Über Gewißheit: Difference between revisions

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{{ParUG|9}} Bewähre ich nun im Leben, daß ich weiß, daß da eine Hand (nämlich meine Hand) ist?
{{ParUG|9}} Bewähre ich nun im Leben, daß ich weiß, daß da eine Hand (nämlich meine Hand) ist?


{{ParUG|10}} Ich weiß, daß hier ein kranker Mensch liegt? Unsinn! Ich sitze an seinem Bett, schaue aufmerksam in seine Züge. – So weiß ich also nicht, daß da ein Kranker liegt? – Es hat weder die Frage noch die Aussage Sinn. So wenig wie die: »Ich bin hier«, die ich doch jeden Moment gebrauchen könnte, wenn sich die passende Gelegenheit dazu ergäbe. – So ist also auch »2 × 2 = 4« Unsinn und kein wahrer arithmetischer Satz, außer bei bestimmten Gelegenheiten? »2 × 2 = 4« ist ein wahrer Satz der Arithmetik – nicht »bei bestimmten Gelegenheiten« noch »immer« – aber die Laut- oder Schriftzeichen »2 × 2 = 4« könnten im Chinesischen eine andere Bedeutung haben oder aufgelegter Unsinn sein, woraus man sieht: nur im Gebrauch hat der Satz Sinn. Und »Ich weiß, daß hier ein Kranker liegt«, in der unpassenden Situation gebraucht, erscheint nur darum nicht als Unsinn, vielmehr als Selbstverständlichkeit, weil man sich verhältnismäßig leicht eine für ihn passende Situation vorstellen kann und weil man meint, die Worte »Ich weiß, daß ...« seien überall am Platz, wo es keinen Zweifel gibt (also auch dort, wo der Ausdruck des Zweifels verständlich wäre).
{{ParUG|10}} Ich weiß, daß hier ein kranker Mensch liegt? Unsinn! Ich sitze an seinem Bett, schaue aufmerksam in seine Züge. – So weiß ich also nicht, daß da ein Kranker liegt? – Es hat weder die Frage noch die Aussage Sinn. So wenig wie die: »Ich bin hier«, die ich doch jeden Moment gebrauchen könnte, wenn sich die passende Gelegenheit dazu ergäbe. – So ist also auch »2 × 2 = 4« Unsinn und kein wahrer arithmetischer Satz, außer bei bestimmten Gelegenheiten? »2 × 2 = 4« ist ein wahrer Satz der Arithmetik – nicht »bei bestimmten Gelegenheiten« noch »immer« – aber die Laut- oder Schriftzeichen »2 × 2 = 4« könnten im Chinesischen eine andere Bedeutung haben oder aufgelegter Unsinn sein, woraus man sieht: nur im Gebrauch hat der Satz Sinn. Und »Ich weiß, daß hier ein Kranker liegt«, in der unpassenden Situation gebraucht, erscheint nur darum nicht als Unsinn, vielmehr als Selbstverständlichkeit, weil man sich verhältnismäßig leicht eine für ihn passende Situation vorstellen kann und weil man meint, die Worte »Ich weiß, daß ...« seien überall am Platz, wo es keinen Zweifel gibt (also auch dort, wo der Ausdruck des Zweifels verständlich wäre).


{{ParUG|11}} Man sieht eben nicht, wie sehr spezialisiert der Gebrauch von »Ich weiß« ist.
{{ParUG|11}} Man sieht eben nicht, wie sehr spezialisiert der Gebrauch von »Ich weiß« ist.


{{ParUG|12}} – Denn » Ich weiß ... « scheint einen Tatbestand zu beschreiben, der das Gewußte als Tatsache verbürgt. Man vergißt eben immer den Ausdruck »Ich glaubte, ich wüßte es«.
{{ParUG|12}} – Denn » Ich weiß ... « scheint einen Tatbestand zu beschreiben, der das Gewußte als Tatsache verbürgt. Man vergißt eben immer den Ausdruck »Ich glaubte, ich wüßte es«.


{{ParUG|13}} Es ist nämlich nicht so, daß man aus der Äußerung des Andern »Ich weiß, daß es so ist« den Satz »Es ist so« schließen könnte. Auch nicht aus der Äußerung und daraus, daß sie keine Lüge ist. – Aber kann ich nicht aus meiner Äußerung »Ich weiß etc.« schließen »Es ist so«? Doch, und aus dem Satz »Er weiß, daß dort eine Hand ist« folgt auch »Dort ist eine Hand«. Aber aus seiner Äußerung »Ich weiß ...« folgt nicht, er wisse es.
{{ParUG|13}} Es ist nämlich nicht so, daß man aus der Äußerung des Andern »Ich weiß, daß es so ist« den Satz »Es ist so« schließen könnte. Auch nicht aus der Äußerung und daraus, daß sie keine Lüge ist. – Aber kann ich nicht aus meiner Äußerung »Ich weiß etc.« schließen »Es ist so«? Doch, und aus dem Satz »Er weiß, daß dort eine Hand ist« folgt auch »Dort ist eine Hand«. Aber aus seiner Äußerung »Ich weiß ...« folgt nicht, er wisse es.


{{ParUG|14}} Es muß erst erwiesen werden, daß er’s weiß.
{{ParUG|14}} Es muß erst erwiesen werden, daß er’s weiß.
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{{ParUG|20}} »Die Existenz der äußeren Welt bezweifeln« heißt ja nicht, z. B., die Existenz eines Planeten bezweifeln, welche später durch Beobachtung bewiesen wird. – Oder will Moore sagen, das Wissen, hier sei seine Hand, ist von andrer ''Art'' als das, es gebe den Planeten Saturn? Sonst könnte man den Zweifelnden auf die Entdeckung des Planeten Saturn hinweisen und sagen, seine Existenz sei nachgewiesen worden, also auch die Existenz der äußeren Welt.
{{ParUG|20}} »Die Existenz der äußeren Welt bezweifeln« heißt ja nicht, z. B., die Existenz eines Planeten bezweifeln, welche später durch Beobachtung bewiesen wird. – Oder will Moore sagen, das Wissen, hier sei seine Hand, ist von andrer ''Art'' als das, es gebe den Planeten Saturn? Sonst könnte man den Zweifelnden auf die Entdeckung des Planeten Saturn hinweisen und sagen, seine Existenz sei nachgewiesen worden, also auch die Existenz der äußeren Welt.


{{ParUG|21}} Moores Ansicht läuft eigentlich darauf hinaus, der Begriff »wissen« sei den Begriffen »glauben«, »vermuten«, »zweifeln«, »überzeugt sein« darin analog, daß die Aussage »Ich weiß ...« kein Irrtum sein könne. Und ''ist'' es so, dann kann aus einer Äußerung auf die Wahrheit einer Behauptung geschlossen werden. Und hier wird die Form »Ich glaubte zu wissen« übersehen. – Soll aber diese nicht zugelassen werden, dann muß ein Irrtum auch in der ''Behauptung'' logisch unmöglich sein. Und dies muß einsehen, wer das Sprachspiel kennt; die Versicherung des Glaubwürdigen, er ''wisse'' es, kann ihm dabei nicht helfen.
{{ParUG|21}} Moores Ansicht läuft eigentlich darauf hinaus, der Begriff »wissen« sei den Begriffen »glauben«, »vermuten«, »zweifeln«, »überzeugt sein« darin analog, daß die Aussage »Ich weiß ...« kein Irrtum sein könne. Und ''ist'' es so, dann kann aus einer Äußerung auf die Wahrheit einer Behauptung geschlossen werden. Und hier wird die Form »Ich glaubte zu wissen« übersehen. – Soll aber diese nicht zugelassen werden, dann muß ein Irrtum auch in der ''Behauptung'' logisch unmöglich sein. Und dies muß einsehen, wer das Sprachspiel kennt; die Versicherung des Glaubwürdigen, er ''wisse'' es, kann ihm dabei nicht helfen.


{{ParUG|22}} Es wäre doch merkwürdig, wenn wir dem Glaubwürdigen glauben müßten, der sagt »Ich kann mich nicht irren«; oder dem, der sagt »Ich irre mich nicht«.
{{ParUG|22}} Es wäre doch merkwürdig, wenn wir dem Glaubwürdigen glauben müßten, der sagt »Ich kann mich nicht irren«; oder dem, der sagt »Ich irre mich nicht«.
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{{ParUG|35}} Aber kann man sich nicht vorstellen, es gäbe keine physikalischen Gegenstände? Ich weiß nicht. Und doch ist »Es gibt physikalische Gegenstände« Unsinn. Soll es ein Satz der Erfahrung sein? – Und ist ''das'' ein Erfahrungssatz: »Es scheint physikalische Gegenstände zu geben«?
{{ParUG|35}} Aber kann man sich nicht vorstellen, es gäbe keine physikalischen Gegenstände? Ich weiß nicht. Und doch ist »Es gibt physikalische Gegenstände« Unsinn. Soll es ein Satz der Erfahrung sein? – Und ist ''das'' ein Erfahrungssatz: »Es scheint physikalische Gegenstände zu geben«?


{{ParUG|36}} Die Belehrung »A ist ein physikalischer Gegenstand« geben wir nur dem, der entweder noch nicht versteht, was »A« bedeutet, oder was »physikalischer Gegenstand« bedeutet. Es ist also eine Belehrung über den Gebrauch von Worten und »physikalischer Gegenstand«, ein logischer Begriff. (Wie Farbe, Maß, ...) Und darum läßt sich ein Satz »Es gibt physikalische Gegenstände« nicht bilden.
{{ParUG|36}} Die Belehrung »A ist ein physikalischer Gegenstand« geben wir nur dem, der entweder noch nicht versteht, was »A« bedeutet, oder was »physikalischer Gegenstand« bedeutet. Es ist also eine Belehrung über den Gebrauch von Worten und »physikalischer Gegenstand«, ein logischer Begriff. (Wie Farbe, Maß, ...) Und darum läßt sich ein Satz »Es gibt physikalische Gegenstände« nicht bilden.


Solchen verunglückten Versuchen begegnen wir aber auf Schritt und Tritt.
Solchen verunglückten Versuchen begegnen wir aber auf Schritt und Tritt.
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{{ParUG|49}} Aber bedenk: auch wenn mir die Rechnung feststeht, ist es nur eine Entscheidung zu einem praktischen Zweck.
{{ParUG|49}} Aber bedenk: auch wenn mir die Rechnung feststeht, ist es nur eine Entscheidung zu einem praktischen Zweck.


{{ParUG|50}} Wann sagt man, »Ich weiß, daß ... × ... = ...«? Wenn man die Rechnung geprüft hat.
{{ParUG|50}} Wann sagt man, »Ich weiß, daß ... × ... = ...«? Wenn man die Rechnung geprüft hat.


{{ParUG|51}} Was ist das für ein Satz: »Wie sähe denn hier ein Fehler aus!«? Es müßte ein logischer Satz sein. Aber es ist eine Logik, die nicht gebraucht wird, weil, was sie lehrt, nicht durch Sätze gelehrt wird. – Es ist ein logischer Satz, denn er beschreibt ja die begriffliche (sprachliche) Situation.
{{ParUG|51}} Was ist das für ein Satz: »Wie sähe denn hier ein Fehler aus!«? Es müßte ein logischer Satz sein. Aber es ist eine Logik, die nicht gebraucht wird, weil, was sie lehrt, nicht durch Sätze gelehrt wird. – Es ist ein logischer Satz, denn er beschreibt ja die begriffliche (sprachliche) Situation.
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{{ParUG|55}} Ist also die ''Hypothese'' möglich, daß es alle die Dinge in unserer Umgebung nicht gibt? Wäre sie nicht wie die, daß wir uns in allen Rechnungen verrechnet haben?
{{ParUG|55}} Ist also die ''Hypothese'' möglich, daß es alle die Dinge in unserer Umgebung nicht gibt? Wäre sie nicht wie die, daß wir uns in allen Rechnungen verrechnet haben?


{{ParUG|56}} Wenn man sagt »Vielleicht gibt es diesen Planeten nicht und die Lichterscheinung kommt anders zustande«, so braucht man doch ein Beispiel eines Gegenstandes, ''den'' es gibt. Es gibt ihn nicht, – wie z. B. ...
{{ParUG|56}} Wenn man sagt »Vielleicht gibt es diesen Planeten nicht und die Lichterscheinung kommt anders zustande«, so braucht man doch ein Beispiel eines Gegenstandes, ''den'' es gibt. Es gibt ihn nicht, – wie z. B. ...


Oder soll man sagen, daß die ''Sicherheit'' nur ein konstruierter Punkt ist, dem sich manches mehr, manches weniger nähert? Nein. Der Zweifel verliert nach und nach seinen Sinn. So ''ist'' eben dieses Sprachspiel.
Oder soll man sagen, daß die ''Sicherheit'' nur ein konstruierter Punkt ist, dem sich manches mehr, manches weniger nähert? Nein. Der Zweifel verliert nach und nach seinen Sinn. So ''ist'' eben dieses Sprachspiel.
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{{ParUG|88}} Es kann z. B. sein, daß ''unser ganzes Forschen'' so eingestellt ist, daß dadurch gewisse Sätze, wenn sie je ausgesprochen werden, abseits allen Zweifels stehen. Sie liegen abseits von der Straße, auf der sich das Forschen bewegt.
{{ParUG|88}} Es kann z. B. sein, daß ''unser ganzes Forschen'' so eingestellt ist, daß dadurch gewisse Sätze, wenn sie je ausgesprochen werden, abseits allen Zweifels stehen. Sie liegen abseits von der Straße, auf der sich das Forschen bewegt.


