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{{ParZ|541}} Was aber will hier das Wort "primitiv" sagen? Doch wohl, daß die Verhaltungsweise ''vorsprachlich'' ist: daß ein Sprachspiel ''auf ihr'' beruht, daß sie das Prototyp einer Denkweise ist und nicht das Ergebnis des Denkens.
{{ParZ|541}} Was aber will hier das Wort "primitiv" sagen? Doch wohl, daß die Verhaltungsweise ''vorsprachlich'' ist: daß ein Sprachspiel ''auf ihr'' beruht, daß sie das Prototyp einer Denkweise ist und nicht das Ergebnis des Denkens.


{{ParZ|542}} "Falsch aufgezäumt" kann man von einer Erklärung sagen, wie dieser: Wir pflegten den Andern, weil wir nach Analogie des eigenen Falles glaubten, auch er habe ein Schmerzerlebnis.—Statt zu sagen: Lerne also aus diesem besondern Kapitel des menschlichen Benchmens—aus dieser Sprachverwendung—eine neue Seite.
{{ParZ|542}} "Falsch aufgezäumt" kann man von einer Erklärung sagen, wie dieser: Wir pflegten den Andern, weil wir nach Analogie des eigenen Falles glaubten, auch er habe ein Schmerzerlebnis.—Statt zu sagen: Lerne also aus diesem besondern Kapitel des menschlichen Benehmens—aus dieser Sprachverwendung—eine neue Seite.


{{ParZ|543}} Zu meinem Begriff gehört hier mein Verhältnis zur Erscheinung.
{{ParZ|543}} Zu meinem Begriff gehört hier mein Verhältnis zur Erscheinung.
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{{ParZ|544}} Wenn wir dem Arzt mitteilen, wir hätten Schmerzen—in welchen Fällen ist es nützlich, daß er sich einen Schmerz vorstelle?—Und geschieht dies nicht auf sehr mannigfache Weise? (So mannigfach, wie sich an einen Schmerz erinnern.) (Wissen, wie ein Mensch ausschaut.)
{{ParZ|544}} Wenn wir dem Arzt mitteilen, wir hätten Schmerzen—in welchen Fällen ist es nützlich, daß er sich einen Schmerz vorstelle?—Und geschieht dies nicht auf sehr mannigfache Weise? (So mannigfach, wie sich an einen Schmerz erinnern.) (Wissen, wie ein Mensch ausschaut.)


{{ParZ|545}} Angenommen, es erklärt einer, wie ein Kind den Gebrauch des Wortes "Schmerz" lernt, in dieser Weise: Wenn das Kind sich bei bestimmten Anlässen so und so benimmt, denke ich, es fühle, was ich in solchen Fällen fühle; und wenn es so ist, so assoziiert das Kind das Wort mit seinem Gefühl und gebraucht das Wort, wenn das Gefühl wieder auftritt.——''Was'' erklärt diese Erklärung? Frage dich: ''Welche'' Art der Unwissenheit behebt sie?-Sicher sein, daß der Andre Schmerzen hat, zweifeln, ob er sie hat, u. s. f., sind soviele natürliche instinktive Arten des Verhältnisses zu den andern Menschen, und unsre Sprache ist nur ein Hilfsmittel und weiterer Ausbau dieses Verhaltens. Unser Sprachspiel ist ein Ausbau des primitiven Benchmens. (Denn unser ''Sprachspiel'' ist Benehmen.) (Instinkt.)
{{ParZ|545}} Angenommen, es erklärt einer, wie ein Kind den Gebrauch des Wortes "Schmerz" lernt, in dieser Weise: Wenn das Kind sich bei bestimmten Anlässen so und so benimmt, denke ich, es fühle, was ich in solchen Fällen fühle; und wenn es so ist, so assoziiert das Kind das Wort mit seinem Gefühl und gebraucht das Wort, wenn das Gefühl wieder auftritt.——''Was'' erklärt diese Erklärung? Frage dich: ''Welche'' Art der Unwissenheit behebt sie?-Sicher sein, daß der Andre Schmerzen hat, zweifeln, ob er sie hat, u. s. f., sind soviele natürliche instinktive Arten des Verhältnisses zu den andern Menschen, und unsre Sprache ist nur ein Hilfsmittel und weiterer Ausbau dieses Verhaltens. Unser Sprachspiel ist ein Ausbau des primitiven Benehmens. (Denn unser ''Sprachspiel'' ist Benehmen.) (Instinkt.)


{{ParZ|546}} "Ich bin nicht sicher, ob er Schmerzen hat."—Wenn sich nun einer immer, wenn er dies sagt, mit einer Nadel stache, um die Bedeutung des Wortes "Schmerz" lebhaft vor der Seele zu haben, (um sich nicht mit der Vorstellung begnügen zu müssen) und zu wissen, worüber er beim Andern im Zweifel ist!—Wäre nun der Sinn seiner Aussage gesichert?
{{ParZ|546}} "Ich bin nicht sicher, ob er Schmerzen hat."—Wenn sich nun einer immer, wenn er dies sagt, mit einer Nadel stäche, um die Bedeutung des Wortes "Schmerz" lebhaft vor der Seele zu haben, (um sich nicht mit der Vorstellung begnügen zu müssen) und zu wissen, worüber er beim Andern im Zweifel ist!—Wäre nun der Sinn seiner Aussage gesichert?


{{ParZ|547}} Er hat also den wahren Schmerz; und der Besitz ''dieses'' ist es, was er beim Andern bezweifelt.—Aber wie macht er das nur?——Es ist, als sagte man mir: "Hier hast du einen Sessel. Sichst du ihn genau?—Gut—nun übertrage ihn ins Französische!"
{{ParZ|547}} Er hat also den wahren Schmerz; und der Besitz ''dieses'' ist es, was er beim Andern bezweifelt.—Aber wie macht er das nur?——Es ist, als sagte man mir: "Hier hast du einen Sessel. Siehst du ihn genau?—Gut—nun übertrage ihn ins Französische!"


{{ParZ|548}} Er hat also den wirklichen Schmerz, und nun weiß er, was er beim Andern bezweifeln soll. Er hat den Gegenstand vor sich, und es ist ''kein'' 'Benehmen' oder dergleichen. (Aber jetzt!) Zum Bezweifeln, ob der Andre Schmerzen hat, braucht er den ''Begriff'' 'Schmerz', nicht Schmerzen.
{{ParZ|548}} Er hat also den wirklichen Schmerz, und nun weiß er, was er beim Andern bezweifeln soll. Er hat den Gegenstand vor sich, und es ist ''kein'' 'Benehmen' oder dergleichen. (Aber jetzt!) Zum Bezweifeln, ob der Andre Schmerzen hat, braucht er den ''Begriff'' 'Schmerz', nicht Schmerzen.
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{{ParZ|552}} Zu dem Sprachspiel mit den Worten "er hat Schmerzen" gehört—möchte man sagen—nicht nur das Bild des Benehmens, sondern auch das Bild des Schmerzes.—Aber hier muß man sich in Acht nehmen: Denke an mein Beispiel von den privaten Tabellen, die nicht zum ''Spiel'' gehören.—Es entsteht der Eindruck der 'privaten Tabelle' im Spiel durch die ''Abwesenheit'' einer Tabelle und durch die Ähnlichkeit des Spiels mit einem solchen, das mit einer Tabelle gespielt wird.
{{ParZ|552}} Zu dem Sprachspiel mit den Worten "er hat Schmerzen" gehört—möchte man sagen—nicht nur das Bild des Benehmens, sondern auch das Bild des Schmerzes.—Aber hier muß man sich in Acht nehmen: Denke an mein Beispiel von den privaten Tabellen, die nicht zum ''Spiel'' gehören.—Es entsteht der Eindruck der 'privaten Tabelle' im Spiel durch die ''Abwesenheit'' einer Tabelle und durch die Ähnlichkeit des Spiels mit einem solchen, das mit einer Tabelle gespielt wird.


