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{{ParZ|62}} Das schattenhafte Antizipieren der Tatsache besteht darin, daß wir jetzt denken können, daß ''das'' eintreffen wird, was erst eintreffen ''wird''. Oder, wie es irreführenderweise heißt: daß wir jetzt ''das'' (oder an das) denken können, was erst eintreffen ''wird''.
{{ParZ|62}} Das schattenhafte Antizipieren der Tatsache besteht darin, daß wir jetzt denken können, daß ''das'' eintreffen wird, was erst eintreffen ''wird''. Oder, wie es irreführenderweise heißt: daß wir jetzt ''das'' (oder an das) denken können, was erst eintreffen ''wird''.


{{ParZ|63}} Mancher wird vielleicht sagen wollen "Die Erwartung ist ein Gedanke." Das entspricht offenbar einem Gebrauch des Wortes "erwarten”. Und wir wollen uns nur erinnern, daß der Vorgang des Gedankens ''sehr verschiedenerlei'' sein kann.
{{ParZ|63}} Mancher wird vielleicht sagen wollen "Die Erwartung ist ein Gedanke." Das entspricht offenbar einem Gebrauch des Wortes "erwarten". Und wir wollen uns nur erinnern, daß der Vorgang des Gedankens ''sehr verschiedenerlei'' sein kann.


{{ParZ|64}} Ich pfeife, und jemand fragt mich, warum ich guter Dinge bin. Ich antworte, "Ich hoffe, N wird heute kommen."—Aber während ich pfiff, dachte ich nicht an ihn. Und doch wäre es falsch zu sagen: ich hätte aufgehört zu hoffen, als ich zu pfeifen anfing.
{{ParZ|64}} Ich pfeife, und jemand fragt mich, warum ich guter Dinge bin. Ich antworte, "Ich hoffe, N wird heute kommen."—Aber während ich pfiff, dachte ich nicht an ihn. Und doch wäre es falsch zu sagen: ich hätte aufgehört zu hoffen, als ich zu pfeifen anfing.
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{{ParZ|74}} Ein Satz sei mir in einer Chiffer gegeben und auch ihr Schlüssel; dann ist mir natürlich in einer Beziehung alles zum Verständnis des Satzes gegeben. Und doch würde ich auf die Frage "Verstehst du diesen Satz?" antworten: Nein, noch nicht; ich muß ihn erst entziffern. Und erst, wenn ich ihn z. B. ins Deutsche übertragen hätte, würde ich sagen "Jetzt verstehe ich ihn".
{{ParZ|74}} Ein Satz sei mir in einer Chiffer gegeben und auch ihr Schlüssel; dann ist mir natürlich in einer Beziehung alles zum Verständnis des Satzes gegeben. Und doch würde ich auf die Frage "Verstehst du diesen Satz?" antworten: Nein, noch nicht; ich muß ihn erst entziffern. Und erst, wenn ich ihn z. B. ins Deutsche übertragen hätte, würde ich sagen "Jetzt verstehe ich ihn".


Wenn man nun die Frage stellt "In welchem Moment der Übertragung ''verstehe'' ich nun den Satz?", würde man einen Einblick in das Wesen dessen erhalten, was wir "verstehen” nennen.
Wenn man nun die Frage stellt "In welchem Moment der Übertragung ''verstehe'' ich nun den Satz?", würde man einen Einblick in das Wesen dessen erhalten, was wir "verstehen" nennen.


{{ParZ|75}} Ich kann auf den Verlauf meiner Schmerzen achten; aber nicht ebenso auf den meines Glaubens, meiner Übersetzung oder meines Wissens.
{{ParZ|75}} Ich kann auf den Verlauf meiner Schmerzen achten; aber nicht ebenso auf den meines Glaubens, meiner Übersetzung oder meines Wissens.
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{{ParZ|303}} "Er erfaßt die Regel intuitiv."—Warum aber die Regel? Und nicht, wie er jetzt fortsetzen soll?
{{ParZ|303}} "Er erfaßt die Regel intuitiv."—Warum aber die Regel? Und nicht, wie er jetzt fortsetzen soll?