{{ParUG|89}} Man möchte sagen: »Alles spricht dafür und nichts dagegen, daß die Erde lange vor meiner Geburt ...«
{{ParUG|89}} Man möchte sagen: »Alles spricht dafür und nichts dagegen, daß die Erde lange vor meiner Geburt ...«


Aber könnte ich nicht doch das Gegenteil glauben? Aber die Frage ist: wie würde sich dieser Glaube praktisch betätigen? – Vielleicht sagt Einer: »Darauf kommt’s nicht an. Ein Glaube ist, was er ist, ob er sich praktisch betätigt oder nicht.« Man denkt sich: Er ist allemal die gleiche Einstellung des menschlichen Geistes.
Aber könnte ich nicht doch das Gegenteil glauben? Aber die Frage ist: wie würde sich dieser Glaube praktisch betätigen? – Vielleicht sagt Einer: »Darauf kommt’s nicht an. Ein Glaube ist, was er ist, ob er sich praktisch betätigt oder nicht.« Man denkt sich: Er ist allemal die gleiche Einstellung des menschlichen Geistes.
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{{ParUG|115}} Wer an allem zweifeln wollte, der würde auch nicht bis zum Zweifel kommen. Das Spiel des Zweifelns selbst setzt schon die Gewißheit voraus.
{{ParUG|115}} Wer an allem zweifeln wollte, der würde auch nicht bis zum Zweifel kommen. Das Spiel des Zweifelns selbst setzt schon die Gewißheit voraus.


{{ParUG|116}} Hatte Moore, statt »Ich weiß ...«, nicht sagen können »Es steht für mich fest, daß ...«? Ja auch: »Es steht für mich und viele Andre fest ...«
{{ParUG|116}} Hatte Moore, statt »Ich weiß ...«, nicht sagen können »Es steht für mich fest, daß ...«? Ja auch: »Es steht für mich und viele Andre fest ...«


{{ParUG|117}} Warum ist es mir nicht möglich, daran zu zweifeln, daß ich nie auf dem Mond war? Und wie könnte ich versuchen, es zu tun?
{{ParUG|117}} Warum ist es mir nicht möglich, daran zu zweifeln, daß ich nie auf dem Mond war? Und wie könnte ich versuchen, es zu tun?
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{{ParUG|122}} Braucht man zum Zweifel nicht Gründe?
{{ParUG|122}} Braucht man zum Zweifel nicht Gründe?


{{ParUG|123}} Wohin ich schaue, ich finde keinen Grund, daran zu zweifeln, daß ...
{{ParUG|123}} Wohin ich schaue, ich finde keinen Grund, daran zu zweifeln, daß ...


{{ParUG|124}} Ich will sagen: Wir verwenden Urteile als Prinzip(ien) des Urteilens.
{{ParUG|124}} Ich will sagen: Wir verwenden Urteile als Prinzip(ien) des Urteilens.
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{{ParUG|133}} Unter gewöhnlichen Umständen überzeuge ich mich nicht durch den Augenschein, ob ich zwei Hände habe. ''Warum'' nicht? Hat Erfahrung es als unnötig erwiesen? Oder (auch): Haben wir, auf irgendeine Weise, ein allgemeines Gesetz der Induktion gelernt und vertrauen ihm nun auch hier? – Aber warum sollen wir erst ''ein allgemeines'' Gesetz gelernt haben und nicht gleich das spezielle?
{{ParUG|133}} Unter gewöhnlichen Umständen überzeuge ich mich nicht durch den Augenschein, ob ich zwei Hände habe. ''Warum'' nicht? Hat Erfahrung es als unnötig erwiesen? Oder (auch): Haben wir, auf irgendeine Weise, ein allgemeines Gesetz der Induktion gelernt und vertrauen ihm nun auch hier? – Aber warum sollen wir erst ''ein allgemeines'' Gesetz gelernt haben und nicht gleich das spezielle?


{{ParUG|134}} Wenn ich ein Buch in eine Lade lege, so nehme ich nun an, es sei darin, es sei denn ... »Die Erfahrung gibt mir immer recht. Es ist noch kein gut beglaubigter Fall vorgekommen, daß ein Buch (einfach) verschwunden wäre.« Es ist ''oft'' vorgekommen, daß sich ein Buch nie mehr gefunden hat, obwohl wir sicher zu wissen glaubten, wo es war. – Aber die Erfahrung lehrt doch wirklich, daß ein Buch, z. B., nicht verschwindet. (Z.B. nicht nach und nach verdunstet.) – Aber ist es diese Erfahrung mit Büchern etc., die uns annehmen läßt, das Buch sei nicht verschwunden? Nun, angenommen, wir fänden, daß unter bestimmten neuen Umständen Bücher verschwänden – würden wir nicht unsre Annahme ändern? Kann man die Wirkung der Erfahrung auf unser System von Annahmen leugnen?
{{ParUG|134}} Wenn ich ein Buch in eine Lade lege, so nehme ich nun an, es sei darin, es sei denn ... »Die Erfahrung gibt mir immer recht. Es ist noch kein gut beglaubigter Fall vorgekommen, daß ein Buch (einfach) verschwunden wäre.« Es ist ''oft'' vorgekommen, daß sich ein Buch nie mehr gefunden hat, obwohl wir sicher zu wissen glaubten, wo es war. – Aber die Erfahrung lehrt doch wirklich, daß ein Buch, z. B., nicht verschwindet. (Z.B. nicht nach und nach verdunstet.) – Aber ist es diese Erfahrung mit Büchern etc., die uns annehmen läßt, das Buch sei nicht verschwunden? Nun, angenommen, wir fänden, daß unter bestimmten neuen Umständen Bücher verschwänden – würden wir nicht unsre Annahme ändern? Kann man die Wirkung der Erfahrung auf unser System von Annahmen leugnen?


{{ParUG|135}} Aber folgen wir nicht einfach dem Prinzip, daß, was ''immer'' geschehen ist, auch wieder geschehen wird (oder etwas ähnlichem)? – Was heißt es, diesem Prinzip folgen? Bringen wir es wirklich in unser Raisonnement? Oder ist es nur das ''Naturgesetz'', dem scheinbar unser Schließen folgt? Das letztere mag es sein. Ein Glied in unsrer Überlegung ist es nicht.
{{ParUG|135}} Aber folgen wir nicht einfach dem Prinzip, daß, was ''immer'' geschehen ist, auch wieder geschehen wird (oder etwas ähnlichem)? – Was heißt es, diesem Prinzip folgen? Bringen wir es wirklich in unser Raisonnement? Oder ist es nur das ''Naturgesetz'', dem scheinbar unser Schließen folgt? Das letztere mag es sein. Ein Glied in unsrer Überlegung ist es nicht.
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{{ParUG|136}} Wenn Moore sagt, er ''wisse'' das und das, so zählt er wirklich lauter Erfahrungssätze auf, die wir ohne besondere Prüfung bejahen, also Sätze, die im System unsrer Erfahrungssätze eine eigentümliche logische Rolle spielen.
{{ParUG|136}} Wenn Moore sagt, er ''wisse'' das und das, so zählt er wirklich lauter Erfahrungssätze auf, die wir ohne besondere Prüfung bejahen, also Sätze, die im System unsrer Erfahrungssätze eine eigentümliche logische Rolle spielen.


{{ParUG|137}} Auch wenn der Glaubwürdigste mir versichert, er ''wisse'', es sei so und so, so kann dies allein mich nicht davon überzeugen, daß er es weiß. Nur, daß er es zu wissen glaubt. Darum kann Moores Versicherung, er wisse ..., uns nicht interessieren. Die Sätze aber, welche Moore als Beispiele solcher gewußten Wahrheiten aufzählt, sind allerdings interessant. Nicht weil jemand ihre Wahrheit weiß, oder sie zu wissen glaubt, sondern weil sie alle im System unsrer empirischen Urteile eine ''ähnliche'' Rolle spielen.
{{ParUG|137}} Auch wenn der Glaubwürdigste mir versichert, er ''wisse'', es sei so und so, so kann dies allein mich nicht davon überzeugen, daß er es weiß. Nur, daß er es zu wissen glaubt. Darum kann Moores Versicherung, er wisse ..., uns nicht interessieren. Die Sätze aber, welche Moore als Beispiele solcher gewußten Wahrheiten aufzählt, sind allerdings interessant. Nicht weil jemand ihre Wahrheit weiß, oder sie zu wissen glaubt, sondern weil sie alle im System unsrer empirischen Urteile eine ''ähnliche'' Rolle spielen.


{{ParUG|138}} Z. B. gelangen wir zu keinem von ihnen durch eine Untersuchung.
{{ParUG|138}} Z. B. gelangen wir zu keinem von ihnen durch eine Untersuchung.
Line 433: Line 433:
{{ParUG|178}} Der falsche Gebrauch, den Moore von dem Satz »Ich weiß ..''.''« macht, liegt darin, daß er ihn als eine Äußerung betrachtet, die so wenig anzuzweifeln ist wie etwa »Ich habe Schmerzen«. Und da aus »Ich weiß, daß es so ist« folgt »Es ist so«, so kann also auch dies nicht angezweifelt werden.
{{ParUG|178}} Der falsche Gebrauch, den Moore von dem Satz »Ich weiß ..''.''« macht, liegt darin, daß er ihn als eine Äußerung betrachtet, die so wenig anzuzweifeln ist wie etwa »Ich habe Schmerzen«. Und da aus »Ich weiß, daß es so ist« folgt »Es ist so«, so kann also auch dies nicht angezweifelt werden.


{{ParUG|179}} Es wäre richtig zu sagen: »Ich glaube ...« hat subjektive Wahrheit; aber »Ich weiß ...« nicht.
{{ParUG|179}} Es wäre richtig zu sagen: »Ich glaube ...« hat subjektive Wahrheit; aber »Ich weiß ...« nicht.


{{ParUG|180}} Oder auch: »Ich glaube ...« ist eine Äußerung, nicht aber »Ich weiß...«.
{{ParUG|180}} Oder auch: »Ich glaube ...« ist eine Äußerung, nicht aber »Ich weiß...«.


{{ParUG|181}} Wie, wenn Moore statt »Ich weiß ...« gesagt hätte »Ich schwöre ...«?
{{ParUG|181}} Wie, wenn Moore statt »Ich weiß ...« gesagt hätte »Ich schwöre ...«?


{{ParUG|182}} Die primitivere Vorstellung ist, daß die Erde ''nie'' einen Anfang genommen hat. Kein Kind hat Grund, sich zu fragen, wie lange es die ''Erde'' schon gegeben hat, weil aller Wandel ''auf'' ihr vor sich geht. Wenn das, was man die Erde nennt, wirklich einmal entstanden ist, was schwer genug vorzustellen ist, so nimmt man den Anfang natürlich in unvordenklicher Zeit an.
{{ParUG|182}} Die primitivere Vorstellung ist, daß die Erde ''nie'' einen Anfang genommen hat. Kein Kind hat Grund, sich zu fragen, wie lange es die ''Erde'' schon gegeben hat, weil aller Wandel ''auf'' ihr vor sich geht. Wenn das, was man die Erde nennt, wirklich einmal entstanden ist, was schwer genug vorzustellen ist, so nimmt man den Anfang natürlich in unvordenklicher Zeit an.


{{ParUG|183}} »Es ist sicher, daß Napoleon nach der Schlacht bei Austerlitz ... Nun, dann ist es doch auch sicher, daß die Erde damals existiert hat.«
{{ParUG|183}} »Es ist sicher, daß Napoleon nach der Schlacht bei Austerlitz ... Nun, dann ist es doch auch sicher, daß die Erde damals existiert hat.«


{{ParUG|184}} »Es ist sicher, daß wir nicht vor 100 Jahren von einem andern Planeten auf diesen herabgekommen sind.« Nun, so sicher, als eben solche Sachen sind.
{{ParUG|184}} »Es ist sicher, daß wir nicht vor 100 Jahren von einem andern Planeten auf diesen herabgekommen sind.« Nun, so sicher, als eben solche Sachen sind.
Line 495: Line 495:
{{ParUG|205}} Wenn das Wahre das Begründete ist, dann ist der Grund nicht ''wahr'', noch falsch.
{{ParUG|205}} Wenn das Wahre das Begründete ist, dann ist der Grund nicht ''wahr'', noch falsch.


{{ParUG|206}} Wenn Einer uns fragte »Aber ist das ''wahr?''«, könnten wir ihm sagen »Ja«; und wenn er Gründe verlangte, so könnten wir sagen »Ich kann dir keine Gründe geben, aber wenn du mehr lernst, wirst du auch dieser Meinung sein«.
{{ParUG|206}} Wenn Einer uns fragte »Aber ist das ''wahr''?«, könnten wir ihm sagen »Ja«; und wenn er Gründe verlangte, so könnten wir sagen »Ich kann dir keine Gründe geben, aber wenn du mehr lernst, wirst du auch dieser Meinung sein«.