{{ParZ|553}} Bedenke: Wir gebrauchen das Wort "Ich weiß nicht” oft in seltsamer Weise; wenn wir z. B. sagen, wir wissen nicht, ob dieser wirklich mehr fühlt als der Andere, oder es nur stärker zum Ausdruck bringt. Es ist dann nicht klar, welche Art der Untersuchung die Frage entscheiden könnte. Natürlich ist die Außerung nicht ganz müßig: Wir wollen sagen, daß wir wohl die Gefühle des A und des B miteinander vergleichen können, aber uns die Umstände an einem Vergleich des A mit dem C irre werden lassen.
{{ParZ|553}} Bedenke: Wir gebrauchen das Wort "Ich weiß nicht” oft in seltsamer Weise; wenn wir z. B. sagen, wir wissen nicht, ob dieser wirklich mehr fühlt als der Andere, oder es nur stärker zum Ausdruck bringt. Es ist dann nicht klar, welche Art der Untersuchung die Frage entscheiden könnte. Natürlich ist die Äußerung nicht ganz müßig: Wir wollen sagen, daß wir wohl die Gefühle des A und des B miteinander vergleichen können, aber uns die Umstände an einem Vergleich des A mit dem C irre werden lassen.


{{ParZ|554}} Nicht darauf sehen wir, daß die Evidenz das Gefühl (also das Innere) des Andern ''nur'' wahrscheinlich macht, sondern darauf, daß wir ''dies'' als ''Evidenz'' für irgend etwas Wichtiges betrachten, daß wir auf ''diese'' verwickelte Art der Evidenz ein Urteil gründen, daß ''sie'' also in unserm Leben eine besondere Wichtigkeit hat und durch einen Begriff herausgehoben wird. (Das Innere und 'Äußere', ein ''Bild''.)
{{ParZ|554}} Nicht darauf sehen wir, daß die Evidenz das Gefühl (also das Innere) des Andern ''nur'' wahrscheinlich macht, sondern darauf, daß wir ''dies'' als ''Evidenz'' für irgend etwas Wichtiges betrachten, daß wir auf ''diese'' verwickelte Art der Evidenz ein Urteil gründen, daß ''sie'' also in unserm Leben eine besondere Wichtigkeit hat und durch einen Begriff herausgehoben wird. (Das Innere und 'Äußere', ein ''Bild''.)
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(Vergleiche: "So kann man nicht reden ohne zu denken", "So kann man nicht unwillkürlich handeln.")
(Vergleiche: "So kann man nicht reden ohne zu denken", "So kann man nicht unwillkürlich handeln.")


{{ParZ|571}} "Könntest du dir nicht eine weitere Umgebung denken, in der auch das noch als Verstellung zu deuten wäre?" Muß nicht jedes Benchmen sich so deuten lassen?
{{ParZ|571}} "Könntest du dir nicht eine weitere Umgebung denken, in der auch das noch als Verstellung zu deuten wäre?" Muß nicht jedes Benehmen sich so deuten lassen?


Aber was heißt es: daß alles Benehmen noch immer Verstellung sein ''könnte''? Hat denn Erfahrung uns das gelehrt? Und wie können wir anders über Verstellung unterrichtet sein? Nein es ist eine Bemerkung über den Begriff 'Verstellung'. Aber da wäre ja dieser Begriff unbrauchbar, denn die Verstellung hätte keine Kriterien im Benehmen.
Aber was heißt es: daß alles Benehmen noch immer Verstellung sein ''könnte''? Hat denn Erfahrung uns das gelehrt? Und wie können wir anders über Verstellung unterrichtet sein? Nein es ist eine Bemerkung über den Begriff 'Verstellung'. Aber da wäre ja dieser Begriff unbrauchbar, denn die Verstellung hätte keine Kriterien im Benehmen.
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(Fall der falschen Geste.)
(Fall der falschen Geste.)


{{ParZ|576}} Warum schließe ich nie von meinen Worten auf meine wahrscheinlichen Handlungen? Aus demselben Grunde, aus welchem ich nicht von meinem Gesichtsausdruck auf mein wahrscheinliches Benchmen schließe.—Denn nicht das ist das Interessante, daß ich nicht aus meinem Ausdruck der Gemütsbewegung auf meine Gemütsbewegung schließe, sondern, daß ich aus jenem Ausdruck auch nicht auf mein späteres Verhalten schließe, wie dies doch die Andern tun, die mich beobachten.
{{ParZ|576}} Warum schließe ich nie von meinen Worten auf meine wahrscheinlichen Handlungen? Aus demselben Grunde, aus welchem ich nicht von meinem Gesichtsausdruck auf mein wahrscheinliches Benehmen schließe.—Denn nicht das ist das Interessante, daß ich nicht aus meinem Ausdruck der Gemütsbewegung auf meine Gemütsbewegung schließe, sondern, daß ich aus jenem Ausdruck auch nicht auf mein späteres Verhalten schließe, wie dies doch die Andern tun, die mich beobachten.


{{ParZ|577}} Willkürlich sind gewisse Bewegungen mit ihrer normalen ''Umgebung'' von Absicht, Lernen, Versuchen, Handeln. Bewegungen, von denen es Sinn hat zu sagen, sie seien manchmal willkürlich, manchmal unwillkürlich, sind Bewegungen in einer speziellen Umgebung
{{ParZ|577}} Willkürlich sind gewisse Bewegungen mit ihrer normalen ''Umgebung'' von Absicht, Lernen, Versuchen, Handeln. Bewegungen, von denen es Sinn hat zu sagen, sie seien manchmal willkürlich, manchmal unwillkürlich, sind Bewegungen in einer speziellen Umgebung
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{{ParZ|583}} Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden: Einer Linie unwillkürlich folgen——Einer Linie mit Absicht folgen.
{{ParZ|583}} Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden: Einer Linie unwillkürlich folgen——Einer Linie mit Absicht folgen.


Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden: Eine Linie mit Bedacht und großer Aufmerksamkeit nachzichen——Aufmerksam beobachten, wie meine Hand einer Linie folgt.
Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden: Eine Linie mit Bedacht und großer Aufmerksamkeit nachziehen——Aufmerksam beobachten, wie meine Hand einer Linie folgt.


{{ParZ|584}} Gewisse Unterschiede sind leicht anzugeben. Einer liegt im Voraussehen dessen, was die Hand tun wird.
{{ParZ|584}} Gewisse Unterschiede sind leicht anzugeben. Einer liegt im Voraussehen dessen, was die Hand tun wird.
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{{ParZ|590}} Die Verbindung unseres Hauptproblems mit dem epistemologischen Problem des Wollens ist mir schon früher einmal aufgefallen. Wenn in der Psychologie ein solches hartnäckiges Problem auftritt, so ist es nie eine Frage nach der tatsächlichen Erfahrung (eine solche ist immer viel gutmütiger), sondern ein logisches, also eigentlich grammatisches Problem.
{{ParZ|590}} Die Verbindung unseres Hauptproblems mit dem epistemologischen Problem des Wollens ist mir schon früher einmal aufgefallen. Wenn in der Psychologie ein solches hartnäckiges Problem auftritt, so ist es nie eine Frage nach der tatsächlichen Erfahrung (eine solche ist immer viel gutmütiger), sondern ein logisches, also eigentlich grammatisches Problem.