{{ParZ|304}} “Hat er nur das Richtige gesehen, diejenige der unendlich vielen Beziehungen, die ich ihm nahezubringen trachte,—hat er sie nur einmal erfaßt, so wird er jetzt ohne weiteres die Reihe richtig fortsetzen. Ich gebe zu, er kann diese Beziehung, die ich meine, nur erraten (intuitiv erraten)—ist es aber gelungen, dann ist das Spiel gewonnen."—Aber dieses Richtige von mir Gemeinte gibt es gar nicht. Der Vergleich ist falsch. Es gibt hier nicht quasi ein Rädchen, das er erfassen soll, die richtige Maschine, die ihn, einmal gewählt, automatisch weiterbringt. Es könnte ja sein, daß sich in unserm Gehirn so etwas abspielt, aber das interessiert uns nicht.
{{ParZ|304}} "Hat er nur das Richtige gesehen, diejenige der unendlich vielen Beziehungen, die ich ihm nahezubringen trachte,—hat er sie nur einmal erfaßt, so wird er jetzt ohne weiteres die Reihe richtig fortsetzen. Ich gebe zu, er kann diese Beziehung, die ich meine, nur erraten (intuitiv erraten)—ist es aber gelungen, dann ist das Spiel gewonnen."—Aber dieses Richtige von mir Gemeinte gibt es gar nicht. Der Vergleich ist falsch. Es gibt hier nicht quasi ein Rädchen, das er erfassen soll, die richtige Maschine, die ihn, einmal gewählt, automatisch weiterbringt. Es könnte ja sein, daß sich in unserm Gehirn so etwas abspielt, aber das interessiert uns nicht.


{{ParZ|305}} "Tu dasselbe!" Aber dabei muß ich ja auf die Regel zeigen. Die muß er also schon ''anzuwenden'' gelernt haben. Denn was bedeutet ihr Ausdruck sonst für ihn?
{{ParZ|305}} "Tu dasselbe!" Aber dabei muß ich ja auf die Regel zeigen. Die muß er also schon ''anzuwenden'' gelernt haben. Denn was bedeutet ihr Ausdruck sonst für ihn?
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Das hieß doch: Wenn du dir gewisse Tatsachen anders denkst, sie anders beschreibst, als sie sind, dann kannst du die Anwendung gewisser Begriffe dir nicht mehr vorstellen, weil die Regeln ihrer Anwendung kein Analogon unter den neuen Umständen haben.—Was ich sage, kommt also ''darauf'' hinaus: Ein Gesetz wird für Menschen gegeben, und ein Jurist mag wohl fähig sein, Konsequenzen für jeden Fall zu ziehen, der ihm gewöhnlich vorkommt, das Gesetz hat also offenbar seine Verwendung, einen Sinn. Trotzdem aber setzt seine Gültigkeit allerlei voraus; und wenn das Wesen, welches er zu richten hat, ganz vom gewöhnlichen Menschen abweicht, dann wird z. B. die Entscheidung, ob er eine Tat mit böser Absicht begangen hat, nicht etwa schwer, sondern (einfach) unmöglich werden.
Das hieß doch: Wenn du dir gewisse Tatsachen anders denkst, sie anders beschreibst, als sie sind, dann kannst du die Anwendung gewisser Begriffe dir nicht mehr vorstellen, weil die Regeln ihrer Anwendung kein Analogon unter den neuen Umständen haben.—Was ich sage, kommt also ''darauf'' hinaus: Ein Gesetz wird für Menschen gegeben, und ein Jurist mag wohl fähig sein, Konsequenzen für jeden Fall zu ziehen, der ihm gewöhnlich vorkommt, das Gesetz hat also offenbar seine Verwendung, einen Sinn. Trotzdem aber setzt seine Gültigkeit allerlei voraus; und wenn das Wesen, welches er zu richten hat, ganz vom gewöhnlichen Menschen abweicht, dann wird z. B. die Entscheidung, ob er eine Tat mit böser Absicht begangen hat, nicht etwa schwer, sondern (einfach) unmöglich werden.


{{ParZ|351}} "Wenn die Menschen nicht im allgemeinen über die Farben der Dinge übereinstimmten, wenn Unstimmigkeiten nicht Ausnahmen wären, könnte es unsern Farbbegriff nicht geben.Nein:—''gäbe'' es unsern Farbbegriff nicht.
{{ParZ|351}} "Wenn die Menschen nicht im allgemeinen über die Farben der Dinge übereinstimmten, wenn Unstimmigkeiten nicht Ausnahmen wären, könnte es unsern Farbbegriff nicht geben." Nein:—''gäbe'' es unsern Farbbegriff nicht.