Käme es nun nicht dahin, so hieße das, daß er, z. B. Geschichte nicht lernen kann.
Käme es nun nicht dahin, so hieße das, daß er, z. B. Geschichte nicht lernen kann.
Line 501: Line 501:
{{ParUG|207}} »Seltsamer Zufall, daß alle die Menschen, deren Schädel man geöffnet hat, ein Gehirn hatten!«
{{ParUG|207}} »Seltsamer Zufall, daß alle die Menschen, deren Schädel man geöffnet hat, ein Gehirn hatten!«


{{ParUG|208}} Ich habe ein Telephongespräch mit New York. Mein Freund teilt mir mit, daß seine Bäumchen die und die Knospen tragen. Ich bin nun überzeugt, das Bäumchen sei ... Bin ich auch überzeugt, die Erde existiere?
{{ParUG|208}} Ich habe ein Telephongespräch mit New York. Mein Freund teilt mir mit, daß seine Bäumchen die und die Knospen tragen. Ich bin nun überzeugt, das Bäumchen sei ... Bin ich auch überzeugt, die Erde existiere?


{{ParUG|209}} Daß die Erde existiert, ist vielmehr ein Teil des ganzen ''Bildes'', das den Ausgangspunkt meines Glaubens bildet.
{{ParUG|209}} Daß die Erde existiert, ist vielmehr ein Teil des ganzen ''Bildes'', das den Ausgangspunkt meines Glaubens bildet.
Line 545: Line 545:
{{ParUG|227}} »Ist denn das etwas, was man vergessen kann?!«
{{ParUG|227}} »Ist denn das etwas, was man vergessen kann?!«


{{ParUG|228}} »Unter solchen Umständen sagen die Menschen nicht: ›Vielleicht haben wir’s alle vergessen‹ und dergleichen, sondern sie nehmen an ...«
{{ParUG|228}} »Unter solchen Umständen sagen die Menschen nicht: ›Vielleicht haben wir’s alle vergessen‹ und dergleichen, sondern sie nehmen an ...«


{{ParUG|229}} Unsre Rede erhält durch unsre übrigen Handlungen ihren Sinn.
{{ParUG|229}} Unsre Rede erhält durch unsre übrigen Handlungen ihren Sinn.


{{ParUG|230}} Wir fragen uns: Was machen wir mit einer Aussage »Ich ''weiß'' ...«? Denn uns handelt sich’s nicht um Vorgänge oder Zustände des Geistes. Und ''so'' muß man entscheiden, ob etwas ein Wissen ist oder keines.
{{ParUG|230}} Wir fragen uns: Was machen wir mit einer Aussage »Ich ''weiß'' ...«? Denn uns handelt sich’s nicht um Vorgänge oder Zustände des Geistes. Und ''so'' muß man entscheiden, ob etwas ein Wissen ist oder keines.


{{ParUG|231}} Wenn einer bezweifelte, ob die Erde vor 100 Jahren existiert hat, so verstünde ich das ''darum'' nicht, weil ich nicht wüßte, was dieser noch als Evidenz gelten ließe und was nicht.
{{ParUG|231}} Wenn einer bezweifelte, ob die Erde vor 100 Jahren existiert hat, so verstünde ich das ''darum'' nicht, weil ich nicht wüßte, was dieser noch als Evidenz gelten ließe und was nicht.
Line 567: Line 567:
{{ParUG|235}} Und daß mir etwas feststeht, hat seinen Grund nicht in meiner Dummheit oder Leichtgläubigkeit.
{{ParUG|235}} Und daß mir etwas feststeht, hat seinen Grund nicht in meiner Dummheit oder Leichtgläubigkeit.


{{ParUG|236}} Wenn Einer sagte »Die Erde hat nicht schon lange ...« – was würde er damit antasten? Weiß ich’s?
{{ParUG|236}} Wenn Einer sagte »Die Erde hat nicht schon lange ...« – was würde er damit antasten? Weiß ich’s?


Müßte es ein sogenannter wissenschaftlicher Glaube sein? Könnte es kein mystischer sein? Muß er damit unbedingt geschichtlichen Tatsachen widersprechen? Ja, selbst geographischen?
Müßte es ein sogenannter wissenschaftlicher Glaube sein? Könnte es kein mystischer sein? Muß er damit unbedingt geschichtlichen Tatsachen widersprechen? Ja, selbst geographischen?
Line 589: Line 589:
{{ParUG|242}} Müssen wir nicht auf Schritt und Tritt sagen: »Ich ''glaube'' dies mit Bestimmtheit«?
{{ParUG|242}} Müssen wir nicht auf Schritt und Tritt sagen: »Ich ''glaube'' dies mit Bestimmtheit«?


{{ParUG|243}} »Ich weiß ...« sagt man, wenn man bereit ist, zwingende Gründe zu geben. »Ich weiß« bezieht sich auf eine Möglichkeit des Dartuns der Wahrheit. Ob Einer etwas weiß, läßt sich zeigen, angenommen, daß er davon überzeugt ist.
{{ParUG|243}} »Ich weiß ...« sagt man, wenn man bereit ist, zwingende Gründe zu geben. »Ich weiß« bezieht sich auf eine Möglichkeit des Dartuns der Wahrheit. Ob Einer etwas weiß, läßt sich zeigen, angenommen, daß er davon überzeugt ist.


Ist aber was er glaubt von solcher Art, daß die Gründe, die er geben kann, nicht sicherer sind als seine Behauptung, so kann er nicht sagen, er wisse, was er glaubt.
Ist aber was er glaubt von solcher Art, daß die Gründe, die er geben kann, nicht sicherer sind als seine Behauptung, so kann er nicht sagen, er wisse, was er glaubt.
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{{ParUG|263}} Der Schüler ''glaubt'' seinen Lehrern und den Schulbüchern.
{{ParUG|263}} Der Schüler ''glaubt'' seinen Lehrern und den Schulbüchern.


{{ParUG|264}} Ich könnte mir den Fall denken, daß Moore von einem wilden Volksstamm gefangen wird und die den Verdacht aussprechen, er sei von irgendwo zwischen Erde und Mond gekommen. Moore sagt ihnen, er wisse, ..., kann ihnen aber die Gründe für seine Sicherheit nicht geben, weil sie phantastische Ideen vom Flugvermögen eines Menschen haben und von Physik nichts wissen. Dies wäre eine Gelegenheit, jene Aussage zu machen.
{{ParUG|264}} Ich könnte mir den Fall denken, daß Moore von einem wilden Volksstamm gefangen wird und die den Verdacht aussprechen, er sei von irgendwo zwischen Erde und Mond gekommen. Moore sagt ihnen, er wisse, ..., kann ihnen aber die Gründe für seine Sicherheit nicht geben, weil sie phantastische Ideen vom Flugvermögen eines Menschen haben und von Physik nichts wissen. Dies wäre eine Gelegenheit, jene Aussage zu machen.


{{ParUG|265}} Aber was sagt sie mehr, als »Ich bin nie dort und dort gewesen und habe zwingende Gründe, das zu glauben«?
{{ParUG|265}} Aber was sagt sie mehr, als »Ich bin nie dort und dort gewesen und habe zwingende Gründe, das zu glauben«?
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{{ParUG|276}} Wir glauben, sozusagen, daß dieses große Gebäude da ist, und nun sehen wir einmal da ein Eckchen, einmal dort ein Eckchen.
{{ParUG|276}} Wir glauben, sozusagen, daß dieses große Gebäude da ist, und nun sehen wir einmal da ein Eckchen, einmal dort ein Eckchen.


{{ParUG|277}} »Ich kann nicht umhin zu glauben ...«
{{ParUG|277}} »Ich kann nicht umhin zu glauben ...«


{{ParUG|278}} »Ich bin beruhigt, daß es so ist.«
{{ParUG|278}} »Ich bin beruhigt, daß es so ist.«
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Dies System ist etwas, was der Mensch durch Beobachtung und Unterricht aufnimmt. Ich sage absichtlich nicht »lernt«.
Dies System ist etwas, was der Mensch durch Beobachtung und Unterricht aufnimmt. Ich sage absichtlich nicht »lernt«.


{{ParUG|280}} Nachdem er das und das gesehen und das und das gehört hat, ist er außerstande zu bezweifeln, daß ...
{{ParUG|280}} Nachdem er das und das gesehen und das und das gehört hat, ist er außerstande zu bezweifeln, daß ...


{{ParUG|281}} ''Ich'', L. W., glaube, bin sicher, daß mein Freund nicht Sägespäne im Leib oder im Kopf hat, obwohl ich dafür keine direkte Evidenz der Sinne habe. Ich bin sicher, auf Grund dessen, was mir gesagt wurde, was ich gelesen habe, und meiner Erfahrungen. Daran zu zweifeln erscheint mir als Wahnsinn, freilich wieder in Übereinstimmung mit Anderen; aber ''ich'' stimme mit ihnen überein.
{{ParUG|281}} ''Ich'', L. W., glaube, bin sicher, daß mein Freund nicht Sägespäne im Leib oder im Kopf hat, obwohl ich dafür keine direkte Evidenz der Sinne habe. Ich bin sicher, auf Grund dessen, was mir gesagt wurde, was ich gelesen habe, und meiner Erfahrungen. Daran zu zweifeln erscheint mir als Wahnsinn, freilich wieder in Übereinstimmung mit Anderen; aber ''ich'' stimme mit ihnen überein.
Line 717: Line 717:
{{ParUG|289}} Ich bin fest überzeugt, daß die Andern glauben, zu wissen glauben, daß es sich alles so verhält.
{{ParUG|289}} Ich bin fest überzeugt, daß die Andern glauben, zu wissen glauben, daß es sich alles so verhält.


{{ParUG|290}} Ich habe selbst in meinem Buch geschrieben, das Kind lerne ein Wort so und so verstehen: Weiß ich das, oder glaube ich das? Warum schreibe ich in so einem Falle nicht »Ich glaube ...«, sondern einfach den Behauptungssatz?
{{ParUG|290}} Ich habe selbst in meinem Buch geschrieben, das Kind lerne ein Wort so und so verstehen: Weiß ich das, oder glaube ich das? Warum schreibe ich in so einem Falle nicht »Ich glaube ...«, sondern einfach den Behauptungssatz?


{{ParUG|291}} Wir wissen, daß die Erde rund ist. Wir haben uns endgültig davon überzeugt, daß sie rund ist.
{{ParUG|291}} Wir wissen, daß die Erde rund ist. Wir haben uns endgültig davon überzeugt, daß sie rund ist.
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Und gleichermaßen, wenn der Schüler die Gesetzlichkeit der Natur, also die Berechtigung zu Induktionsschlüssen, anzweifelte. – Der Lehrer würde empfinden, daß das ihn und den Schüler nur aufhält, daß er dadurch im Lernen nur steckenbliebe und nicht weiterkäme. – Und er hätte recht. Es wäre, als sollte jemand nach einem Gegenstand im Zimmer suchen; er öffnet eine Lade und sieht ihn nicht darin; da schließt er sie wieder, wartet und öffnet sie wieder, um zu sehen, ob er jetzt nicht etwa darin sei, und so fährt er fort. Er hat noch nicht suchen gelernt. Und so hat jener Schüler noch nicht fragen gelernt. Nicht ''das'' Spiel gelernt, das wir ihn lehren wollen.
Und gleichermaßen, wenn der Schüler die Gesetzlichkeit der Natur, also die Berechtigung zu Induktionsschlüssen, anzweifelte. – Der Lehrer würde empfinden, daß das ihn und den Schüler nur aufhält, daß er dadurch im Lernen nur steckenbliebe und nicht weiterkäme. – Und er hätte recht. Es wäre, als sollte jemand nach einem Gegenstand im Zimmer suchen; er öffnet eine Lade und sieht ihn nicht darin; da schließt er sie wieder, wartet und öffnet sie wieder, um zu sehen, ob er jetzt nicht etwa darin sei, und so fährt er fort. Er hat noch nicht suchen gelernt. Und so hat jener Schüler noch nicht fragen gelernt. Nicht ''das'' Spiel gelernt, das wir ihn lehren wollen.


{{ParUG|316}} Und ist es nicht dasselbe, wie wenn der Schüler den Geschichtsunterricht aufhielte durch Zweifel darüber, ob die Erde wirklich ...?
{{ParUG|316}} Und ist es nicht dasselbe, wie wenn der Schüler den Geschichtsunterricht aufhielte durch Zweifel darüber, ob die Erde wirklich ...?


{{ParUG|317}} Dieser Zweifel gehört nicht zu den Zweifeln unsers Spiels. (Nicht aber, als ob wir uns dieses Spiel aussuchten!)
{{ParUG|317}} Dieser Zweifel gehört nicht zu den Zweifeln unsers Spiels. (Nicht aber, als ob wir uns dieses Spiel aussuchten!)
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{{ParUG|320}} Hier muß man, glaube ich, daran denken, daß der Begriff »Satz« selbst nicht scharf ist.
{{ParUG|320}} Hier muß man, glaube ich, daran denken, daß der Begriff »Satz« selbst nicht scharf ist.