{{ParZ|591}} Mein Benchmen ist eben manchmal Gegenstand meiner Beobachtung, aber doch ''selten''. Und das hängt damit zusammen, daß ich mein Benehmen beabsichtige. Selbst wenn der Schauspieler im Spiegel seine eigenen Mienen beobachtet, oder der Musiker genau auf jeden Ton seines Spiels merkt und ihn beurteilt, so geschicht es doch, um seine Handlung danach zu richten.
{{ParZ|591}} Mein Benehmen ist eben manchmal Gegenstand meiner Beobachtung, aber doch ''selten''. Und das hängt damit zusammen, daß ich mein Benehmen beabsichtige. Selbst wenn der Schauspieler im Spiegel seine eigenen Mienen beobachtet, oder der Musiker genau auf jeden Ton seines Spiels merkt und ihn beurteilt, so geschicht es doch, um seine Handlung danach zu richten.


{{ParZ|592}} Was heißt es z. B., daß Selbstbeobachtung mein Handeln, meine Bewegungen unsicher macht?
{{ParZ|592}} Was heißt es z. B., daß Selbstbeobachtung mein Handeln, meine Bewegungen unsicher macht?
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{{ParZ|593}} Wenn ein Kind im Zorn mit den Füßen stampft und heult,—wer würde sagen, es täte dies unwillkürlich? Und warum? Warum nimmt man an, es täte dies nicht unwillkürlich? Was sind die ''Zeichen'' des willkürlichen Handelns? Gibt es solche Zeichen?—Was sind denn die Zeichen der unwillkürlichen Bewegung? Sie folgt Befehlen nicht, wie die willkürliche Handlung. Es gibt ein "Komm her!", "Geh dort hin", "Mach diese Armbewegung!"; aber nicht "Laß dein Herz klopfen!”
{{ParZ|593}} Wenn ein Kind im Zorn mit den Füßen stampft und heult,—wer würde sagen, es täte dies unwillkürlich? Und warum? Warum nimmt man an, es täte dies nicht unwillkürlich? Was sind die ''Zeichen'' des willkürlichen Handelns? Gibt es solche Zeichen?—Was sind denn die Zeichen der unwillkürlichen Bewegung? Sie folgt Befehlen nicht, wie die willkürliche Handlung. Es gibt ein "Komm her!", "Geh dort hin", "Mach diese Armbewegung!"; aber nicht "Laß dein Herz klopfen!”


{{ParZ|594}} Es gibt ein bestimmtes Zusammenspiel von Bewegungen, Worten, Mienen wie den Außerungen des Unwillens oder der Bereitschaft, die die willkürlichen Bewegungen des normalen Menschen charakterisieren. Wenn man das Kind ruft, so kommt es nicht automatisch: Es gibt da z. B. die Gebärde "Ich will nicht!". Oder das freudige Kommen, den Entschluß zu kommen, das Fortlaufen mit dem Zeichen der Furcht, die Wirkungen des Zuredens, alle die Reaktionen des Spiels, die Zeichen des Uberlegens und seine Wirkungen.
{{ParZ|594}} Es gibt ein bestimmtes Zusammenspiel von Bewegungen, Worten, Mienen wie den Äußerungen des Unwillens oder der Bereitschaft, die die willkürlichen Bewegungen des normalen Menschen charakterisieren. Wenn man das Kind ruft, so kommt es nicht automatisch: Es gibt da z. B. die Gebärde "Ich will nicht!". Oder das freudige Kommen, den Entschluß zu kommen, das Fortlaufen mit dem Zeichen der Furcht, die Wirkungen des Zuredens, alle die Reaktionen des Spiels, die Zeichen des Überlegens und seine Wirkungen.


{{ParZ|595}} Wie könnte ich mir beweisen, daß ich meinen Arm willkürlich bewegen kann? Etwa, indem ich mir sage "Ich werde ihn jetzt bewegen" und er sich nun bewegt? Oder soll ich sagen "Einfach, indem ich ihn bewege"? Aber wie weiß ich, daß ich es getan habe, und er sich nicht nur durch Zufall bewegt hat? Fühle ich es am Ende doch? Und wie, wenn mich meine Erinnerung an frühere Gefühle täuschte, und es also gar nicht die richtigen maßgebenden Gefühle waren?! (Und welches sind die Richtigen?) Und wie weiß denn der Andere, ob ''ich'' den Arm willkürlich bewegt habe? Ich werde ihm vielleicht sagen "Befiehl mir, welche Bewegung du willst, und ich werde sie machen, um dich zu überzeugen".—Und was fühlst du denn in deinem Arm? "Nun, das Gewöhnliche." Es ist nichts Ungewöhnliches an den Gefühlen,der Arm ist z. B. nicht gefühllos (wie wenn er ‘eingeschlafen' wäre).
{{ParZ|595}} Wie könnte ich mir beweisen, daß ich meinen Arm willkürlich bewegen kann? Etwa, indem ich mir sage "Ich werde ihn jetzt bewegen" und er sich nun bewegt? Oder soll ich sagen "Einfach, indem ich ihn bewege"? Aber wie weiß ich, daß ich es getan habe, und er sich nicht nur durch Zufall bewegt hat? Fühle ich es am Ende doch? Und wie, wenn mich meine Erinnerung an frühere Gefühle täuschte, und es also gar nicht die richtigen maßgebenden Gefühle waren?! (Und welches sind die Richtigen?) Und wie weiß denn der Andere, ob ''ich'' den Arm willkürlich bewegt habe? Ich werde ihm vielleicht sagen "Befiehl mir, welche Bewegung du willst, und ich werde sie machen, um dich zu überzeugen".—Und was fühlst du denn in deinem Arm? "Nun, das Gewöhnliche." Es ist nichts Ungewöhnliches an den Gefühlen,—der Arm ist z. B. nicht gefühllos (wie wenn er 'eingeschlafen' wäre).


{{ParZ|596}} Eine Bewegung meines Körpers, von der ich nicht weiß, daß sie stattfindet oder stattgefunden hat, wird man unwillkürlich nennen.—Wie ist es aber, wenn ich bloß ''versuche'', ein Gewicht zu heben, eine Bewegung also nicht stattfindet? Wie wäre es, wenn ciner sich unwillkürlich anstrengte, ein Gewicht zu heben? Unter welchen Umständen würde man ''dies'' Verhalten 'unwillkürlich' nennen?
{{ParZ|596}} Eine Bewegung meines Körpers, von der ich nicht weiß, daß sie stattfindet oder stattgefunden hat, wird man unwillkürlich nennen.—Wie ist es aber, wenn ich bloß ''versuche'', ein Gewicht zu heben, eine Bewegung also nicht stattfindet? Wie wäre es, wenn einer sich unwillkürlich anstrengte, ein Gewicht zu heben? Unter welchen Umständen würde man ''dies'' Verhalten 'unwillkürlich' nennen?


{{ParZ|597}} Kann nicht die Ruhe ebenso willkürlich sein, wie Bewegung? Kann das Unterlassen der Bewegung nicht willkürlich sein? Welch besseres Argument gegen ein Innervationsgefühl?
{{ParZ|597}} Kann nicht die Ruhe ebenso willkürlich sein, wie Bewegung? Kann das Unterlassen der Bewegung nicht willkürlich sein? Welch besseres Argument gegen ein Innervationsgefühl?
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{{ParZ|598}} Was für ein merkwürdiger Begriff 'versuchen', 'trachten' ist; was man alles ‘zu tun trachten' kann! (Sich erinnern, ein Gewicht heben, aufmerken, an nichts denken.) Aber dann könnte man auch sagen: Was für ein merkwürdiger Begriff 'tun' ist! Welches sind die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen 'Reden' und 'Denken', zwischen 'Reden' und 'zu sich selbst reden'? (Vergleiche die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Zahlenarten.)
{{ParZ|598}} Was für ein merkwürdiger Begriff 'versuchen', 'trachten' ist; was man alles ‘zu tun trachten' kann! (Sich erinnern, ein Gewicht heben, aufmerken, an nichts denken.) Aber dann könnte man auch sagen: Was für ein merkwürdiger Begriff 'tun' ist! Welches sind die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen 'Reden' und 'Denken', zwischen 'Reden' und 'zu sich selbst reden'? (Vergleiche die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Zahlenarten.)