{{ParZ|352}} Will ich also sagen, gewisse Tatsachen seien gewissen Begriffsbildungen günstig oder ungünstig? Und lehrt das die Erfahrung? Es ist Erfahrungstatsache, daß Menschen ihre Begriffe ändern, wechseln, wenn sie neue Tatsachen kennenlernen; wenn dadurch, was ihnen früher wichtig war, unwichtig wird und umgekehrt. (Man findet z. B.: was früher als Artunterschied galt, sei eigentlich ''nur'' ein Gradunterschied.)
{{ParZ|352}} Will ich also sagen, gewisse Tatsachen seien gewissen Begriffsbildungen günstig oder ungünstig? Und lehrt das die Erfahrung? Es ist Erfahrungstatsache, daß Menschen ihre Begriffe ändern, wechseln, wenn sie neue Tatsachen kennenlernen; wenn dadurch, was ihnen früher wichtig war, unwichtig wird und umgekehrt. (Man findet z. B.: was früher als Artunterschied galt, sei eigentlich ''nur'' ein Gradunterschied.)
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{{ParZ|410}} Man kann erst zweifeln, wenn man Gewisses gelernt hat; wie man sich erst verrechnen kann, wenn man rechnen gelernt hat. Dann ist es allerdings unwillkürlich.
{{ParZ|410}} Man kann erst zweifeln, wenn man Gewisses gelernt hat; wie man sich erst verrechnen kann, wenn man rechnen gelernt hat. Dann ist es allerdings unwillkürlich.


{{ParZ|411}} Denke, ein Kind wäre ganz besonders gescheit, so gescheit, daß man ihm gleich die Zweifelhaftigkeit der Existenz aller Dinge beibringen kann. Es lernt also vom Anfangan: "Das ist wahrscheinlich ein Sessel.
{{ParZ|411}} Denke, ein Kind wäre ganz besonders gescheit, so gescheit, daß man ihm gleich die Zweifelhaftigkeit der Existenz aller Dinge beibringen kann. Es lernt also vom Anfangan: "Das ist wahrscheinlich ein Sessel."


Und wie lernt es nun die Frage: "Ist das auch wirklich ein Sessel?"—
Und wie lernt es nun die Frage: "Ist das auch wirklich ein Sessel?"—
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Ich kann mich nicht unbeobachtet beobachten. Und ich beobachte mich nicht zu dem gleichen Zweck wie den Andern.
Ich kann mich nicht unbeobachtet beobachten. Und ich beobachte mich nicht zu dem gleichen Zweck wie den Andern.


{{ParZ|593}} Wenn ein Kind im Zorn mit den Füßen stampft und heult,—wer würde sagen, es täte dies unwillkürlich? Und warum? Warum nimmt man an, es täte dies nicht unwillkürlich? Was sind die ''Zeichen'' des willkürlichen Handelns? Gibt es solche Zeichen?—Was sind denn die Zeichen der unwillkürlichen Bewegung? Sie folgt Befehlen nicht, wie die willkürliche Handlung. Es gibt ein "Komm her!", "Geh dort hin", "Mach diese Armbewegung!"; aber nicht "Laß dein Herz klopfen!
{{ParZ|593}} Wenn ein Kind im Zorn mit den Füßen stampft und heult,—wer würde sagen, es täte dies unwillkürlich? Und warum? Warum nimmt man an, es täte dies nicht unwillkürlich? Was sind die ''Zeichen'' des willkürlichen Handelns? Gibt es solche Zeichen?—Was sind denn die Zeichen der unwillkürlichen Bewegung? Sie folgt Befehlen nicht, wie die willkürliche Handlung. Es gibt ein "Komm her!", "Geh dort hin", "Mach diese Armbewegung!"; aber nicht "Laß dein Herz klopfen!"


{{ParZ|594}} Es gibt ein bestimmtes Zusammenspiel von Bewegungen, Worten, Mienen wie den Äußerungen des Unwillens oder der Bereitschaft, die die willkürlichen Bewegungen des normalen Menschen charakterisieren. Wenn man das Kind ruft, so kommt es nicht automatisch: Es gibt da z. B. die Gebärde "Ich will nicht!". Oder das freudige Kommen, den Entschluß zu kommen, das Fortlaufen mit dem Zeichen der Furcht, die Wirkungen des Zuredens, alle die Reaktionen des Spiels, die Zeichen des Überlegens und seine Wirkungen.
{{ParZ|594}} Es gibt ein bestimmtes Zusammenspiel von Bewegungen, Worten, Mienen wie den Äußerungen des Unwillens oder der Bereitschaft, die die willkürlichen Bewegungen des normalen Menschen charakterisieren. Wenn man das Kind ruft, so kommt es nicht automatisch: Es gibt da z. B. die Gebärde "Ich will nicht!". Oder das freudige Kommen, den Entschluß zu kommen, das Fortlaufen mit dem Zeichen der Furcht, die Wirkungen des Zuredens, alle die Reaktionen des Spiels, die Zeichen des Überlegens und seine Wirkungen.
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Oder auch ''so'': es gibt bedingte Vorhersagen, und "p impliziert q" ist ''keine'' solche.
Oder auch ''so'': es gibt bedingte Vorhersagen, und "p impliziert q" ist ''keine'' solche.