{{ParUG|321}} Ich sage doch: Jeder Erfahrungssatz kann umgewandelt werden in ein Postulat – und wird dann eine Norm der Darstellung. Aber auch dagegen habe ich ein Mißtrauen. Der Satz ist zu allgemein. Man möchte fast sagen »Jeder Erfahrungssatz kann, theoretisch, umgewandelt werden ...«, aber was heißt hier »theoretisch«? Es klingt eben zu sehr nach der ''Log. Phil. Abh''.
{{ParUG|321}} Ich sage doch: Jeder Erfahrungssatz kann umgewandelt werden in ein Postulat – und wird dann eine Norm der Darstellung. Aber auch dagegen habe ich ein Mißtrauen. Der Satz ist zu allgemein. Man möchte fast sagen »Jeder Erfahrungssatz kann, theoretisch, umgewandelt werden ...«, aber was heißt hier »theoretisch«? Es klingt eben zu sehr nach der ''Log. Phil. Abh''.


{{ParUG|322}} Wie, wenn der Schüler nicht glauben wollte, daß dieser Berg seit Menschengedenken immer dagestanden ist?
{{ParUG|322}} Wie, wenn der Schüler nicht glauben wollte, daß dieser Berg seit Menschengedenken immer dagestanden ist?
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{{ParUG|324}} Wir würden also den nicht vernünftig nennen, der etwas, wissenschaftlicher Evidenz zum Trotz, glaubt.
{{ParUG|324}} Wir würden also den nicht vernünftig nennen, der etwas, wissenschaftlicher Evidenz zum Trotz, glaubt.


{{ParUG|325}} Wenn wir sagen, wir ''wissen'', daß ..., so meinen wir, daß jeder Vernünftige in unserer Lage es auch wüßte, daß es Unvernunft wäre, es zu bezweifeln. So will auch Moore nicht nur sagen, ''er'' wisse, daß er etc. etc., sondern auch, daß jeder Vernunftbegabte in seiner Lage es ebenso wüßte.
{{ParUG|325}} Wenn wir sagen, wir ''wissen'', daß ..., so meinen wir, daß jeder Vernünftige in unserer Lage es auch wüßte, daß es Unvernunft wäre, es zu bezweifeln. So will auch Moore nicht nur sagen, ''er'' wisse, daß er etc. etc., sondern auch, daß jeder Vernunftbegabte in seiner Lage es ebenso wüßte.


{{ParUG|326}} Wer sagt uns aber, was in ''dieser'' Lage vernünftig ist zu glauben?
{{ParUG|326}} Wer sagt uns aber, was in ''dieser'' Lage vernünftig ist zu glauben?
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{{ParUG|329}} »Wenn er ''das'' bezweifelt – was immer hier »bezweifeln« heißt –, dann wird er dieses Spiel nie erlernen.«
{{ParUG|329}} »Wenn er ''das'' bezweifelt – was immer hier »bezweifeln« heißt –, dann wird er dieses Spiel nie erlernen.«


{{ParUG|330}} Der Satz »Ich weiß ...« drückt also hier die Bereitschaft aus, gewisse Dinge zu glauben.
{{ParUG|330}} Der Satz »Ich weiß ...« drückt also hier die Bereitschaft aus, gewisse Dinge zu glauben.


13.3.
13.3.
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{{ParUG|354}} Zweifelndes und nichtzweifelndes Benehmen. Es gibt das erste nur, wenn es das zweite gibt.
{{ParUG|354}} Zweifelndes und nichtzweifelndes Benehmen. Es gibt das erste nur, wenn es das zweite gibt.


{{ParUG|355}} Der Irrenarzt etwa könnte mich fragen »Weißt du, was das ist?«, und ich antworten: »Ich weiß, daß das ein Sessel ist; ich kenne ihn, er ist immer schon in meinem Zimmer gestanden.« Er prüft da vielleicht nicht meine Augen, sondern mein Vermögen, Dinge wiederzuerkennen, ihren Namen und ihre Funktion zu wissen. Es handelt sich da um ein Sichauskennen. Es wäre nun für mich falsch zu sagen »Ich glaube, daß das ein Sessel ist«, weil dadurch die Bereitschaft zur Prüfung der Aussage ausgedrückt wäre. Während »Ich weiß, daß das ...« impliziert, daß ''Verblüffung'' einträte, wenn die Bestätigung nicht einträte.
{{ParUG|355}} Der Irrenarzt etwa könnte mich fragen »Weißt du, was das ist?«, und ich antworten: »Ich weiß, daß das ein Sessel ist; ich kenne ihn, er ist immer schon in meinem Zimmer gestanden.« Er prüft da vielleicht nicht meine Augen, sondern mein Vermögen, Dinge wiederzuerkennen, ihren Namen und ihre Funktion zu wissen. Es handelt sich da um ein Sichauskennen. Es wäre nun für mich falsch zu sagen »Ich glaube, daß das ein Sessel ist«, weil dadurch die Bereitschaft zur Prüfung der Aussage ausgedrückt wäre. Während »Ich weiß, daß das ...« impliziert, daß ''Verblüffung'' einträte, wenn die Bestätigung nicht einträte.


{{ParUG|356}} Mein »Seelenzustand«, das »Wissen«, steht mir nicht gut für das, was geschehen wird. Er besteht aber darin, daß ich nicht verstünde, wo ein Zweifel ansetzen könnte, wo eine Überprüfung möglich wäre.
{{ParUG|356}} Mein »Seelenzustand«, das »Wissen«, steht mir nicht gut für das, was geschehen wird. Er besteht aber darin, daß ich nicht verstünde, wo ein Zweifel ansetzen könnte, wo eine Überprüfung möglich wäre.
Line 909: Line 909:
{{ParUG|369}} Wenn ich zweifeln wollte, daß dies meine Hand ist, wie könnte ich da umhin zu zweifeln, daß das Wort »Hand« irgendeine Bedeutung hat? Das scheine ich also doch zu ''wissen''.
{{ParUG|369}} Wenn ich zweifeln wollte, daß dies meine Hand ist, wie könnte ich da umhin zu zweifeln, daß das Wort »Hand« irgendeine Bedeutung hat? Das scheine ich also doch zu ''wissen''.


{{ParUG|370}} Richtiger aber: Daß ich ohne Skrupel das Wort »Hand« und alle übrigen Wörter meines Satzes gebrauche, ja, daß ich vor dem Nichts stünde, sowie ich auch nur versuchen wollte zu zweifeln – zeigt, daß die Zweifellosigkeit zum Wesen des Sprachspiels gehört, daß die Frage »Wie weiß ich ...« das Sprachspiel hinauszieht oder aufhebt.
{{ParUG|370}} Richtiger aber: Daß ich ohne Skrupel das Wort »Hand« und alle übrigen Wörter meines Satzes gebrauche, ja, daß ich vor dem Nichts stünde, sowie ich auch nur versuchen wollte zu zweifeln – zeigt, daß die Zweifellosigkeit zum Wesen des Sprachspiels gehört, daß die Frage »Wie weiß ich ...« das Sprachspiel hinauszieht oder aufhebt.


{{ParUG|371}} Heißt nicht »Ich weiß, daß das eine Hand ist« in Moores Sinn das gleiche oder etwas Ähnliches wie: ich könnte Aussagen wie »Ich habe Schmerzen in dieser Hand« oder »Diese Hand ist schwächer als die andre« oder »Ich habe mir einmal diese Hand gebrochen« und unzählige andere in Sprachspielen gebrauchen, in welche ein Zweifel an der Existenz dieser Hand nicht eintritt.
{{ParUG|371}} Heißt nicht »Ich weiß, daß das eine Hand ist« in Moores Sinn das gleiche oder etwas Ähnliches wie: ich könnte Aussagen wie »Ich habe Schmerzen in dieser Hand« oder »Diese Hand ist schwächer als die andre« oder »Ich habe mir einmal diese Hand gebrochen« und unzählige andere in Sprachspielen gebrauchen, in welche ein Zweifel an der Existenz dieser Hand nicht eintritt.
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{{ParUG|380}} Ich könnte fortfahren: »Nichts auf der Welt wird mich vom Gegenteil überzeugen!« Das Faktum ist für mich am Grunde aller Erkenntnis. Ich werde anderes aufgeben, aber nicht das.
{{ParUG|380}} Ich könnte fortfahren: »Nichts auf der Welt wird mich vom Gegenteil überzeugen!« Das Faktum ist für mich am Grunde aller Erkenntnis. Ich werde anderes aufgeben, aber nicht das.


{{ParUG|381}} Dieses »Nichts auf der Welt ...« ist offenbar eine Einstellung, die man nicht gegenüber alledem hat, was man glaubt oder dessen man sicher ist.
{{ParUG|381}} Dieses »Nichts auf der Welt ...« ist offenbar eine Einstellung, die man nicht gegenüber alledem hat, was man glaubt oder dessen man sicher ist.


{{ParUG|382}} Es ist damit nicht gesagt, daß wirklich nichts auf der Welt imstande sein wird, mich eines andern zu überzeugen.
{{ParUG|382}} Es ist damit nicht gesagt, daß wirklich nichts auf der Welt imstande sein wird, mich eines andern zu überzeugen.
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{{ParUG|383}} Das Argument »Vielleicht träume ich« ist darum sinnlos, weil dann eben auch diese Äußerung geträumt ist, ja auch ''das'', daß diese Worte eine Bedeutung haben.
{{ParUG|383}} Das Argument »Vielleicht träume ich« ist darum sinnlos, weil dann eben auch diese Äußerung geträumt ist, ja auch ''das'', daß diese Worte eine Bedeutung haben.


{{ParUG|384}} Welcher Art ist nun der Satz »Nichts auf der Welt ...«?
{{ParUG|384}} Welcher Art ist nun der Satz »Nichts auf der Welt ...«?


{{ParUG|385}} Er hat die Form einer Vorhersage, ist aber (natürlich) nicht eine, die auf Erfahrung beruht.
{{ParUG|385}} Er hat die Form einer Vorhersage, ist aber (natürlich) nicht eine, die auf Erfahrung beruht.


{{ParUG|386}} Wer, wie Moore, sagt, er ''wisse'', daß ... – gibt den Grad der Gewißheit an, den etwas für ihn hat. Und es ist wichtig, daß es für diesen Grad ein Maximum gibt.
{{ParUG|386}} Wer, wie Moore, sagt, er ''wisse'', daß ... – gibt den Grad der Gewißheit an, den etwas für ihn hat. Und es ist wichtig, daß es für diesen Grad ein Maximum gibt.


{{ParUG|387}} Man könnte mich fragen: »Wie sicher bist du: daß das dort ein Baum ist; daß du Geld in der Tasche hast; daß das dein Fuß ist?« Und die Antwort könnte in einem Fall sein »nicht sicher«, in einem andern »so gut wie sicher«, im dritten »Ich kann nicht zweifeln«. Und diese Antworten hätten Sinn auch ohne alle Gründe. Ich brauchte z. B. nicht zu sagen: »Ich kann nicht sicher sein, ob das ein Baum ist, weil meine Augen  nicht scharf genug sind.« Ich will sagen: es hatte Sinn für Moore zu sagen »Ich ''weiß'', daß das ein Baum ist«, wenn er damit etwas ganz Bestimmtes sagen wollte.
{{ParUG|387}} Man könnte mich fragen: »Wie sicher bist du: daß das dort ein Baum ist; daß du Geld in der Tasche hast; daß das dein Fuß ist?« Und die Antwort könnte in einem Fall sein »nicht sicher«, in einem andern »so gut wie sicher«, im dritten »Ich kann nicht zweifeln«. Und diese Antworten hätten Sinn auch ohne alle Gründe. Ich brauchte z. B. nicht zu sagen: »Ich kann nicht sicher sein, ob das ein Baum ist, weil meine Augen  nicht scharf genug sind.« Ich will sagen: es hatte Sinn für Moore zu sagen »Ich ''weiß'', daß das ein Baum ist«, wenn er damit etwas ganz Bestimmtes sagen wollte.
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{{ParUG|400}} Ich bin hier geneigt, gegen Windmühlen zu kämpfen, weil ich das noch nicht sagen kann, was ich eigentlich sagen will.
{{ParUG|400}} Ich bin hier geneigt, gegen Windmühlen zu kämpfen, weil ich das noch nicht sagen kann, was ich eigentlich sagen will.


{{ParUG|401}} Ich will sagen: Sätze von der Form der Erfahrungssätze und nicht nur Sätze der Logik gehören zum Fundament alles Operierens mit Gedanken (mit der Sprache). – Diese Feststellung ist nicht von der Form »Ich weiß, ...«. »Ich weiß, ...« sagt aus, was ''ich'' weiß, und das ist nicht von logischem Interesse.
{{ParUG|401}} Ich will sagen: Sätze von der Form der Erfahrungssätze und nicht nur Sätze der Logik gehören zum Fundament alles Operierens mit Gedanken (mit der Sprache). – Diese Feststellung ist nicht von der Form »Ich weiß, ...«. »Ich weiß, ...« sagt aus, was ''ich'' weiß, und das ist nicht von logischem Interesse.


{{ParUG|402}} In dieser Bemerkung ist schon der Ausdruck »Sätze von der Form der Erfahrungssätze« ganz schlecht; es handelt sich um Aussagen über Gegenstände. Und sie dienen nicht als Fundamente wie Hypothesen, die, wenn sie sich als falsch erweisen, durch andere ersetzt werden.
{{ParUG|402}} In dieser Bemerkung ist schon der Ausdruck »Sätze von der Form der Erfahrungssätze« ganz schlecht; es handelt sich um Aussagen über Gegenstände. Und sie dienen nicht als Fundamente wie Hypothesen, die, wenn sie sich als falsch erweisen, durch andere ersetzt werden.
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{{ParUG|405}} Aber auch hier ist natürlich noch ein Fehler.
{{ParUG|405}} Aber auch hier ist natürlich noch ein Fehler.