{{ParZ|599}} Man zicht ganz andere Schlüsse aus der unwillkürlichen Bewegung, als aus der willkürlichen: das ''charakterisiert'' die willkürliche Bewegung.
{{ParZ|599}} Man zieht ganz andere Schlüsse aus der unwillkürlichen Bewegung, als aus der willkürlichen: das ''charakterisiert'' die willkürliche Bewegung.


{{ParZ|600}} Aber wie weiß ich, daß diese Bewegung willkürlich war?—Ich weiß es nicht, ich äußere es.
{{ParZ|600}} Aber wie weiß ich, daß diese Bewegung willkürlich war?—Ich weiß es nicht, ich äußere es.
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(Denke auch daran: Manche Leute sagen, von dem und dem 'gehe ein Fluidum aus'.—Daher fiel uns auch das Wort "''Einfluß''" ein.)
(Denke auch daran: Manche Leute sagen, von dem und dem 'gehe ein Fluidum aus'.—Daher fiel uns auch das Wort "''Einfluß''" ein.)


{{ParZ|603}} Die Unvorhersehbarkeit des menschlichen Benehmens. Wäre sie nicht vorhanden,—würde man dann auch sagen, man konne nie wissen, was im Andern vorgeht?
{{ParZ|603}} Die Unvorhersehbarkeit des menschlichen Benehmens. Wäre sie nicht vorhanden,—würde man dann auch sagen, man könne nie wissen, was im Andern vorgeht?


{{ParZ|604}} Aber wie wär's, wenn das menschliche Benchmen nicht unvorhersehbar wäre? Wie hat man sich das vorzustellen? (D. h.: wie auszumalen, welche Verbindungen anzunehmen?)
{{ParZ|604}} Aber wie wär's, wenn das menschliche Benehmen nicht unvorhersehbar wäre? Wie hat man sich das vorzustellen? (D. h.: wie auszumalen, welche Verbindungen anzunehmen?)


{{ParZ|605}} Eine der philosophisch gefährlichsten Ideen ist, merkwürdigerweise, daß wir mit dem Kopf oder im Kopf denken.
{{ParZ|605}} Eine der philosophisch gefährlichsten Ideen ist, merkwürdigerweise, daß wir mit dem Kopf oder im Kopf denken.
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{{ParZ|607}} Ist das Denken sozusagen ein spezifisch ''organischer'' Vorgang der Seele—gleichsam ein Kauen und Verdauen in der Seele? Kann man ihn dann durch einen anorganischen Vorgang ersetzen, der den gleichen Zweck erfüllt, sozusagen mit einer Prothese das Denken besorgen? Wie müßte man sich eine Denkprothese vorstellen?
{{ParZ|607}} Ist das Denken sozusagen ein spezifisch ''organischer'' Vorgang der Seele—gleichsam ein Kauen und Verdauen in der Seele? Kann man ihn dann durch einen anorganischen Vorgang ersetzen, der den gleichen Zweck erfüllt, sozusagen mit einer Prothese das Denken besorgen? Wie müßte man sich eine Denkprothese vorstellen?


{{ParZ|608}} Keine Annahme scheint mir natürlicher, als daß dem Assoziieren oder Denken kein Prozeß im Gehirn zugeordnet ist; so zwar, daß es also unmöglich wäre, aus Gehirnprozessen Denkprozesse abzulesen. Ich meine das so: Wenn ich rede oder schreibe, so geht, nehme ich an, ein meinem gesprochenen oder geschriebenen Gedanken zugeordnetes System von Impulsen von meinem Gehirn aus. Aber warum sollte das ''System'' sich weiter in zentraler Richtung fortsetzen? Warum soll nicht sozusagen diese Ordnung aus dem Chaos entspringen? Der Fall wäre ähnlich dem—daß sich gewisse Pflanzenarten durch Samen vermehrten so daß ein Same immer dieselbe Planzenart erzeugt, von der er erzeugt wurde,—daß aber ''nichts'' in dem Samen der Pflanze, die aus ihm wird, entspricht; so daß es unmöglich ist, aus den Eigenschaften oder der Struktur des Samens auf die der Pflanze, die aus ihm wird, zu schließen,—daß man dies nur aus seiner ''Geschichte'' tun kann. So könnte also aus etwas ganz Amorphem ein Organismus sozusagen ursachelos werden; und es ist kein Grund, warum sich dies nicht mit unserem Gedanken, also mit unserem Reden oder Schreiben etc. wirklich so verhalten sollte.
{{ParZ|608}} Keine Annahme scheint mir natürlicher, als daß dem Assoziieren oder Denken kein Prozeß im Gehirn zugeordnet ist; so zwar, daß es also unmöglich wäre, aus Gehirnprozessen Denkprozesse abzulesen. Ich meine das so: Wenn ich rede oder schreibe, so geht, nehme ich an, ein meinem gesprochenen oder geschriebenen Gedanken zugeordnetes System von Impulsen von meinem Gehirn aus. Aber warum sollte das ''System'' sich weiter in zentraler Richtung fortsetzen? Warum soll nicht sozusagen diese Ordnung aus dem Chaos entspringen? Der Fall wäre ähnlich dem—daß sich gewisse Pflanzenarten durch Samen vermehrten so daß ein Same immer dieselbe Pflanzenart erzeugt, von der er erzeugt wurde,—daß aber ''nichts'' in dem Samen der Pflanze, die aus ihm wird, entspricht; so daß es unmöglich ist, aus den Eigenschaften oder der Struktur des Samens auf die der Pflanze, die aus ihm wird, zu schließen,—daß man dies nur aus seiner ''Geschichte'' tun kann. So könnte also aus etwas ganz Amorphem ein Organismus sozusagen ursachelos werden; und es ist kein Grund, warum sich dies nicht mit unserem Gedanken, also mit unserem Reden oder Schreiben etc. wirklich so verhalten sollte.


{{ParZ|609}} Es ist also wohl möglich, daß gewisse psychologische Phänomene physiologisch nicht untersucht werden ''können'', weil ihnen physiologisch nichts entspricht.
{{ParZ|609}} Es ist also wohl möglich, daß gewisse psychologische Phänomene physiologisch nicht untersucht werden ''können'', weil ihnen physiologisch nichts entspricht.


{{ParZ|610}} Ich habe diesen Mann vor Jahren gesehen; nun sehe ich ihn wieder, erkenne ihn, erinnere mich seines Namens. Un warum muß es nun für dies Erinnern eine Ursache in meinem Nervensystem geben? Warum muß irgend etwas, was immer, ''in irgendeiner Form'' dort aufgespeichert worden sein? Warum ''muß'' er eine Spur hinterlassen haben? Warum soll es keine psychologische Gesetzmäßigkeit geben, der ''keine'' physiologische entspricht? Wenn das unsere Begriffe von der Kausalität umstößt, dann ist es Zeit, daß sie umgestoßen werden.
{{ParZ|610}} Ich habe diesen Mann vor Jahren gesehen; nun sehe ich ihn wieder, erkenne ihn, erinnere mich seines Namens. Und warum muß es nun für dies Erinnern eine Ursache in meinem Nervensystem geben? Warum muß irgend etwas, was immer, ''in irgendeiner Form'' dort aufgespeichert worden sein? Warum ''muß'' er eine Spur hinterlassen haben? Warum soll es keine psychologische Gesetzmäßigkeit geben, der ''keine'' physiologische entspricht? Wenn das unsere Begriffe von der Kausalität umstößt, dann ist es Zeit, daß sie umgestoßen werden.


