, kommt daher, daß wir die Philosophie falsch ansehen, falsch sehen, nämlich gleichsam in (endlose) Längsstreifen zerlegt, statt in (begrenzte) Querstreifen. Diese Umstellung der Auffassung macht die ''größte'' Schwierigkeit. Wir wollen also gleichsam den unbegrenzten Streifen erfassen und klagen, daß es nicht Stück für Stück möglich ist. Freilich nicht, wenn man unter einem Stück einen endlosen Längsstreifen versteht. Wohl aber, wenn man einen Querstreifen darunter versteht.—Aber dann kommen wir ja mit unserer Arbeit wieder nicht zu Ende!—Freilich nicht, denn sie hat keins.
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{{ParZ|452}} Wie kommt es, daß die Philosophie ein so komplizierter Bau ist? Sie sollte doch gänzlich einfach sein, wenn sie jenes Letzte von aller Erfahrung Unabhängige ist, wofür du sie ausgibst.—Die Philosophie löst Knoten auf in unserm Denken; daher muß ihr Resultat einfach sein, das Philosophieren aber so kompliziert wie die Knoten, welche es auflöst.
{{ParZ|452}} Wie kommt es, daß die Philosophie ein so komplizierter Bau ist? Sie sollte doch gänzlich einfach sein, wenn sie jenes Letzte von aller Erfahrung Unabhängige ist, wofür du sie ausgibst.—Die Philosophie löst Knoten auf in unserm Denken; daher muß ihr Resultat einfach sein, das Philosophieren aber so kompliziert wie die Knoten, welche es auflöst.


{{ParZ|453}} (Wie man manchmal eine Musik nur im innern Ohr reproduzieren kann, aber sie nicht pfeifen, weil das Pfeifen schon die innere Stimme übertönt, so ist manchmal die Stimme cines philosophischen Gedankens so leise, daß sie vom Lärm des gesprochenen Wortes schon übertönt wird und nicht mehr gehört werden kann, wenn man gefragt wird und reden soll.)
{{ParZ|453}} (Wie man manchmal eine Musik nur im innern Ohr reproduzieren kann, aber sie nicht pfeifen, weil das Pfeifen schon die innere Stimme übertönt, so ist manchmal die Stimme eines philosophischen Gedankens so leise, daß sie vom Lärm des gesprochenen Wortes schon übertönt wird und nicht mehr gehört werden kann, wenn man gefragt wird und reden soll.)


{{ParZ|454}} Plato: "—Wie? sagt er, die sollte nicht nutzen? Denn wenn doch einmal die Besonnenheit die Erkenntnis der Erkenntnisse ist und den andern Erkenntnissen vorsteht, so muß sie ja auch dieser sich auf das Gute bezichenden Erkenntnis vorstehen und uns so doch nutzen.—Macht auch sie uns, sprach ich, etwa gesund und nicht die Heilkunde? Und so auch mit den andern Künsten; verrichtet sie die Geschäfte derselben und nicht viel mehr jede von ihnen das ihrige? Oder haben wir nicht lange schon eingestanden, daß sie nur der Erkenntnisse und Unkenntnisse Erkenntnis wäre und keiner anderen Sache?—Allerdings wohl.—Sie also wird uns nicht die Gesundheit bewirken?—Wohl nicht.—Weil nämlich die Gesundheit für eine andere Kunst gehört?—Ja.—Also auch nicht den Nutzen, Freund, wird sie uns bewirken. Denn auch dieses Geschäft haben wir jetzt einer andern Kunst beigelegt.—Freilich.—Wie kann also die Besonnenheit nützlich sein, wenn sie uns gar keinen Nutzen bringt?"
{{ParZ|454}} Plato: "—Wie? sagt er, die sollte nicht nutzen? Denn wenn doch einmal die Besonnenheit die Erkenntnis der Erkenntnisse ist und den andern Erkenntnissen vorsteht, so muß sie ja auch dieser sich auf das Gute beziehenden Erkenntnis vorstehen und uns so doch nutzen.—Macht auch sie uns, sprach ich, etwa gesund und nicht die Heilkunde? Und so auch mit den andern Künsten; verrichtet sie die Geschäfte derselben und nicht viel mehr jede von ihnen das ihrige? Oder haben wir nicht lange schon eingestanden, daß sie nur der Erkenntnisse und Unkenntnisse Erkenntnis wäre und keiner anderen Sache?—Allerdings wohl.—Sie also wird uns nicht die Gesundheit bewirken?—Wohl nicht.—Weil nämlich die Gesundheit für eine andere Kunst gehört?—Ja.—Also auch nicht den Nutzen, Freund, wird sie uns bewirken. Denn auch dieses Geschäft haben wir jetzt einer andern Kunst beigelegt.—Freilich.—Wie kann also die Besonnenheit nützlich sein, wenn sie uns gar keinen Nutzen bringt?"