{{ParUG|406}} Das, worauf ich abziele, liegt auch in dem Unterschied zwischen der beiläufigen Feststellung »Ich weiß, daß das ...«, wie sie im gewöhnlichen Leben gebraucht wird, und dieser Äußerung, wenn der Philosoph sie macht.
{{ParUG|406}} Das, worauf ich abziele, liegt auch in dem Unterschied zwischen der beiläufigen Feststellung »Ich weiß, daß das ...«, wie sie im gewöhnlichen Leben gebraucht wird, und dieser Äußerung, wenn der Philosoph sie macht.


{{ParUG|407}} Denn wenn Moore sagt »Ich weiß, daß das ... ist«, möchte ich antworten: »Du ''weißt'' gar nichts!« Und doch würde ich das dem nicht antworten, der ohne philosophische Absicht so spricht. Ich fühle also (ob mit Recht?), daß diese zwei Verschiedenes sagen wollen.
{{ParUG|407}} Denn wenn Moore sagt »Ich weiß, daß das ... ist«, möchte ich antworten: »Du ''weißt'' gar nichts!« Und doch würde ich das dem nicht antworten, der ohne philosophische Absicht so spricht. Ich fühle also (ob mit Recht?), daß diese zwei Verschiedenes sagen wollen.


{{ParUG|408}} Denn sagt Einer, er ''wisse'' das und das, und das gehört zu seiner Philosophie – so ist sie falsch, wenn er in jener Aussage fehlgegangen ist.
{{ParUG|408}} Denn sagt Einer, er ''wisse'' das und das, und das gehört zu seiner Philosophie – so ist sie falsch, wenn er in jener Aussage fehlgegangen ist.
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{{ParUG|413}} Denn nimm an, du führtest einem Blinden die Hand und sagtest, indem du sie deiner Hand entlang führst, »Das ist meine Hand«; wenn er dich nun fragte »Bist du sicher?« oder »Weißt du das?«, so würde das nur unter sehr besondern Umständen Sinn haben.
{{ParUG|413}} Denn nimm an, du führtest einem Blinden die Hand und sagtest, indem du sie deiner Hand entlang führst, »Das ist meine Hand«; wenn er dich nun fragte »Bist du sicher?« oder »Weißt du das?«, so würde das nur unter sehr besondern Umständen Sinn haben.


{{ParUG|414}} Aber anderseits: Woher ''weiß'' ich, daß das meine Hand ist? Ja, weiß ich auch hier genau, was es bedeutet zu sagen, es sei meine Hand? – Wenn ich sage »Woher weiß ich’s?«, so meine ich nicht, daß ich im mindesten daran ''zweifle''. Es ist hier eine Grundlage meines ganzen Handelns. Aber mir scheint, sie ist falsch ausgedrückt durch die Worte »Ich weiß ...«
{{ParUG|414}} Aber anderseits: Woher ''weiß'' ich, daß das meine Hand ist? Ja, weiß ich auch hier genau, was es bedeutet zu sagen, es sei meine Hand? – Wenn ich sage »Woher weiß ich’s?«, so meine ich nicht, daß ich im mindesten daran ''zweifle''. Es ist hier eine Grundlage meines ganzen Handelns. Aber mir scheint, sie ist falsch ausgedrückt durch die Worte »Ich weiß ...«


{{ParUG|415}} Ja, ist nicht der Gebrauch des Wortes Wissen, als eines ausgezeichneten philosophischen Worts, überhaupt ganz falsch? Wenn »wissen« dieses Interesse hat, warum nicht »sicher sein«? Offenbar, weil es zu subjektiv wäre. Aber ist wissen nicht ''ebenso'' subjektiv? Ist man nicht nur durch die grammatische Eigentümlichkeit getäuscht, daß aus »ich weiß p« »p« folgt?
{{ParUG|415}} Ja, ist nicht der Gebrauch des Wortes Wissen, als eines ausgezeichneten philosophischen Worts, überhaupt ganz falsch? Wenn »wissen« dieses Interesse hat, warum nicht »sicher sein«? Offenbar, weil es zu subjektiv wäre. Aber ist wissen nicht ''ebenso'' subjektiv? Ist man nicht nur durch die grammatische Eigentümlichkeit getäuscht, daß aus »ich weiß p« »p« folgt?
Line 1,052: Line 1,052:
22.3.
22.3.


{{ParUG|427}} Man muß zeigen, daß, auch wenn er nie die Worte gebraucht »Ich weiß, ...«, sein Gebaren das zeigt, worauf es uns ankommt.
{{ParUG|427}} Man muß zeigen, daß, auch wenn er nie die Worte gebraucht »Ich weiß, ...«, sein Gebaren das zeigt, worauf es uns ankommt.


{{ParUG|428}} Denn wie, wenn ein normal handelnder Mensch uns versicherte: er ''glaube'' nur, er heiße soundso, er ''glaube'' seine ständigen Hausgenossen zu erkennen, er glaube Hände und Füße zu haben, wenn er sie nicht gerade sieht, usw. Können wir ihm aus seinen Handlungen (und Reden) zeigen, daß es nicht so ist?
{{ParUG|428}} Denn wie, wenn ein normal handelnder Mensch uns versicherte: er ''glaube'' nur, er heiße soundso, er ''glaube'' seine ständigen Hausgenossen zu erkennen, er glaube Hände und Füße zu haben, wenn er sie nicht gerade sieht, usw. Können wir ihm aus seinen Handlungen (und Reden) zeigen, daß es nicht so ist?
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{{ParUG|431}} »Ich weiß, daß dieses Zimmer auf dem zweiten Stock ist, daß hinter der Tür ein kurzer Gang zur Treppe führt, etc.« Es ließen sich Fälle denken, wo ich die Äußerung machen würde, aber es wären recht seltene Fälle. Anderseits aber zeige ich dieses Wissen tagtäglich durch meine Handlungen und auch in meinem Reden.
{{ParUG|431}} »Ich weiß, daß dieses Zimmer auf dem zweiten Stock ist, daß hinter der Tür ein kurzer Gang zur Treppe führt, etc.« Es ließen sich Fälle denken, wo ich die Äußerung machen würde, aber es wären recht seltene Fälle. Anderseits aber zeige ich dieses Wissen tagtäglich durch meine Handlungen und auch in meinem Reden.


Was entnimmt nun der Andre aus diesen meinen Handlungen und Reden? Nicht nur, daß ich meiner Sache sicher bin? – Daraus, daß ich hier seit vielen Wochen gewohnt habe und täglich treppauf und -ab gegangen bin, wird er entnehmen, daß ich ''weiß'', wo mein Zimmer gelegen ist. – Die Versicherung »Ich weiß ...« werde ich gebrauchen, wenn er das noch ''nicht'' weiß, woraus er mein Wissen unbedingt schließen müßte.
Was entnimmt nun der Andre aus diesen meinen Handlungen und Reden? Nicht nur, daß ich meiner Sache sicher bin? – Daraus, daß ich hier seit vielen Wochen gewohnt habe und täglich treppauf und -ab gegangen bin, wird er entnehmen, daß ich ''weiß'', wo mein Zimmer gelegen ist. – Die Versicherung »Ich weiß ...« werde ich gebrauchen, wenn er das noch ''nicht'' weiß, woraus er mein Wissen unbedingt schließen müßte.


{{ParUG|432}} Die Äußerung »Ich weiß ...« kann nur in Verbindung mit der übrigen Evidenz des »Wissens« ihre Bedeutung haben.
{{ParUG|432}} Die Äußerung »Ich weiß ...« kann nur in Verbindung mit der übrigen Evidenz des »Wissens« ihre Bedeutung haben.


{{ParUG|433}} Wenn ich also jemandem sage »Ich weiß, daß das ein Baum ist«, so ist es, wie wenn ich ihm sagte: »Das ist ein Baum; du kannst dich absolut drauf verlassen; es ist kein Zweifel.« Und das könnte der Philosoph nur dazu gebrauchen, um zu zeigen, daß man diese Form der Rede wirklich gebraucht. Wenn das aber nicht bloß eine Bemerkung der deutschen Grammatik sein soll, so muß er die Umstände angeben, in denen dieser Ausdruck funktioniert.
{{ParUG|433}} Wenn ich also jemandem sage »Ich weiß, daß das ein Baum ist«, so ist es, wie wenn ich ihm sagte: »Das ist ein Baum; du kannst dich absolut drauf verlassen; es ist kein Zweifel.« Und das könnte der Philosoph nur dazu gebrauchen, um zu zeigen, daß man diese Form der Rede wirklich gebraucht. Wenn das aber nicht bloß eine Bemerkung der deutschen Grammatik sein soll, so muß er die Umstände angeben, in denen dieser Ausdruck funktioniert.
Line 1,092: Line 1,092:
{{ParUG|440}} Es ist hier etwas Allgemeines; nicht nur etwas Persönliches.
{{ParUG|440}} Es ist hier etwas Allgemeines; nicht nur etwas Persönliches.


{{ParUG|441}} Im Gerichtssaal würde die bloße Versicherung des Zeugen »Ich weiß ...« niemand überzeugen. Es muß gezeigt werden, daß der Zeuge in der Lage war zu wissen.
{{ParUG|441}} Im Gerichtssaal würde die bloße Versicherung des Zeugen »Ich weiß ...« niemand überzeugen. Es muß gezeigt werden, daß der Zeuge in der Lage war zu wissen.


Auch die Versicherung »Ich weiß, daß das eine Hand ist«, wobei man die eigene Hand ansieht, wäre nicht glaubhaft, wenn wir die Umstände der Aussage nicht kennten. Und kennen wir sie, so scheint sie zu versichern, daß der Sprechende in dieser Beziehung normal ist.
Auch die Versicherung »Ich weiß, daß das eine Hand ist«, wobei man die eigene Hand ansieht, wäre nicht glaubhaft, wenn wir die Umstände der Aussage nicht kennten. Und kennen wir sie, so scheint sie zu versichern, daß der Sprechende in dieser Beziehung normal ist.
Line 1,098: Line 1,098:
{{ParUG|442}} Kann es denn nicht sein, daß ich mir ''einbilde'', etwas zu ''wissen?''
{{ParUG|442}} Kann es denn nicht sein, daß ich mir ''einbilde'', etwas zu ''wissen?''


{{ParUG|443}} Denke, es gäbe in einer Sprache kein Wort, das unserm »wissen« entspricht. – Sie sprechen einfach die Behauptung aus. »Das ist ein Baum« etc. Es kann natürlich vorkommen, daß sie sich irren. Und da fügen sie nun dem Satz ein Zeichen hinzu, das anzeigt, für wie wahrscheinlich sie einen Irrtum halten – oder soll ich sagen: wie wahrscheinlich ein Irrtum in diesem Falle ist? Dies letztere kann man auch durch die Angabe gewisser Umstände anzeigen. Z. B. »A sagte dem B ... Ich stand ganz nahe bei ihnen, und meine Ohren sind gut« oder »A war gestern dort und dort. Ich habe ihn von weitem gesehen. Meine Augen sind nicht sehr gut« oder »Dort steht ein Baum. Ich sehe ihn deutlich und habe ihn unzählige Male gesehen«.
{{ParUG|443}} Denke, es gäbe in einer Sprache kein Wort, das unserm »wissen« entspricht. – Sie sprechen einfach die Behauptung aus. »Das ist ein Baum« etc. Es kann natürlich vorkommen, daß sie sich irren. Und da fügen sie nun dem Satz ein Zeichen hinzu, das anzeigt, für wie wahrscheinlich sie einen Irrtum halten – oder soll ich sagen: wie wahrscheinlich ein Irrtum in diesem Falle ist? Dies letztere kann man auch durch die Angabe gewisser Umstände anzeigen. Z. B. »A sagte dem B ... Ich stand ganz nahe bei ihnen, und meine Ohren sind gut« oder »A war gestern dort und dort. Ich habe ihn von weitem gesehen. Meine Augen sind nicht sehr gut« oder »Dort steht ein Baum. Ich sehe ihn deutlich und habe ihn unzählige Male gesehen«.


{{ParUG|444}} »Der Zug geht um 2 Uhr. Prüf zur Sicherheit noch einmal nach« oder »Der Zug geht um 2 Uhr. Ich habe gerade in einem neuen Fahrplan nachgeschaut«. Man kann auch hinzufügen »Ich bin in solchen Sachen verläßlich«. Die Nützlichkeit solcher Zusätze ist offenbar.
{{ParUG|444}} »Der Zug geht um 2 Uhr. Prüf zur Sicherheit noch einmal nach« oder »Der Zug geht um 2 Uhr. Ich habe gerade in einem neuen Fahrplan nachgeschaut«. Man kann auch hinzufügen »Ich bin in solchen Sachen verläßlich«. Die Nützlichkeit solcher Zusätze ist offenbar.
Line 1,118: Line 1,118:
{{ParUG|449}} Es muß uns etwas als Grundlage gelehrt werden.
{{ParUG|449}} Es muß uns etwas als Grundlage gelehrt werden.