{{ParZ|611}} Das Vorurteil zugunsten des psycho-physischen Parallelismus ist cine Frucht primitiver Auffassungen unserer Begriffe. Denn wenn man Kausalität zwischen psychologischen Erscheinungen zuläßt, die nicht physiologisch vermittelt ist, so denkt man damit das Eingeständnis eines nebelhaften Seelenwesens zu machen.
{{ParZ|611}} Das Vorurteil zugunsten des psycho-physischen Parallelismus ist cine Frucht primitiver Auffassungen unserer Begriffe. Denn wenn man Kausalität zwischen psychologischen Erscheinungen zuläßt, die nicht physiologisch vermittelt ist, so denkt man damit das Eingeständnis eines nebelhaften Seelenwesens zu machen.
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Wohl——aber da nun die Struktur des Auges einmal bekannt ist,—''wie kommt es'', daß wir so handeln, so reagieren? Aber muß es hier eine physiologische Erklärung geben? Wie, wenn wir sie auf sich beruhen ließen? Aber so würdest du doch nicht sprechen, wenn du das Verhalten einer Maschine prüftest!—Nun, wer sagt, daß in diesem Sinne das Lebewesen, der tierische Leib eine Maschine ist?—
Wohl——aber da nun die Struktur des Auges einmal bekannt ist,—''wie kommt es'', daß wir so handeln, so reagieren? Aber muß es hier eine physiologische Erklärung geben? Wie, wenn wir sie auf sich beruhen ließen? Aber so würdest du doch nicht sprechen, wenn du das Verhalten einer Maschine prüftest!—Nun, wer sagt, daß in diesem Sinne das Lebewesen, der tierische Leib eine Maschine ist?—


{{ParZ|615}} (Ich habe noch nie eine Bemerkung darüber gelesen, daß, wenn man ein Auge schließt und "nur mit einem Auge sicht", man die Finsternis (Schwärze) nicht zugleich mit dem geschlossenen sicht.)
{{ParZ|615}} (Ich habe noch nie eine Bemerkung darüber gelesen, daß, wenn man ein Auge schließt und "nur mit einem Auge sieht", man die Finsternis (Schwärze) nicht zugleich mit dem geschlossenen sieht.)


{{ParZ|616}} Die Grenzenlosigkeit des Gesichtsraumes ist am klarsten, wenn wir nichts schen bei vollständiger Dunkelheit.
{{ParZ|616}} Die Grenzenlosigkeit des Gesichtsraumes ist am klarsten, wenn wir nichts sehen bei vollständiger Dunkelheit.


{{ParZ|617}} Wie verhält es sich mit dem Blinden; kann ihm ein Teil der ''Sprache'' nicht erklärt werden? Oder vielmehr nicht ''beschrieben'' werden?
{{ParZ|617}} Wie verhält es sich mit dem Blinden; kann ihm ein Teil der ''Sprache'' nicht erklärt werden? Oder vielmehr nicht ''beschrieben'' werden?


{{ParZ|618}} Ein Blinder kann sagen, er sei blind und die Leute um ihn seien schend. "Ja, aber meint er nicht doch etwas Anderes mit den Worten 'blind' und 'sehend' als der Sehende?" Worauf beruht es, daß man so etwas sagen will? Nun, wenn einer nicht wüßte, wie ein Leopard ausschaut, so könnte er doch sagen und verstehen “Dieser Ort ist sehr gefährlich, es gibt Leoparden dort". Man würde aber doch vielleicht sagen, er weiß nicht, was ein Leopard ist, also nicht oder nur unvollständig, was das Wort "Leopard" bedeutet, bis man ihm einmal ein solches Tier zeigt. Nun kommt es uns mit den Blinden ähnlich vor. Sie wissen sozusagen nicht, wie sehen ist.—Ist nun 'Furcht nicht kennen' analog dem 'nie einen Leoparden gesehen haben'? Das will ich natürlich verneinen.
{{ParZ|618}} Ein Blinder kann sagen, er sei blind und die Leute um ihn seien sehend. "Ja, aber meint er nicht doch etwas Anderes mit den Worten 'blind' und 'sehend' als der Sehende?" Worauf beruht es, daß man so etwas sagen will? Nun, wenn einer nicht wüßte, wie ein Leopard ausschaut, so könnte er doch sagen und verstehen “Dieser Ort ist sehr gefährlich, es gibt Leoparden dort". Man würde aber doch vielleicht sagen, er weiß nicht, was ein Leopard ist, also nicht oder nur unvollständig, was das Wort "Leopard" bedeutet, bis man ihm einmal ein solches Tier zeigt. Nun kommt es uns mit den Blinden ähnlich vor. Sie wissen sozusagen nicht, wie sehen ist.—Ist nun 'Furcht nicht kennen' analog dem 'nie einen Leoparden gesehen haben'? Das will ich natürlich verneinen.


{{ParZ|619}} Könnte ich denn nicht z. B. annehmen, daß er etwas Rotes sieht, wenn ich ihn auf den Kopf schlage? Es könnte das ja bei Sehenden einer Erfahrung entsprechen.
{{ParZ|619}} Könnte ich denn nicht z. B. annehmen, daß er etwas Rotes sieht, wenn ich ihn auf den Kopf schlage? Es könnte das ja bei Sehenden einer Erfahrung entsprechen.
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Auf die Frage "Was stellst du dir vor", kann man mit einem Bild antworten.
Auf die Frage "Was stellst du dir vor", kann man mit einem Bild antworten.


{{ParZ|622}} Man möchte sagen: Der vorgestellte Klang sei in einem andern ''Raum'' als der gehörte. (Frage: Warum?) Das Geschene in einem andern Raum, als das Vorgestellte.
{{ParZ|622}} Man möchte sagen: Der vorgestellte Klang sei in einem andern ''Raum'' als der gehörte. (Frage: Warum?) Das Gesehene in einem andern Raum, als das Vorgestellte.


Hören ist mit Hinhorchen verbunden; einen Klang sich vorstellen, nicht.
Hören ist mit Hinhorchen verbunden; einen Klang sich vorstellen, nicht.
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{{ParZ|623}} Ich lese eine Geschichte und stelle mir während des Lesens, also während des aufmerksamen Schauens, also deutlichen Sehens, alles mögliche vor.
{{ParZ|623}} Ich lese eine Geschichte und stelle mir während des Lesens, also während des aufmerksamen Schauens, also deutlichen Sehens, alles mögliche vor.


{{ParZ|624}} Es könnte Leute geben, die nie den Ausdruck gebrauchen "etwas vor dem inneren Auge sehen", oder einen ähnlichen; und diese könnten doch imstande sein, 'aus der Vorstellung', oder nach der Erinnerung zu zeichnen, zu modellieren, Andere nachzuahmen, etc. Ein solcher möge auch, che er etwas aus der Erinnerung zeichnet, die Augen schließen oder wie blind vor sich hinstarren. Und doch könnte er leugnen, daß er dann vor sich ''sieht'', was später zeichnet. Aber wieviel müßte ich auf diese Außerung geben? Ist nach ihr zu beurteilen, ob er eine Gesichtsvorstellung hat? (Nicht nur ''danach''. Denk an den Ausdruck: "Jetzt sehe ich es vor mir—jetzt nicht mehr." Es gibt da eine echte Dauer.)
{{ParZ|624}} Es könnte Leute geben, die nie den Ausdruck gebrauchen "etwas vor dem inneren Auge sehen", oder einen ähnlichen; und diese könnten doch imstande sein, 'aus der Vorstellung', oder nach der Erinnerung zu zeichnen, zu modellieren, Andere nachzuahmen, etc. Ein solcher möge auch, ehe er etwas aus der Erinnerung zeichnet, die Augen schließen oder wie blind vor sich hinstarren. Und doch könnte er leugnen, daß er dann vor sich ''sieht'', was später zeichnet. Aber wieviel müßte ich auf diese Äußerung geben? Ist nach ihr zu beurteilen, ob er eine Gesichtsvorstellung hat? (Nicht nur ''danach''. Denk an den Ausdruck: "Jetzt sehe ich es vor mir—jetzt nicht mehr." Es gibt da eine echte Dauer.)