{{ParZ|455}} (Der Philosoph ist nicht Bürger einer Denkgemeinde. Das ist, was ihn zum Philosophen macht.)
{{ParZ|455}} (Der Philosoph ist nicht Bürger einer Denkgemeinde. Das ist, was ihn zum Philosophen macht.)
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{{ParZ|457}} .... quia plus loquitur inquisitio quam inventio .... (Augustinus.)
{{ParZ|457}} .... quia plus loquitur inquisitio quam inventio .... (Augustinus.)


{{ParZ|458}} Philosophische Untersuchungen: begriffliche Untersuchun gen. Das Wesentliche der Metaphysik: daß sie den Unterschied zwischen sachlichen und begrifflichen Untersuchungen verwischt.
{{ParZ|458}} Philosophische Untersuchungen: begriffliche Untersuchungen. Das Wesentliche der Metaphysik: daß sie den Unterschied zwischen sachlichen und begrifflichen Untersuchungen verwischt.


{{ParZ|459}} Das Fundamentale grammatisch ausgedrückt: Wie ist es mit dem Satz "man kann nicht zweimal in den gleichen Fluß steigen"?
{{ParZ|459}} Das Fundamentale grammatisch ausgedrückt: Wie ist es mit dem Satz "man kann nicht zweimal in den gleichen Fluß steigen"?
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Es wäre richtig zu sagen: "Und auch an ''mir'' kannst du die Erscheinung des Denkens, Hoffens, Sehens etc. beobachten."
Es wäre richtig zu sagen: "Und auch an ''mir'' kannst du die Erscheinung des Denkens, Hoffens, Sehens etc. beobachten."


{{ParZ|471}} Die psychologischen Verben sehen, glauben, denken, wünschen bezeichnen nicht Erscheinungen. Aber die Psychologie beobachtet die Erscheinungen des Schens, Glaubens, Denkens, Wünschens.
{{ParZ|471}} Die psychologischen Verben sehen, glauben, denken, wünschen bezeichnen nicht Erscheinungen. Aber die Psychologie beobachtet die Erscheinungen des Sehens, Glaubens, Denkens, Wünschens.


{{ParZ|472}} Plan zur Behandlung der psychologischen Begriffe.
{{ParZ|472}} Plan zur Behandlung der psychologischen Begriffe.
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Psychologische Verben charakterisiert dadurch, daß die Person des Präsens durch Beobachtung zu verifizieren ist, die erste Person nicht.
Psychologische Verben charakterisiert dadurch, daß die Person des Präsens durch Beobachtung zu verifizieren ist, die erste Person nicht.


Satz in der dritten Person des Präsens: Mitteilung. In der ersten Person Präsens: Außerung. ((Stimmt nicht ganz.))
Satz in der dritten Person des Präsens: Mitteilung. In der ersten Person Präsens: Äußerung. ((Stimmt nicht ganz.))


Die erste Person des Präsens der Außerung verwandt.
Die erste Person des Präsens der Äußerung verwandt.


Sinnesempfindungen: ihre inneren Zusammenhänge und Analogien.
Sinnesempfindungen: ihre inneren Zusammenhänge und Analogien.
Line 1,392: Line 1,392:
{{ParZ|474}} Sinneswahrnehmungen nennen wir Sehen, Hören, ..... Zwischen diesen Begriffen bestehen Analogien und Zusammenhänge; sie sind unsere Rechtfertigung für diese Zusammenfassung.
{{ParZ|474}} Sinneswahrnehmungen nennen wir Sehen, Hören, ..... Zwischen diesen Begriffen bestehen Analogien und Zusammenhänge; sie sind unsere Rechtfertigung für diese Zusammenfassung.


{{ParZ|475}} Man kann also fragen: Was für Zusammenhänge und Analogien bestehen zwischen Schen und Hören? Zwischen Sehen und Greifen? Zwischen Sehen und Riechen? Etc.
{{ParZ|475}} Man kann also fragen: Was für Zusammenhänge und Analogien bestehen zwischen Sehen und Hören? Zwischen Sehen und Greifen? Zwischen Sehen und Riechen? Etc.


{{ParZ|476}} Und fragt man das, so rücken die Sinne für uns gleich weiter auseinander, als sie auf den ersten Blick zu liegen schienen.
{{ParZ|476}} Und fragt man das, so rücken die Sinne für uns gleich weiter auseinander, als sie auf den ersten Blick zu liegen schienen.