{{ParUG|450}} Ich will sagen: Unser Lernen hat die Form »Das ist ein Veilchen«, »Das ist ein Tisch«. Das Kind könnte allerdings das Wort »Veilchen« zum erstenmal in dem Satz hören »Das ist vielleicht ein Veilchen«; dann aber könnte es fragen »Was ist ein Veilchen?« Nun könnte dies freilich dadurch beantwortet werden, daß man ihm ein ''Bild'' zeigt. Aber wie wäre es, wenn man nur beim Vorzeigen eines Bilds sagte »Das ist ein ...«, sonst aber immer nur: »Das ist vielleicht ein ...«? – Welche praktischen Folgen soll es haben?
{{ParUG|450}} Ich will sagen: Unser Lernen hat die Form »Das ist ein Veilchen«, »Das ist ein Tisch«. Das Kind könnte allerdings das Wort »Veilchen« zum erstenmal in dem Satz hören »Das ist vielleicht ein Veilchen«; dann aber könnte es fragen »Was ist ein Veilchen?« Nun könnte dies freilich dadurch beantwortet werden, daß man ihm ein ''Bild'' zeigt. Aber wie wäre es, wenn man nur beim Vorzeigen eines Bilds sagte »Das ist ein ...«, sonst aber immer nur: »Das ist vielleicht ein ...«? – Welche praktischen Folgen soll es haben?


Ein Zweifel, der an allem zweifelte, wäre kein Zweifel.
Ein Zweifel, der an allem zweifelte, wäre kein Zweifel.
Line 1,126: Line 1,126:
»Der Gegenstand dort, der ausschaut wie ein Baum, ist nicht die künstliche Imitation eines Baumes, sondern ein wirklicher Baum.«
»Der Gegenstand dort, der ausschaut wie ein Baum, ist nicht die künstliche Imitation eines Baumes, sondern ein wirklicher Baum.«


{{ParUG|452}} Es wäre nicht vernünftig, zu zweifeln, ob das ein wirklicher Baum oder ... sei.
{{ParUG|452}} Es wäre nicht vernünftig, zu zweifeln, ob das ein wirklicher Baum oder ... sei.


Daß es mir (als) zweifellos erscheint, darauf kommt’s nicht an. Wenn es unvernünftig wäre, hier zu zweifeln, so kann das nicht aus meinem Dafürhalten ersehen werden. Es müßte also eine Regel geben, die den Zweifel hier für unvernünftig erklärt. Die aber gibt es auch nicht.
Daß es mir (als) zweifellos erscheint, darauf kommt’s nicht an. Wenn es unvernünftig wäre, hier zu zweifeln, so kann das nicht aus meinem Dafürhalten ersehen werden. Es müßte also eine Regel geben, die den Zweifel hier für unvernünftig erklärt. Die aber gibt es auch nicht.
Line 1,146: Line 1,146:
{{ParUG|459}} Wenn der Kaufmann jeden seiner Äpfel ohne Grund untersuchen wollte, um da recht sicherzugehen, warum muß er (dann) nicht die Untersuchung untersuchen? Und kann man nun hier von Glauben reden (ich meine, im Sinne von religiösem Glauben, nicht von Vermutung)? Alle psychologischen Wörter führen hier nur von der Hauptsache ab.
{{ParUG|459}} Wenn der Kaufmann jeden seiner Äpfel ohne Grund untersuchen wollte, um da recht sicherzugehen, warum muß er (dann) nicht die Untersuchung untersuchen? Und kann man nun hier von Glauben reden (ich meine, im Sinne von religiösem Glauben, nicht von Vermutung)? Alle psychologischen Wörter führen hier nur von der Hauptsache ab.


{{ParUG|460}} Ich gehe zum Arzt, zeige ihm meine Hand und sage »Das ist eine Hand, nicht ...; ich habe sie mir verletzt etc. etc.« Mache ich da nur eine überflüssige Mitteilung? Könnte man z. B. nicht sagen: Angenommen die Worte »Das ist eine Hand« seien eine Mitteilung – wie konntest du dann darauf rechnen, daß er die Mitteilung versteht? Ja, wenn es einem Zweifel unterliegt, »daß das eine Hand ist«, warum unterliegt es nicht auch einem Zweifel, daß ich ein Mensch bin, der dem Arzt dies mitteilt? – Anderseits kann man sich aber – wenn auch sehr seltsame – Fälle vorstellen, wo so eine Erklärung nicht überflüssig ist, oder nur überflüssig, aber nicht absurd ist.
{{ParUG|460}} Ich gehe zum Arzt, zeige ihm meine Hand und sage »Das ist eine Hand, nicht ...; ich habe sie mir verletzt etc. etc.« Mache ich da nur eine überflüssige Mitteilung? Könnte man z. B. nicht sagen: Angenommen die Worte »Das ist eine Hand« seien eine Mitteilung – wie konntest du dann darauf rechnen, daß er die Mitteilung versteht? Ja, wenn es einem Zweifel unterliegt, »daß das eine Hand ist«, warum unterliegt es nicht auch einem Zweifel, daß ich ein Mensch bin, der dem Arzt dies mitteilt? – Anderseits kann man sich aber – wenn auch sehr seltsame – Fälle vorstellen, wo so eine Erklärung nicht überflüssig ist, oder nur überflüssig, aber nicht absurd ist.


{{ParUG|461}} Angenommen, ich wäre der Arzt, und ein Patient kommt zu mir, zeigt mir seine Hand und sagt: »Was hier wie eine Hand ausschaut, ist nicht eine ausgezeichnete Imitation, sondern wirklich eine Hand.« Worauf er von seiner Verletzung redet. – Würde ich dies wirklich als eine Mitteilung, wenn auch eine überflüssige, ansehen? Würde ich es nicht vielmehr für Unsinn halten, der allerdings die Form einer Mitteilung hat? Denn, würde ich sagen, wenn diese Mitteilung wirklich Sinn hätte, wie kann er seiner Sache sicher sein? Es fehlt der Mitteilung der Hintergrund.
{{ParUG|461}} Angenommen, ich wäre der Arzt, und ein Patient kommt zu mir, zeigt mir seine Hand und sagt: »Was hier wie eine Hand ausschaut, ist nicht eine ausgezeichnete Imitation, sondern wirklich eine Hand.« Worauf er von seiner Verletzung redet. – Würde ich dies wirklich als eine Mitteilung, wenn auch eine überflüssige, ansehen? Würde ich es nicht vielmehr für Unsinn halten, der allerdings die Form einer Mitteilung hat? Denn, würde ich sagen, wenn diese Mitteilung wirklich Sinn hätte, wie kann er seiner Sache sicher sein? Es fehlt der Mitteilung der Hintergrund.
Line 1,164: Line 1,164:
Es kommt mir vor, als wären diese Worte ähnlich einem »Grüß Gott«, wenn man es mitten im Gespräch dem Andern sagte.
Es kommt mir vor, als wären diese Worte ähnlich einem »Grüß Gott«, wenn man es mitten im Gespräch dem Andern sagte.


{{ParUG|465}} Wie wäre es mit den Worten »Man weiß heute, daß es über ... Arten von Insekten gibt«, statt der Worte »Ich weiß, daß das ein Baum ist«? Wenn Einer jenen Satz plötzlich außer allem Zusammenhang ausspräche, so könnte man meinen, er habe inzwischen an etwas anderes gedacht und spreche nun einen Satz seines Gedankenganges laut aus. Oder auch: er sei in einer Trance und rede, ohne seine Worte zu verstehen.
{{ParUG|465}} Wie wäre es mit den Worten »Man weiß heute, daß es über ... Arten von Insekten gibt«, statt der Worte »Ich weiß, daß das ein Baum ist«? Wenn Einer jenen Satz plötzlich außer allem Zusammenhang ausspräche, so könnte man meinen, er habe inzwischen an etwas anderes gedacht und spreche nun einen Satz seines Gedankenganges laut aus. Oder auch: er sei in einer Trance und rede, ohne seine Worte zu verstehen.


{{ParUG|466}} Es scheint mir also, ich habe etwas schon die ganze Zeit gewußt, und doch habe es keinen Sinn, dies zu sagen, diese Wahrheit auszusprechen.
{{ParUG|466}} Es scheint mir also, ich habe etwas schon die ganze Zeit gewußt, und doch habe es keinen Sinn, dies zu sagen, diese Wahrheit auszusprechen.
Line 1,222: Line 1,222:
{{ParUG|483}} Richtige Verwendung des Wortes ''»''Ich weiß«.
{{ParUG|483}} Richtige Verwendung des Wortes ''»''Ich weiß«.


Ein Schwachsichtiger fragt mich: »Glaubst du, daß das, was wir dort sehen, ein Baum ist?« – Ich antworte: »Ich ''weiß'' es; ich sehe ihn genau und kenne ihn gut.« A: »Ist N. N. zu Hause?« – Ich: »Ich glaube ja«. – A: »War er gestern zu Hause?« – Ich: »Gestern war er zu Hause, das weiß ich, ich habe mit ihm gesprochen.« – A: »Weißt du, oder glaubst du nur, daß dieser Teil des Hauses neu dazugebaut ist?« – Ich: »Ich ''weiß'' es; ich habe mich beim ... erkundigt.«
Ein Schwachsichtiger fragt mich: »Glaubst du, daß das, was wir dort sehen, ein Baum ist?« – Ich antworte: »Ich ''weiß'' es; ich sehe ihn genau und kenne ihn gut.« A: »Ist N. N. zu Hause?« – Ich: »Ich glaube ja«. – A: »War er gestern zu Hause?« – Ich: »Gestern war er zu Hause, das weiß ich, ich habe mit ihm gesprochen.« – A: »Weißt du, oder glaubst du nur, daß dieser Teil des Hauses neu dazugebaut ist?« – Ich: »Ich ''weiß'' es; ich habe mich beim ... erkundigt.«


{{ParUG|484}} Hier sagt man also »Ich weiß« und gibt den Grund des Wissens an, oder man kann ihn doch angeben.
{{ParUG|484}} Hier sagt man also »Ich weiß« und gibt den Grund des Wissens an, oder man kann ihn doch angeben.
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{{ParUG|489}} Denn was antwortet man dem, der sagt: »Ich glaube, es kommt dir nur so vor, als wüßtest du’s«?
{{ParUG|489}} Denn was antwortet man dem, der sagt: »Ich glaube, es kommt dir nur so vor, als wüßtest du’s«?


{{ParUG|490}} Wenn ich nun frage »Weiß ich, oder glaube ich nur, daß ich ... heiße?«, so nützt es nichts, daß ich in mich hineinsehe.
{{ParUG|490}} Wenn ich nun frage »Weiß ich, oder glaube ich nur, daß ich ... heiße?«, so nützt es nichts, daß ich in mich hineinsehe.


Ich könnte aber sagen: Nicht nur zweifle ich nie im mindesten, daß ich so heiße, sondern ich könnte keines Urteils sicher sein, wenn sich darüber ein Zweifel erhöbe.
Ich könnte aber sagen: Nicht nur zweifle ich nie im mindesten, daß ich so heiße, sondern ich könnte keines Urteils sicher sein, wenn sich darüber ein Zweifel erhöbe.
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10.4.
10.4.


{{ParUG|491}} »Weiß ich, oder glaub ich nur, daß ich L. W. heiße?« – Ja, wenn die Frage hieße »Bin ich sicher, oder vermute ich nur, daß ich ...?«, da könnte man sich auf meine Antwort verlassen. –
{{ParUG|491}} »Weiß ich, oder glaub ich nur, daß ich L. W. heiße?« – Ja, wenn die Frage hieße »Bin ich sicher, oder vermute ich nur, daß ich ...?«, da könnte man sich auf meine Antwort verlassen. –


{{ParUG|492}} »Weiß ich, oder glaube ich nur, ...?« könnte man auch so ausdrücken: Wie, wenn es sich herauszustellen ''schiene'', daß, was mir bisher dem Zweifel nicht zugänglich schien, eine falsche Annahme war? Würde ich da reagieren, wie wenn ein Glauben sich als falsch erwiesen hat? Oder würde das den Boden meines Urteilens auszuschlagen scheinen? – Aber ich will hier natürlich nicht eine ''Prophezeiung''.
{{ParUG|492}} »Weiß ich, oder glaube ich nur, ...?« könnte man auch so ausdrücken: Wie, wenn es sich herauszustellen ''schiene'', daß, was mir bisher dem Zweifel nicht zugänglich schien, eine falsche Annahme war? Würde ich da reagieren, wie wenn ein Glauben sich als falsch erwiesen hat? Oder würde das den Boden meines Urteilens auszuschlagen scheinen? – Aber ich will hier natürlich nicht eine ''Prophezeiung''.


Würde ich einfach sagen »Das hätte ich nie gedacht!« – oder aber mich weigern (müssen), mein Urteil zu revidieren, weil nämlich eine solche »Revision« einer Vernichtung aller Maßstäbe gleichkäme?
Würde ich einfach sagen »Das hätte ich nie gedacht!« – oder aber mich weigern (müssen), mein Urteil zu revidieren, weil nämlich eine solche »Revision« einer Vernichtung aller Maßstäbe gleichkäme?
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{{ParUG|500}} Aber es schiene mir auch Unsinn zu sein, zu sagen »Ich weiß, daß das Gesetz der Induktion wahr ist«.
{{ParUG|500}} Aber es schiene mir auch Unsinn zu sein, zu sagen »Ich weiß, daß das Gesetz der Induktion wahr ist«.