{{ParZ|625}} Ich hätte früher auch sagen können: Der ''Zusammenhang'' zwischen Vorstellen und Sehen ist eng; eine ''Ähnlichkeit'' aber gibt es nicht.
{{ParZ|625}} Ich hätte früher auch sagen können: Der ''Zusammenhang'' zwischen Vorstellen und Sehen ist eng; eine ''Ähnlichkeit'' aber gibt es nicht.


Die Sprachspiele, die diese Begriffe verwenden, sind grundver. schieden,—hängen aber zusammen.
Die Sprachspiele, die diese Begriffe verwenden, sind grundverschieden,—hängen aber zusammen.


{{ParZ|626}} Unterschied: 'trachten, etwas zu sehen' und 'trachten, sich etwas vorzustellen'. Im ersten Fall sagt man etwa "Schau genau hin!", im zweiten "Schließ die Augen!"
{{ParZ|626}} Unterschied: 'trachten, etwas zu sehen' und 'trachten, sich etwas vorzustellen'. Im ersten Fall sagt man etwa "Schau genau hin!", im zweiten "Schließ die Augen!"
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{{ParZ|627}} Weil das Vorstellen eine Willenshandlung ist, unterrichtet es uns eben nicht über die Außenwelt.
{{ParZ|627}} Weil das Vorstellen eine Willenshandlung ist, unterrichtet es uns eben nicht über die Außenwelt.


{{ParZ|628}} Das Vorgestellte nicht im gleichen ''Raum'' wie das Geschene. Sehen ist mit Schauen verbunden.
{{ParZ|628}} Das Vorgestellte nicht im gleichen ''Raum'' wie das Gesehene. Sehen ist mit Schauen verbunden.


{{ParZ|629}} "Sehen und Vorstellen sind verschiedene Phänomene."—Die Wörter "sehen" und "vorstellen" haben verschieden Bedeutung! Ihre Bedeutungen beziehen sich auf eine Menge wichtiger Arten und Weisen menschlichen Verhaltens, auf Phänomene des menschlichen Lebens.
{{ParZ|629}} "Sehen und Vorstellen sind verschiedene Phänomene."—Die Wörter "sehen" und "vorstellen" haben verschieden Bedeutung! Ihre Bedeutungen beziehen sich auf eine Menge wichtiger Arten und Weisen menschlichen Verhaltens, auf Phänomene des menschlichen Lebens.
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{{ParZ|635}} Muß man aber hier unterscheiden: (a) mir das Gesicht eines Freundes z. B. vorstellen, aber nicht in dem Raum, der mich umgibt—(b) mir an dieser Wand dort ein Bild vorstellen?
{{ParZ|635}} Muß man aber hier unterscheiden: (a) mir das Gesicht eines Freundes z. B. vorstellen, aber nicht in dem Raum, der mich umgibt—(b) mir an dieser Wand dort ein Bild vorstellen?


Man könnte auf die Aufforderung "Stell dir dort drüben cinen runden Fleck vor" sich einbilden, wirklich einen dort zu sehen.
Man könnte auf die Aufforderung "Stell dir dort drüben einen runden Fleck vor" sich einbilden, wirklich einen dort zu sehen.


{{ParZ|636}} Das 'Vorstellungsbild' tritt nicht dort ins Sprachspiel ein, wo man es vermuten möchte.
{{ParZ|636}} Das 'Vorstellungsbild' tritt nicht dort ins Sprachspiel ein, wo man es vermuten möchte.
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{{ParZ|644}} Ein Sprachspiel umfaßt ja den Gebrauch ''mehrerer'' Wörter.
{{ParZ|644}} Ein Sprachspiel umfaßt ja den Gebrauch ''mehrerer'' Wörter.


{{ParZ|645}} Nichts könnte falscher sein als zu sagen, Schen und Vorstellen seien verschiedene Tätigkeiten. Das ist, als sagte man im Schach ziehen und verlieren seien verschiedene Tätigkeiten.
{{ParZ|645}} Nichts könnte falscher sein als zu sagen, Sehen und Vorstellen seien verschiedene Tätigkeiten. Das ist, als sagte man im Schach ziehen und verlieren seien verschiedene Tätigkeiten.


{{ParZ|646}} Wenn wir als Kinder die Worte "sehen", "schauen", "vorstellen" gebrauchen lernen, so spielen bei dieser Abrichtung Willenshandlungen und Befehle eine Rolle. Aber für jedes der drei Wörter eine Andere. Das Sprachspiel "Schaul" und "Stell dir .... vor!"—Wie soll ich sie nur vergleichen?—Wenn wir jemanden abrichten wollen, daß er auf den Befehl "Schau ....!" reagiert, und dazu, daß er den Befehl "Stell dir .... vor!" versteht, so müssen wir ihn doch offenbar ganz Anderes lehren. Reaktionen, die zu diesem Sprachspiel gehören, gehören zu jenem nicht. Ja, ein enger Zusammenhang der Sprachspiele ist natürlich da, aber eine Ähnlichkeit?—Stücke des einen sind Stücken des andern ähnlich, aber die ähnlichen Stücke sind nicht homolog.
{{ParZ|646}} Wenn wir als Kinder die Worte "sehen", "schauen", "vorstellen" gebrauchen lernen, so spielen bei dieser Abrichtung Willenshandlungen und Befehle eine Rolle. Aber für jedes der drei Wörter eine Andere. Das Sprachspiel "Schaul" und "Stell dir .... vor!"—Wie soll ich sie nur vergleichen?—Wenn wir jemanden abrichten wollen, daß er auf den Befehl "Schau ....!" reagiert, und dazu, daß er den Befehl "Stell dir .... vor!" versteht, so müssen wir ihn doch offenbar ganz Anderes lehren. Reaktionen, die zu diesem Sprachspiel gehören, gehören zu jenem nicht. Ja, ein enger Zusammenhang der Sprachspiele ist natürlich da, aber eine Ähnlichkeit?—Stücke des einen sind Stücken des andern ähnlich, aber die ähnlichen Stücke sind nicht homolog.


{{ParZ|647}} Ich könnte mir etwas Ahnliches für wirkliche Spiele denken.
{{ParZ|647}} Ich könnte mir etwas Ähnliches für wirkliche Spiele denken.


{{ParZ|648}} Ein Sprachspiel analog einem Teil eines andern. Ein Raum in begrenzte Stücke eines Raums projiziert. Ein 'löchriger' Raum. (Zu "Innen und Aussen".)
{{ParZ|648}} Ein Sprachspiel analog einem Teil eines andern. Ein Raum in begrenzte Stücke eines Raums projiziert. Ein 'löchriger' Raum. (Zu "Innen und Aussen".)
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{{ParZ|671}} Etwas sagen, ist eine Tätigkeit, geneigt sein, etwas zu sagen, ein ''Zustand''. "Aber warum besteht der?"—Gib dir darüber Rechenschaft, wie der Ausdruck verwendet wird!
{{ParZ|671}} Etwas sagen, ist eine Tätigkeit, geneigt sein, etwas zu sagen, ein ''Zustand''. "Aber warum besteht der?"—Gib dir darüber Rechenschaft, wie der Ausdruck verwendet wird!