{{ParZ|682}} Den Satz "Wenn p eintrifft, so trifft q ein", will ich "S" nennen.—"S oder nicht-S” ist eine Tautologie: aber ist es (auch) der Satz vom ausgeschlossenen Dritten? Oder auch so: Wenn ich sagen will, daß die Vorhersage "S" richtig, falsch oder unentschieden sein kann, wird das durch den Satz ausgedrückt "nicht (S oder nicht-S)"?
{{ParZ|682}} Den Satz "Wenn p eintrifft, so trifft q ein", will ich "S" nennen.—"S oder nicht-S" ist eine Tautologie: aber ist es (auch) der Satz vom ausgeschlossenen Dritten? Oder auch so: Wenn ich sagen will, daß die Vorhersage "S" richtig, falsch oder unentschieden sein kann, wird das durch den Satz ausgedrückt "nicht (S oder nicht-S)"?


{{ParZ|683}} Ist die Verneinung eines Satzes identisch mit der Disjunktion der nicht ausgeschlossenen Fälle? Sie ist es in manchen Fällen. (Z. B. in diesem: "Die Permutation der Elemente A B C, die er anschrieb, war nicht A C B.")
{{ParZ|683}} Ist die Verneinung eines Satzes identisch mit der Disjunktion der nicht ausgeschlossenen Fälle? Sie ist es in manchen Fällen. (Z. B. in diesem: "Die Permutation der Elemente A B C, die er anschrieb, war nicht A C B.")
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{{ParZ|690}} Unser Motto könnte sein: "Lassen wir uns nicht behexen!"
{{ParZ|690}} Unser Motto könnte sein: "Lassen wir uns nicht behexen!"


{{ParZ|691}} "Der Kretische Lügner". Statt zu sagen "ich lüge", könnte er auch hinschreiben "dieser Satz ist falsch". Die Antwort darauf wäre: "Wohl, aber welchen Satz meinst du?"—"Nun, ''diesen'' Satz."—"Ich verstehe, aber von welchem Satz ist in ''ihm'' die Rede?"—"Von ''diesem''."—"Gut, und auf welchen Satz spielt ''dieser'' an?u.s.w. Er könnte uns so nicht erklären, was er meint, ehe er zu einem kompletten Satz übergeht.—Man kann auch sagen: Der fundamentale Fehler liegt darin, daß man denkt, ein Wort, z. B. "dieser Satz", könne auf seinen Gegenstand gleichsam anspielen (aus der Entfernung hindeuten), ohne ihn vertreten zu müssen.
{{ParZ|691}} "Der Kretische Lügner". Statt zu sagen "ich lüge", könnte er auch hinschreiben "dieser Satz ist falsch". Die Antwort darauf wäre: "Wohl, aber welchen Satz meinst du?"—"Nun, ''diesen'' Satz."—"Ich verstehe, aber von welchem Satz ist in ''ihm'' die Rede?"—"Von ''diesem''."—"Gut, und auf welchen Satz spielt ''dieser'' an?" u.s.w. Er könnte uns so nicht erklären, was er meint, ehe er zu einem kompletten Satz übergeht.—Man kann auch sagen: Der fundamentale Fehler liegt darin, daß man denkt, ein Wort, z. B. "dieser Satz", könne auf seinen Gegenstand gleichsam anspielen (aus der Entfernung hindeuten), ohne ihn vertreten zu müssen.


{{ParZ|692}} Stellen wir uns die Frage: Welchem praktischen Zweck kann Russell's Theorie der Typen dienen?—R. macht uns darauf aufmerksam, daß wir manchmal den Ausdruck der Allgemeinheit einschränken müssen um zu vermeiden, daß unerwünschte Konsequenzen aus ihm gezogen werden.
{{ParZ|692}} Stellen wir uns die Frage: Welchem praktischen Zweck kann Russell's Theorie der Typen dienen?—R. macht uns darauf aufmerksam, daß wir manchmal den Ausdruck der Allgemeinheit einschränken müssen um zu vermeiden, daß unerwünschte Konsequenzen aus ihm gezogen werden.