Denk dir so eine Aussage in einem Gerichtshof gemacht. Richtiger wäre noch »Ich glaube an das Gesetz ...«, wo »glauben« nichts mit ''vermuten'' zu tun hat.
Denk dir so eine Aussage in einem Gerichtshof gemacht. Richtiger wäre noch »Ich glaube an das Gesetz ...«, wo »glauben« nichts mit ''vermuten'' zu tun hat.


{{ParUG|501}} Komme ich nicht immer mehr und mehr dahin zu sagen, daß die Logik sich am Schluß nicht beschreiben lasse? Du mußt die Praxis der Sprache ansehen, dann siehst du sie.
{{ParUG|501}} Komme ich nicht immer mehr und mehr dahin zu sagen, daß die Logik sich am Schluß nicht beschreiben lasse? Du mußt die Praxis der Sprache ansehen, dann siehst du sie.
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{{ParUG|502}} Könnte man sagen »Ich weiß mit geschlossenen Augen die Lage meiner Hände«, wenn meine Angabe immer oder meistens dem Zeugnis der Andern widerspräche?
{{ParUG|502}} Könnte man sagen »Ich weiß mit geschlossenen Augen die Lage meiner Hände«, wenn meine Angabe immer oder meistens dem Zeugnis der Andern widerspräche?


{{ParUG|503}} Ich schaue einen Gegenstand an und sage »Das ist ein Baum« oder »Ich weiß, daß das ...« – Gehe ich nun in die Nähe und es stellt sich anders heraus, so kann ich sagen
{{ParUG|503}} Ich schaue einen Gegenstand an und sage »Das ist ein Baum« oder »Ich weiß, daß das ...« – Gehe ich nun in die Nähe und es stellt sich anders heraus, so kann ich sagen


»Es war doch kein Baum«; oder ich sage »Es ''war'' ein Baum, ist es aber jetzt nicht mehr«. Wenn nun aber alle Andern mit mir in Widerspruch wären und sagten, es wäre nie ein Baum gewesen, und wenn alle andern Zeugnisse gegen mich sprächen – was ''nützte'' es mir dann noch, auf meinem »Ich weiß ...« zu beharren?
»Es war doch kein Baum«; oder ich sage »Es ''war'' ein Baum, ist es aber jetzt nicht mehr«. Wenn nun aber alle Andern mit mir in Widerspruch wären und sagten, es wäre nie ein Baum gewesen, und wenn alle andern Zeugnisse gegen mich sprächen – was ''nützte'' es mir dann noch, auf meinem »Ich weiß ...« zu beharren?


{{ParUG|504}} Ob ich etwas ''weiß'', hängt davon ab, ob die Evidenz mir recht gibt oder mir widerspricht. Denn zu sagen, man wisse, daß man Schmerzen habe, heißt nichts.
{{ParUG|504}} Ob ich etwas ''weiß'', hängt davon ab, ob die Evidenz mir recht gibt oder mir widerspricht. Denn zu sagen, man wisse, daß man Schmerzen habe, heißt nichts.
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{{ParUG|529}} Auch wird z. B. ein Kind vom andern sagen, oder von sich selbst, es wisse schon, wie das und das heißt.
{{ParUG|529}} Auch wird z. B. ein Kind vom andern sagen, oder von sich selbst, es wisse schon, wie das und das heißt.


{{ParUG|530}} Ich kann jemandem sagen »Diese Farbe heißt auf deutsch »rot«« (wenn ich ihn z.B. im Deutschen unterrichte). Ich würde in diesem Falle nicht sagen »Ich weiß, daß diese Farbe ...« – das würde ich etwa sagen, wenn ich es soeben selbst gelernt hätte, oder im Gegensatz zu einer andern Farbe, deren deutschen Namen ich nicht kenne.
{{ParUG|530}} Ich kann jemandem sagen »Diese Farbe heißt auf deutsch »rot«« (wenn ich ihn z.B. im Deutschen unterrichte). Ich würde in diesem Falle nicht sagen »Ich weiß, daß diese Farbe ...« – das würde ich etwa sagen, wenn ich es soeben selbst gelernt hätte, oder im Gegensatz zu einer andern Farbe, deren deutschen Namen ich nicht kenne.


{{ParUG|531}} Ist es nun aber nicht richtig, meinen gegenwärtigen Zustand ''so'' zu beschreiben: ich ''wisse'', wie diese Farbe auf deutsch heißt? Und wenn das richtig ist, warum soll ich dann nicht meinen Zustand mit den entsprechenden Worten »Ich weiß etc.« beschreiben?
{{ParUG|531}} Ist es nun aber nicht richtig, meinen gegenwärtigen Zustand ''so'' zu beschreiben: ich ''wisse'', wie diese Farbe auf deutsch heißt? Und wenn das richtig ist, warum soll ich dann nicht meinen Zustand mit den entsprechenden Worten »Ich weiß etc.« beschreiben?


{{ParUG|532}} Moore also, wenn er, vor dem Baum sitzend, sagte »Ich weiß, daß das ein ...«, sprach einfach die Wahrheit über seinen damaligen Zustand aus.
{{ParUG|532}} Moore also, wenn er, vor dem Baum sitzend, sagte »Ich weiß, daß das ein ...«, sprach einfach die Wahrheit über seinen damaligen Zustand aus.


[Ich philosophiere jetzt wie eine alte Frau, die fortwährend etwas verlegt und es wieder suchen muß; einmal die Brille, einmal den Schlüsselbund.]
[Ich philosophiere jetzt wie eine alte Frau, die fortwährend etwas verlegt und es wieder suchen muß; einmal die Brille, einmal den Schlüsselbund.]
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{{ParUG|562}} Immerhin ist es wichtig, sich eine Sprache vorzustellen, in der es ''unsern'' Begriff »wissen« nicht gibt.
{{ParUG|562}} Immerhin ist es wichtig, sich eine Sprache vorzustellen, in der es ''unsern'' Begriff »wissen« nicht gibt.


{{ParUG|563}} Man sagt »Ich ''weiß'', daß er Schmerzen hat«, obwohl man keinen überzeugenden Grund dafür angeben kann. – Ist das dasselbe wie »Ich bin sicher, daß er ...«? – Nein.
{{ParUG|563}} Man sagt »Ich ''weiß'', daß er Schmerzen hat«, obwohl man keinen überzeugenden Grund dafür angeben kann. – Ist das dasselbe wie »Ich bin sicher, daß er ...«? – Nein.


»Ich bin sicher« gibt dir die subjektive Sicherheit. »Ich weiß« heißt, daß zwischen mir, der es weiß, und dem, der’s nicht weiß, ein Unterschied des Verständnisses liegt. (Etwa gegründet auf einem Unterschied des Grads der Erfahrung.)
»Ich bin sicher« gibt dir die subjektive Sicherheit. »Ich weiß« heißt, daß zwischen mir, der es weiß, und dem, der’s nicht weiß, ein Unterschied des Verständnisses liegt. (Etwa gegründet auf einem Unterschied des Grads der Erfahrung.)
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{{ParUG|569}} Ein {{check|##}}innres Erlebnis kann es mir nicht zeigen, daß ich etwas ''weiß''.
{{ParUG|569}} Ein {{check|##}}innres Erlebnis kann es mir nicht zeigen, daß ich etwas ''weiß''.


Wenn ich daher trotzdem sage »Ich weiß, daß ich ... heiße« und es doch offenbar nicht ein Erfahrungssatz ist, – – –
Wenn ich daher trotzdem sage »Ich weiß, daß ich ... heiße« und es doch offenbar nicht ein Erfahrungssatz ist, – – –


{{ParUG|570}} »Ich weiß, daß ich so heiße; bei uns weiß es jeder Erwachsene, wie er heißt.«
{{ParUG|570}} »Ich weiß, daß ich so heiße; bei uns weiß es jeder Erwachsene, wie er heißt.«


{{ParUG|571}} »Ich heiße ..., du kannst dich drauf verlassen. Wenn es sich als falsch erweist, so brauchst du mir in Zukunft nie mehr zu glauben.«
{{ParUG|571}} »Ich heiße ..., du kannst dich drauf verlassen. Wenn es sich als falsch erweist, so brauchst du mir in Zukunft nie mehr zu glauben.«


{{ParUG|572}} Ich scheine doch zu wissen, daß ich mich, in meinem eigenen Namen z. B., nicht irren kann! Das drückt sich in den Worten aus: »Wenn das falsch ist, dann bin ich verrückt.« Nun gut, aber das sind Worte; aber welchen Einfluß hat es auf die Anwendung der Sprache?
{{ParUG|572}} Ich scheine doch zu wissen, daß ich mich, in meinem eigenen Namen z. B., nicht irren kann! Das drückt sich in den Worten aus: »Wenn das falsch ist, dann bin ich verrückt.« Nun gut, aber das sind Worte; aber welchen Einfluß hat es auf die Anwendung der Sprache?
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{{ParUG|580}} Es könnte doch sein, daß, wenn immer ich sagte »Ich weiß es«, es sich als falsch herausstellte. (Aufzeigen.)
{{ParUG|580}} Es könnte doch sein, daß, wenn immer ich sagte »Ich weiß es«, es sich als falsch herausstellte. (Aufzeigen.)


{{ParUG|581}} Ich könnte mir aber vielleicht dennoch nicht helfen und würde weiter versichern »Ich weiß ...«.
{{ParUG|581}} Ich könnte mir aber vielleicht dennoch nicht helfen und würde weiter versichern »Ich weiß ...«.


Aber wie hat denn das Kind den Ausdruck gelernt?
Aber wie hat denn das Kind den Ausdruck gelernt?
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{{ParUG|582}} »Ich weiß es« kann heißen: Es ist mir schon bekannt – aber auch: Es ist gewiß so.
{{ParUG|582}} »Ich weiß es« kann heißen: Es ist mir schon bekannt – aber auch: Es ist gewiß so.


{{ParUG|583}} »Ich weiß, daß das auf ... ›...‹ heißt.« – Wie weißt du das? – »Ich habe ... gelernt.« Könnte ich hier statt »Ich weiß, daß etc.« setzen »Auf ... heißt dies ›...‹«?
{{ParUG|583}} »Ich weiß, daß das auf ... ›...‹ heißt.« – Wie weißt du das? – »Ich habe ... gelernt.« Könnte ich hier statt »Ich weiß, daß etc.« setzen »Auf ... heißt dies ›...‹«?


{{ParUG|584}} Wäre es möglich, das Verbum »wissen« nur in der Frage »Wie weißt du das?« zu benützen, die auf eine einfache Behauptung folgt? – Statt »Das weiß ich schon« sagt man »Das ist mir bekannt«; und dies folgt nur auf die Mitteilung der Tatsache. Aber{{check|<sup>7</sup>}} was sagt man statt »Ich weiß, was das ist«?
{{ParUG|584}} Wäre es möglich, das Verbum »wissen« nur in der Frage »Wie weißt du das?« zu benützen, die auf eine einfache Behauptung folgt? – Statt »Das weiß ich schon« sagt man »Das ist mir bekannt«; und dies folgt nur auf die Mitteilung der Tatsache. Aber{{check|<sup>7</sup>}} was sagt man statt »Ich weiß, was das ist«?
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{{ParUG|585}} Aber sagt nicht »Ich weiß, daß das ein Baum ist« etwas anderes als »Das ist ein Baum«?
{{ParUG|585}} Aber sagt nicht »Ich weiß, daß das ein Baum ist« etwas anderes als »Das ist ein Baum«?


{{ParUG|586}} Statt »Ich weiß, was das ist« könnte man sagen »Ich kann sagen, was das ist«. Und wenn man diese Ausdrucksweise annähme, was würde dann aus »Ich weiß, daß das ... ist«?
{{ParUG|586}} Statt »Ich weiß, was das ist« könnte man sagen »Ich kann sagen, was das ist«. Und wenn man diese Ausdrucksweise annähme, was würde dann aus »Ich weiß, daß das&nbsp;... ist«?


{{ParUG|587}} Zurück zur Frage, ob »Ich weiß, daß das ein ... ist« etwas andres sagt als »Das ist ein ...«. – Im ersten Satz wird eine Person erwähnt, im zweiten nicht. Aber das zeigt nicht, daß sie verschiedenen Sinn haben. Man ersetzt jedenfalls oft die erste Form durch die zweite und gibt dieser dann oft eine besondere Intonation. Denn man spricht anders, wenn man eine unwidersprochene Feststellung macht, und wenn man sie gegen einen Widerspruch aufrechterhält.
{{ParUG|587}} Zurück zur Frage, ob »Ich weiß, daß das ein&nbsp;... ist« etwas andres sagt als »Das ist ein&nbsp;...«. – Im ersten Satz wird eine Person erwähnt, im zweiten nicht. Aber das zeigt nicht, daß sie verschiedenen Sinn haben. Man ersetzt jedenfalls oft die erste Form durch die zweite und gibt dieser dann oft eine besondere Intonation. Denn man spricht anders, wenn man eine unwidersprochene Feststellung macht, und wenn man sie gegen einen Widerspruch aufrechterhält.