{{ParZ|672}} "Solange die Temperatur des Stabes nicht unter ..... herabsinkt, kann man ihn schmieden.” Es hat also Sinn zu sagen: "ich kann ihn von 5 bis 6 Uhr schmieden". Oder: "Ich kann von 5 bis 6 Schach spielen", d. h., ich habe von 5 bis 6 Zeit.—"Solange mein Puls nicht unter .... herabsinkt, kann ich die Rechnung ausführen." Diese Rechnung braucht 1½ Minuten; wielange braucht es aber: sie ausführen ''können''? Und wenn du sie eine Stunde lang rechnen ''kannst'', fangst du da immer wieder von Frischem an?
{{ParZ|672}} "Solange die Temperatur des Stabes nicht unter ..... herabsinkt, kann man ihn schmieden.” Es hat also Sinn zu sagen: "ich kann ihn von 5 bis 6 Uhr schmieden". Oder: "Ich kann von 5 bis 6 Schach spielen", d. h., ich habe von 5 bis 6 Zeit.—"Solange mein Puls nicht unter .... herabsinkt, kann ich die Rechnung ausführen." Diese Rechnung braucht 1½ Minuten; wielange braucht es aber: sie ausführen ''können''? Und wenn du sie eine Stunde lang rechnen ''kannst'', fängst du da immer wieder von Frischem an?


{{ParZ|673}} Die Aufmerksamkeit ist dynamisch, nicht statisch—möchte man sagen. Ich vergleiche das Aufmerken zuerst mit einem Hinstarren: das ist es aber nicht, was ich Aufmerksamkeit nenne; und will nun sagen, ich finde, man ''könne'' nicht statisch aufmerken.
{{ParZ|673}} Die Aufmerksamkeit ist dynamisch, nicht statisch—möchte man sagen. Ich vergleiche das Aufmerken zuerst mit einem Hinstarren: das ist es aber nicht, was ich Aufmerksamkeit nenne; und will nun sagen, ich finde, man ''könne'' nicht statisch aufmerken.
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{{ParZ|683}} Ist die Verneinung eines Satzes identisch mit der Disjunktion der nicht ausgeschlossenen Fälle? Sie ist es in manchen Fällen. (Z. B. in diesem: "Die Permutation der Elemente A B C, die er anschrieb, war nicht A C B.")
{{ParZ|683}} Ist die Verneinung eines Satzes identisch mit der Disjunktion der nicht ausgeschlossenen Fälle? Sie ist es in manchen Fällen. (Z. B. in diesem: "Die Permutation der Elemente A B C, die er anschrieb, war nicht A C B.")


{{ParZ|684}} Der wichtige Sinn des Fregeschen Behauptungszeichens wird vielleicht am besten dadurch gefaßt, daß wir sagen: es bezeichnet deutlich den ''Anfang des Satzes''.—Das ist ''wichtig'': denn unsere philosophischen Schwierigkeiten, das Wesen der 'Negation' und des 'Denkens' betreffend, hängen damit zusammen, daß ein Satz "<math>\vdash</math> nicht p", oder "<math>\vdash</math> ich glaube p" wohl den Satz "p" enthält, aber nicht "<math>\vdash</math>p". (Denn wenn ich jemanden sagen höre: "es regner", so weiß ich nicht, was er gesagt hat, wenn ich nicht weiß, ob ich den ''Anfang'' des Satzes gehört habe.)
{{ParZ|684}} Der wichtige Sinn des Fregeschen Behauptungszeichens wird vielleicht am besten dadurch gefaßt, daß wir sagen: es bezeichnet deutlich den ''Anfang des Satzes''.—Das ist ''wichtig'': denn unsere philosophischen Schwierigkeiten, das Wesen der 'Negation' und des 'Denkens' betreffend, hängen damit zusammen, daß ein Satz "<math>\vdash</math> nicht p", oder "<math>\vdash</math> ich glaube p" wohl den Satz "p" enthält, aber nicht "<math>\vdash</math>p". (Denn wenn ich jemanden sagen höre: "es regnet", so weiß ich nicht, was er gesagt hat, wenn ich nicht weiß, ob ich den ''Anfang'' des Satzes gehört habe.)


{{ParZ|685}} Ein Widerspruch verhindert mich, im Sprachspiel zur Tat zu kommen.
{{ParZ|685}} Ein Widerspruch verhindert mich, im Sprachspiel zur Tat zu kommen.
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{{ParZ|690}} Unser Motto könnte sein: "Lassen wir uns nicht behexen!"
{{ParZ|690}} Unser Motto könnte sein: "Lassen wir uns nicht behexen!"


{{ParZ|691}} "Der Kretische Lügner". Statt zu sagen "ich lüge", könnte er auch hinschreiben "dieser Satz ist falsch". Die Antwort darauf wäre: "Wohl, aber welchen Satz meinst du?"—"Nun, ''diesen'' Satz."—"Ich verstehe, aber von welchem Satz ist in ''ihm'' die Rede?"—"Von ''diesem''."—"Gut, und auf welchen Satz spielt ''dieser'' an?” u.s.w. Er könnte uns so nicht erklären, was er meint, che er zu einem kompletten Satz übergeht.—Man kann auch sagen: Der fundamentale Fehler liegt darin, daß man denkt, ein Wort, z. B. "dieser Satz", könne auf seinen Gegenstand gleichsam anspielen (aus der Entfernung hindeuten), ohne ihn vertreten zu müssen.
{{ParZ|691}} "Der Kretische Lügner". Statt zu sagen "ich lüge", könnte er auch hinschreiben "dieser Satz ist falsch". Die Antwort darauf wäre: "Wohl, aber welchen Satz meinst du?"—"Nun, ''diesen'' Satz."—"Ich verstehe, aber von welchem Satz ist in ''ihm'' die Rede?"—"Von ''diesem''."—"Gut, und auf welchen Satz spielt ''dieser'' an?” u.s.w. Er könnte uns so nicht erklären, was er meint, ehe er zu einem kompletten Satz übergeht.—Man kann auch sagen: Der fundamentale Fehler liegt darin, daß man denkt, ein Wort, z. B. "dieser Satz", könne auf seinen Gegenstand gleichsam anspielen (aus der Entfernung hindeuten), ohne ihn vertreten zu müssen.


{{ParZ|692}} Stellen wir uns die Frage: Welchem praktischen Zweck kann Russell's Theorie der Typen dienen?—R. macht uns darauf aufmerksam, daß wir manchmal den Ausdruck der Allgemeinheit cinschränken müssen um zu vermeiden, daß unerwünschte Konsequenzen aus ihm gezogen werden.
{{ParZ|692}} Stellen wir uns die Frage: Welchem praktischen Zweck kann Russell's Theorie der Typen dienen?—R. macht uns darauf aufmerksam, daß wir manchmal den Ausdruck der Allgemeinheit einschränken müssen um zu vermeiden, daß unerwünschte Konsequenzen aus ihm gezogen werden.