{{ParUG|588}} Aber sage ich nicht durch die Worte ''»''Ich weiß, daß ...«, daß ich in einem bestimmten Zustand mich befinde, während das die bloße Behauptung »Das ist ein ...« nicht sagt? Und doch antwortet man auf so eine Behauptung oft »Wie weißt du das?« –
{{ParUG|588}} Aber sage ich nicht durch die Worte ''»''Ich weiß, daß&nbsp;...«, daß ich in einem bestimmten Zustand mich befinde, während das die bloße Behauptung »Das ist ein&nbsp;...« nicht sagt? Und doch antwortet man auf so eine Behauptung oft »Wie weißt du das?« –


»Aber doch nur, weil die Tatsache, daß ich dies behaupte, zu erkennen gibt, ich glaube es zu wissen.« – Man könnte das so ausdrücken: In einem zoologischen Garten könnte die Aufschrift stehen »Das ist ein Zebra«; aber doch nicht »Ich weiß, daß das ein Zebra ist«.
»Aber doch nur, weil die Tatsache, daß ich dies behaupte, zu erkennen gibt, ich glaube es zu wissen.« – Man könnte das so ausdrücken: In einem zoologischen Garten könnte die Aufschrift stehen »Das ist ein Zebra«; aber doch nicht »Ich weiß, daß das ein Zebra ist«.


»Ich weiß« hat nur Sinn, wenn eine Person es äußert. Dann aber ist es gleichgültig, ob die Äußerung ist »Ich weiß ...« oder »Das ist ...«.
»Ich weiß« hat nur Sinn, wenn eine Person es äußert. Dann aber ist es gleichgültig, ob die Äußerung ist »Ich weiß&nbsp;...« oder »Das ist&nbsp;...«.


{{ParUG|589}} Wie lernt denn Einer seinen Zustand des Wissens erkennen?
{{ParUG|589}} Wie lernt denn Einer seinen Zustand des Wissens erkennen?
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Die erste Aussage klingt natürlicher als die zweite. Man wird nur dann zum zweitenmal »Ich weiß« sagen, wenn man die Gewißheit besonders betonen will; etwa um einem Widerspruch zuvorzukommen. Das erste »Ich weiß« heißt ungefähr: Ich kann sagen.
Die erste Aussage klingt natürlicher als die zweite. Man wird nur dann zum zweitenmal »Ich weiß« sagen, wenn man die Gewißheit besonders betonen will; etwa um einem Widerspruch zuvorzukommen. Das erste »Ich weiß« heißt ungefähr: Ich kann sagen.


In einem andern Fall aber könnte man mit der Konstatierung »Das ist ein ...« beginnen, und dann, auf einen Widerspruch, entgegnen: »Ich weiß, was das für ein Baum ist« und damit die Sicherheit betonen.
In einem andern Fall aber könnte man mit der Konstatierung »Das ist ein&nbsp;...« beginnen, und dann, auf einen Widerspruch, entgegnen: »Ich weiß, was das für ein Baum ist« und damit die Sicherheit betonen.


{{ParUG|592}} »Ich kann sagen, was das für ein ..., und zwar mit Sicherheit.«
{{ParUG|592}} »Ich kann sagen, was das für ein&nbsp;..., und zwar mit Sicherheit.«


{{ParUG|593}} Auch wenn man »Ich weiß, daß es so ist« durch »Es ist so« ersetzen kann, kann man doch nicht die Negation des einen durch die Negation des andern ersetzen.
{{ParUG|593}} Auch wenn man »Ich weiß, daß es so ist« durch »Es ist so« ersetzen kann, kann man doch nicht die Negation des einen durch die Negation des andern ersetzen.


Mit »Ich weiß nicht, ...« tritt ein neues Element in die Sprachspiele ein.
Mit »Ich weiß nicht,&nbsp;...« tritt ein neues Element in die Sprachspiele ein.


{{ParUG|594}} »L. W.« ist mein Name. Und wenn es jemand bestritte, würde ich sofort unzählige Verbindungen schlagen, die ihn sichern.
{{ParUG|594}} »L. W.« ist mein Name. Und wenn es jemand bestritte, würde ich sofort unzählige Verbindungen schlagen, die ihn sichern.
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Wenn ich mir jenen Menschen vorstelle, so stelle ich mir auch eine Realität vor, eine Welt, die ihn umgibt; und ihn, wie er dieser Welt zuwider denkt (und spricht).
Wenn ich mir jenen Menschen vorstelle, so stelle ich mir auch eine Realität vor, eine Welt, die ihn umgibt; und ihn, wie er dieser Welt zuwider denkt (und spricht).


{{ParUG|596}} Wenn Einer mir mitteilt, sein Name sei N. N., so hat es Sinn für mich, ihn zu fragen »Kannst du dich darin irren?« Das ist eine regelrechte Frage im Sprachspiel. Und es hat darauf die Antwort Ja und Nein Sinn. – Nun ist freilich auch diese Antwort nicht unfehlbar, d. h. sie kann sich einmal als falsch erweisen, aber das nimmt der Frage »Kannst du dich ...« und der Antwort »Nein« nicht ihren Sinn.
{{ParUG|596}} Wenn Einer mir mitteilt, sein Name sei N. N., so hat es Sinn für mich, ihn zu fragen »Kannst du dich darin irren?« Das ist eine regelrechte Frage im Sprachspiel. Und es hat darauf die Antwort Ja und Nein Sinn. – Nun ist freilich auch diese Antwort nicht unfehlbar, d. h. sie kann sich einmal als falsch erweisen, aber das nimmt der Frage »Kannst du dich&nbsp;...« und der Antwort »Nein« nicht ihren Sinn.


{{ParUG|597}} Die Antwort auf die Frage »Kannst du dich darin irren« gibt der Aussage ein bestimmtes Gewicht. Die Antwort kann auch sein: »Ich ''glaube'' nicht.«
{{ParUG|597}} Die Antwort auf die Frage »Kannst du dich darin irren« gibt der Aussage ein bestimmtes Gewicht. Die Antwort kann auch sein: »Ich ''glaube'' nicht.«


{{ParUG|598}} Aber könnte man nicht auf die Frage »Kannst du ...« antworten: »Ich will dir den Fall beschreiben, und du kannst dann selbst beurteilen, ob ich mich irren kann«?
{{ParUG|598}} Aber könnte man nicht auf die Frage »Kannst du&nbsp;...« antworten: »Ich will dir den Fall beschreiben, und du kannst dann selbst beurteilen, ob ich mich irren kann«?


Z. B., wenn es sich um den Namen der Person handelt, könnte der Fall so stehen, daß die Person diesen Namen nie gebraucht hat, sich aber entsinnt, ihn auf einem Dokument gelesen zu haben, – und anderseits könnte die Antwort sein: »Ich habe diesen Namen mein ganzes Leben lang geführt, bin von allen Menschen so genannt worden.« Wenn ''das'' nicht der Antwort »Ich kann mich darin nicht irren« gleichkommt, so hat sie überhaupt keinen Sinn. Und ganz offenbar wird doch damit auf einen sehr wichtigen Unterschied gedeutet.
Z. B., wenn es sich um den Namen der Person handelt, könnte der Fall so stehen, daß die Person diesen Namen nie gebraucht hat, sich aber entsinnt, ihn auf einem Dokument gelesen zu haben, – und anderseits könnte die Antwort sein: »Ich habe diesen Namen mein ganzes Leben lang geführt, bin von allen Menschen so genannt worden.« Wenn ''das'' nicht der Antwort »Ich kann mich darin nicht irren« gleichkommt, so hat sie überhaupt keinen Sinn. Und ganz offenbar wird doch damit auf einen sehr wichtigen Unterschied gedeutet.


{{ParUG|599}} Man könnte z. B. die Sicherheit des Satzes, daß Wasser bei ca. 100°C kocht, beschreiben. Es ist das z. B. nicht ein Satz, den ich einmal gehört habe wie etwa den und jenen, die ich nennen könnte. Ich habe das Experiment selber in der Schule gemacht. Der Satz ist ein sehr elementarer unserer Lehrbücher, denen in solchen Dingen zu trauen ist, weil ... – Man kann nun allem dem Beispiele entgegenhalten, die zeigen, daß Menschen dies und jenes für gewiß gehalten haben, was sich später, unsrer Meinung nach, für falsch erwiesen hat. Aber dieses Argument ist wertlos.{{check|<sup>8</sup>}} Zu sagen: wir können am Ende nur solche Gründe anführen, die ''wir'' für Gründe halten, sagt gar nichts.
{{ParUG|599}} Man könnte z. B. die Sicherheit des Satzes, daß Wasser bei ca. 100°C kocht, beschreiben. Es ist das z. B. nicht ein Satz, den ich einmal gehört habe wie etwa den und jenen, die ich nennen könnte. Ich habe das Experiment selber in der Schule gemacht. Der Satz ist ein sehr elementarer unserer Lehrbücher, denen in solchen Dingen zu trauen ist, weil&nbsp;... – Man kann nun allem dem Beispiele entgegenhalten, die zeigen, daß Menschen dies und jenes für gewiß gehalten haben, was sich später, unsrer Meinung nach, für falsch erwiesen hat. Aber dieses Argument ist wertlos.{{check|<sup>8</sup>}} Zu sagen: wir können am Ende nur solche Gründe anführen, die ''wir'' für Gründe halten, sagt gar nichts.


Ich glaube, es liegt hier ein Mißverständnis des Wesens unserer Sprachspiele zugrunde.
Ich glaube, es liegt hier ein Mißverständnis des Wesens unserer Sprachspiele zugrunde.
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{{ParUG|656}} Und das kann man nicht vom Satz sagen, daß ''ich'' L. W. heiße. Auch nicht von dem Satze, daß die und die Menschen die und die Rechnung richtig gerechnet haben.
{{ParUG|656}} Und das kann man nicht vom Satz sagen, daß ''ich'' L. W. heiße. Auch nicht von dem Satze, daß die und die Menschen die und die Rechnung richtig gerechnet haben.


{{ParUG|657}} Die Sätze der Mathematik, könnte man sagen, sind Petrefakten. – Der Satz »Ich heiße ...« ist dies nicht. Aber von denen, die, wie ich, die überwältigende Evidenz haben, wird auch er als ''unumstößlich'' betrachtet. Und das nicht aus Gedankenlosigkeit.
{{ParUG|657}} Die Sätze der Mathematik, könnte man sagen, sind Petrefakten. – Der Satz »Ich heiße&nbsp;...« ist dies nicht. Aber von denen, die, wie ich, die überwältigende Evidenz haben, wird auch er als ''unumstößlich'' betrachtet. Und das nicht aus Gedankenlosigkeit.


Denn, daß die Evidenz überwältigend ist, besteht eben darin, daß wir uns vor keiner entgegenstehenden Evidenz beugen ''müssen''. Wir haben also hier einen Widerhalt ähnlich wie den, der die Sätze der Mathematik unumstößlich macht.
Denn, daß die Evidenz überwältigend ist, besteht eben darin, daß wir uns vor keiner entgegenstehenden Evidenz beugen ''müssen''. Wir haben also hier einen Widerhalt ähnlich wie den, der die Sätze der Mathematik unumstößlich macht.
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{{ParUG|670}} Man könnte von Grundprinzipien der menschlichen Forschung reden.
{{ParUG|670}} Man könnte von Grundprinzipien der menschlichen Forschung reden.


{{ParUG|671}} Ich fliege von hier nach einem Weltteil, wo die Menschen nur unbestimmte oder wo sie gar keine Nachricht von der Möglichkeit des Fliegens haben. Ich sage ihnen, ich sei soeben von ... zu ihnen geflogen. Sie fragen mich, ob ich mich irren könnte. – Sie haben offenbar eine falsche Vorstellung davon, wie die Sache vor sich geht. (Wenn ich in eine Kiste gepackt würde, wäre es möglich, daß ich mich über die Art des Transportes irrte.) Sage ich ihnen einfach, ich könne mich nicht irren, so wird sie das vielleicht nicht überzeugen; wohl aber, wenn ich ihnen den Vorgang beschreibe. Sie werden darin die Möglichkeit eines ''Irrtums'' gewiß nicht in Frage ziehen. Dabei könnten sie aber – auch wenn sie mir trauen – glauben, ich habe geträumt oder ein ''Zauber'' habe mir das eingebildet.
{{ParUG|671}} Ich fliege von hier nach einem Weltteil, wo die Menschen nur unbestimmte oder wo sie gar keine Nachricht von der Möglichkeit des Fliegens haben. Ich sage ihnen, ich sei soeben von&nbsp;... zu ihnen geflogen. Sie fragen mich, ob ich mich irren könnte. – Sie haben offenbar eine falsche Vorstellung davon, wie die Sache vor sich geht. (Wenn ich in eine Kiste gepackt würde, wäre es möglich, daß ich mich über die Art des Transportes irrte.) Sage ich ihnen einfach, ich könne mich nicht irren, so wird sie das vielleicht nicht überzeugen; wohl aber, wenn ich ihnen den Vorgang beschreibe. Sie werden darin die Möglichkeit eines ''Irrtums'' gewiß nicht in Frage ziehen. Dabei könnten sie aber – auch wenn sie mir trauen – glauben, ich habe geträumt oder ein ''Zauber'' habe mir das eingebildet.


{{ParUG|672}} »Wenn ich ''der'' Evidenz nicht traue, warum soll ich dann irgendeiner Evidenz trauen?«
{{ParUG|672}} »Wenn ich ''der'' Evidenz nicht traue, warum soll ich dann irgendeiner Evidenz trauen?«