{{ParZ|693}} Das Raisonnement, das zu einem endlosen Regreß führt, ist nicht darum aufzugeben, 'weil wir so nie das Ziel erreichen können', sondern, weil es hier ein Ziel nicht gibt; so daß es gar keinen Sinn hat zu sagen "wir können es nicht erreichen".
{{ParZ|693}} Das Raisonnement, das zu einem endlosen Regreß führt, ist nicht darum aufzugeben, 'weil wir so nie das Ziel erreichen können', sondern, weil es hier ein Ziel nicht gibt; so daß es gar keinen Sinn hat zu sagen "wir können es nicht erreichen".
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::von F'(2)<div style="display:inline-block; width: 3em;"></div>F(2,2) etc.
::von F'(2)<div style="display:inline-block; width: 3em;"></div>F(2,2) etc.


aber die Regel zur Bildung der 100sten Stelle von F'(n) wird F(100,100); d. h., sie sagt uns nur, daß die rooste Stelle sich selber gleich sein soll, ist also für n = 100 ''keine'' Regel.
aber die Regel zur Bildung der 100sten Stelle von F'(n) wird F(100,100); d. h., sie sagt uns nur, daß die 100ste Stelle sich selber gleich sein soll, ist also für n = 100 ''keine'' Regel.


Die Spielregel lautet "Tu das Gleiche, wie ....!"—und im besondern Fall wird sie nun "Tu das Gleiche, wie das, was du tust!"
Die Spielregel lautet "Tu das Gleiche, wie ....!"—und im besondern Fall wird sie nun "Tu das Gleiche, wie das, was du tust!"
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Eine Frage—kann man sagen—ist ein Auftrag. Und einen Auftrag verstehen, heißt: wissen, was man zu tun hat. Ein Auftrag kann natürlich ganz vag sein—z. B., wenn ich sage: "Bring ihm etwas, was ihm gut tut!” Aber dies kann heißen: denk an ihn, seinen Zustand etc. in freundlicher Weise und dann bring ihm etwas, was deiner Gesinnung gegen ihn entspricht.
Eine Frage—kann man sagen—ist ein Auftrag. Und einen Auftrag verstehen, heißt: wissen, was man zu tun hat. Ein Auftrag kann natürlich ganz vag sein—z. B., wenn ich sage: "Bring ihm etwas, was ihm gut tut!” Aber dies kann heißen: denk an ihn, seinen Zustand etc. in freundlicher Weise und dann bring ihm etwas, was deiner Gesinnung gegen ihn entspricht.


{{ParZ|696}} Die mathematische Frage ist eine Herausforderung. Und man könnte sagen: sie hat Sinn, wenn sie uns zu einer mathematischen Tätigkeit ansport.
{{ParZ|696}} Die mathematische Frage ist eine Herausforderung. Und man könnte sagen: sie hat Sinn, wenn sie uns zu einer mathematischen Tätigkeit anspornt.


{{ParZ|697}} Man könnte dann auch sagen, eine Frage in der Mathematik habe Sinn, wenn sie die mathematische Phantasie anregt.
{{ParZ|697}} Man könnte dann auch sagen, eine Frage in der Mathematik habe Sinn, wenn sie die mathematische Phantasie anregt.
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{{ParZ|699}} Denk die Menschen, die mit 'äußerst komplizierten' Zahlzeichen rechnen. Diese stellen sich aber dar als Figuren, welche entstehen, wenn man unsere Zahlzeichen aufeinander schreibt.
{{ParZ|699}} Denk die Menschen, die mit 'äußerst komplizierten' Zahlzeichen rechnen. Diese stellen sich aber dar als Figuren, welche entstehen, wenn man unsere Zahlzeichen aufeinander schreibt.


Sie schreiben z. B. ''π'' bis zur fünften Stelle so: [[File:Zettel 699.png|70px|link=]] Wer ihnen zusähe, fande es schwer zu erraten, ''was'' sie tun. Und sie könnten es vielleicht selbst nicht erklären. Es kann ja dieses Zahlzeichen, in etwas anderer Schrift geschrieben, seine Erscheinung (für uns) zur Unkenntlichkeit ändern. Und was die Leute täten, erschiene uns rein intuitiv.
Sie schreiben z. B. ''π'' bis zur fünften Stelle so: [[File:Zettel 699.png|70px|link=]] Wer ihnen zusähe, fände es schwer zu erraten, ''was'' sie tun. Und sie könnten es vielleicht selbst nicht erklären. Es kann ja dieses Zahlzeichen, in etwas anderer Schrift geschrieben, seine Erscheinung (für uns) zur Unkenntlichkeit ändern. Und was die Leute täten, erschiene uns rein intuitiv.


{{ParZ|700}} Warum zählen wir? Hat es sich als praktisch erwiesen? Haben wir unsere Begriffe, z. B. die psychologischen, weil es sich als vorteilhaft erwiesen hat?—Und doch haben wir ''gewisse'' Begriffe eben deswegen, haben sie deswegen eingeführt.
{{ParZ|700}} Warum zählen wir? Hat es sich als praktisch erwiesen? Haben wir unsere Begriffe, z. B. die psychologischen, weil es sich als vorteilhaft erwiesen hat?—Und doch haben wir ''gewisse'' Begriffe eben deswegen, haben sie deswegen eingeführt.
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{{ParZ|710}} Man kann die Rechnung als Ornament betrachten. Eine Figur in der Ebene kann an eine andere passen oder nicht, mit anderen in verschiedener Weise zusammengefaßt werden. Wenn die Figur noch gefärbt ist, so gibt es dann noch ein Passen. (Die Farbe ist nur eine weitere Dimension.)
{{ParZ|710}} Man kann die Rechnung als Ornament betrachten. Eine Figur in der Ebene kann an eine andere passen oder nicht, mit anderen in verschiedener Weise zusammengefaßt werden. Wenn die Figur noch gefärbt ist, so gibt es dann noch ein Passen. (Die Farbe ist nur eine weitere Dimension.)


{{ParZ|711}} Es gibt eine Betrachtungsweise der elektrischen Maschinen und Apparate (Dynamos, Radiostationen, etc, etc.), die sozusagen ohne vorgefaßtes Verständnis diese Gegenstände als eine Verteilung von Kupfer, Eisen, Gummi, etc. im Raum ansieht. Und diese Betrachtungsweise könnte zu manchem interessanten Resultat führen. Sie ist ganz analog der eines mathematischen Satzes als Ornament.—Es ist natürlich eine durchaus strenge und korrekte Auffassung; und das Charakteristische und Schwierige an ihr ist, daß sie den Gegenstand ohne jede vorgefaßte Idee betrachtet (sozusagen von einem Marsstandpunkt), oder vielleicht richtiger: die normale vorgefaßte Idee zerstört (durchkreuzt).
{{ParZ|711}} Es gibt eine Betrachtungsweise der elektrischen Maschinen und Apparate (Dynamos, Radiostationen, etc., etc.), die sozusagen ohne vorgefaßtes Verständnis diese Gegenstände als eine Verteilung von Kupfer, Eisen, Gummi, etc. im Raum ansieht. Und diese Betrachtungsweise könnte zu manchem interessanten Resultat führen. Sie ist ganz analog der eines mathematischen Satzes als Ornament.—Es ist natürlich eine durchaus strenge und korrekte Auffassung; und das Charakteristische und Schwierige an ihr ist, daß sie den Gegenstand ohne jede vorgefaßte Idee betrachtet (sozusagen von einem Marsstandpunkt), oder vielleicht richtiger: die normale vorgefaßte Idee zerstört (durchkreuzt).


{{ParZ|712}} (Der Stil meiner Sätze ist außerordentlich stark von Frege beeinflußt. Und wenn ich wollte, so könnte ich wohl diesen Einfluß feststellen, wo ihn auf den ersten Blick keiner sähe.)
{{ParZ|712}} (Der Stil meiner Sätze ist außerordentlich stark von Frege beeinflußt. Und wenn ich wollte, so könnte ich wohl diesen Einfluß feststellen, wo ihn auf den ersten Blick keiner sähe.)