Logisch-philosophische Abhandlung: Difference between revisions

No edit summary
No edit summary
Line 445: Line 445:
{{ParTLPde|4}}                         Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.
{{ParTLPde|4}}                         Der Gedanke ist der sinnvolle Satz.


{{ParTLPde|4.001               Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache.
{{ParTLPde|4.001}}               Die Gesamtheit der Sätze ist die Sprache.


{{ParTLPde|4.002              Der Mensch besitzt die Fähigkeit Sprachen zu bauen, womit sich jeder Sinn ausdrücken lässt, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie und was jedes Wort bedeutet. – Wie man auch spricht, ohne zu wissen, wie die einzelnen Laute hervorgebracht werden.
{{ParTLPde|4.002}}              Der Mensch besitzt die Fähigkeit Sprachen zu bauen, womit sich jeder Sinn ausdrücken lässt, ohne eine Ahnung davon zu haben, wie und was jedes Wort bedeutet. – Wie man auch spricht, ohne zu wissen, wie die einzelnen Laute hervorgebracht werden.


Die Umgangssprache ist ein Teil des menschlichen Organismus und nicht weniger kompliziert als dieser.
Die Umgangssprache ist ein Teil des menschlichen Organismus und nicht weniger kompliziert als dieser.
Line 457: Line 457:
Die stillschweigenden Abmachungen zum Verständnis der Umgangssprache sind enorm kompliziert.
Die stillschweigenden Abmachungen zum Verständnis der Umgangssprache sind enorm kompliziert.


{{ParTLPde|4.003               Die meisten Sätze und Fragen, welche über philosophische Dinge geschrieben worden sind, sind nicht falsch, sondern unsinnig. Wir können daher Fragen dieser Art überhaupt nicht beantworten, sondern nur ihre Unsinnigkeit feststellen. Die meisten Fragen und Sätze der Philosophen beruhen darauf, dass wir unsere Sprachlogik nicht verstehen.
{{ParTLPde|4.003}}               Die meisten Sätze und Fragen, welche über philosophische Dinge geschrieben worden sind, sind nicht falsch, sondern unsinnig. Wir können daher Fragen dieser Art überhaupt nicht beantworten, sondern nur ihre Unsinnigkeit feststellen. Die meisten Fragen und Sätze der Philosophen beruhen darauf, dass wir unsere Sprachlogik nicht verstehen.


(Sie sind von der Art der Frage, ob das Gute mehr oder weniger identisch sei als das Schöne.)  
(Sie sind von der Art der Frage, ob das Gute mehr oder weniger identisch sei als das Schöne.)  
Line 463: Line 463:
Und es ist nicht verwunderlich, dass die tiefsten Probleme eigentlich ke i n e Probleme sind.
Und es ist nicht verwunderlich, dass die tiefsten Probleme eigentlich ke i n e Probleme sind.


{{ParTLPde|4.0031 Alle Philosophie ist „Sprachkritik“. (Allerdings nicht im Sinne Mauthners.) Russell’s Verdienst ist es, gezeigt zu haben, dass die scheinbare logische Form des Satzes nicht seine wirkliche sein muss.
{{ParTLPde|4.0031}} Alle Philosophie ist „Sprachkritik“. (Allerdings nicht im Sinne Mauthners.) Russell’s Verdienst ist es, gezeigt zu haben, dass die scheinbare logische Form des Satzes nicht seine wirkliche sein muss.


{{ParTLPde|4.01 Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.
{{ParTLPde|4.01}} Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.


Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken.
Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken.


{{ParTLPde|4.011                Auf den ersten Blick scheint der Satz – wie er etwa auf dem Papier gedruckt steht – kein Bild der Wirklichkeit zu sein, von der er handelt. Aber auch die Notenschrift scheint auf den ersten Blick kein Bild der Musik zu sein, und unsere Lautzeichen- (Buchstaben-)Schrift kein Bild unserer Lautsprache.
{{ParTLPde|4.011}}                Auf den ersten Blick scheint der Satz – wie er etwa auf dem Papier gedruckt steht – kein Bild der Wirklichkeit zu sein, von der er handelt. Aber auch die Notenschrift scheint auf den ersten Blick kein Bild der Musik zu sein, und unsere Lautzeichen- (Buchstaben-)Schrift kein Bild unserer Lautsprache.


Und doch erweisen sich diese Zeichensprachen auch im gewöhnlichen Sinne als Bilder dessen, was sie darstellen.
Und doch erweisen sich diese Zeichensprachen auch im gewöhnlichen Sinne als Bilder dessen, was sie darstellen.


{{ParTLPde|4.012               Offenbar ist, dass wir einen Satz von der Form „''aRb''“ als Bild empfinden. Hier ist das Zeichen offenbar ein Gleichnis des Bezeichneten.
{{ParTLPde|4.012}}               Offenbar ist, dass wir einen Satz von der Form „''aRb''“ als Bild empfinden. Hier ist das Zeichen offenbar ein Gleichnis des Bezeichneten.


{{ParTLPde|4.013               Und wenn wir in das Wesentliche dieser Bildhaftigkeit eindringen, so sehen wir, dass dieselbe durch s ch e i nb a r e U n r e g e l m ä s s i g ke i t e n (wie die Verwendung der ♯ und ♭ in der Notenschrift) n i c h t gestört wird.
{{ParTLPde|4.013}}               Und wenn wir in das Wesentliche dieser Bildhaftigkeit eindringen, so sehen wir, dass dieselbe durch s ch e i nb a r e U n r e g e l m ä s s i g ke i t e n (wie die Verwendung der ♯ und ♭ in der Notenschrift) n i c h t gestört wird.


Denn auch diese Unregelmässigkeiten bilden das ab, was sie ausdrücken sollen; nur auf eine andere Art und Weise.
Denn auch diese Unregelmässigkeiten bilden das ab, was sie ausdrücken sollen; nur auf eine andere Art und Weise.


{{ParTLPde|4.014                Die Grammophonplatte, der musikalische Gedanke, die Notenschrift, die Schallwellen, stehen alle in jener abbildenden internen Beziehung zu einander, die zwischen Sprache und Welt besteht.
{{ParTLPde|4.014}}                Die Grammophonplatte, der musikalische Gedanke, die Notenschrift, die Schallwellen, stehen alle in jener abbildenden internen Beziehung zu einander, die zwischen Sprache und Welt besteht.


Ihnen allen ist der logische Bau gemeinsam.
Ihnen allen ist der logische Bau gemeinsam.
Line 485: Line 485:
(Wie im Märchen die zwei Jünglinge, ihre zwei Pferde und ihre Lilien. Sie sind alle in gewissem Sinne Eins.)
(Wie im Märchen die zwei Jünglinge, ihre zwei Pferde und ihre Lilien. Sie sind alle in gewissem Sinne Eins.)


{{ParTLPde|4.0141 Dass es eine allgemeine Regel gibt, durch die der Musiker aus der Partitur die Symphonie entnehmen kann, durch welche man aus der Linie auf der Grammophonplatte die Symphonie und nach der ersten Regel wieder die Partitur ableiten kann, darin besteht eben die innere Ähnlichkeit dieser scheinbar so ganz verschiedenen Gebilde. Und jene Regel ist das Gesetz der Projektion, welches die Symphonie in die Notensprache projiziert. Sie ist die Regel der Übersetzung der Notensprache in die Sprache der Grammophonplatte.
{{ParTLPde|4.0141}} Dass es eine allgemeine Regel gibt, durch die der Musiker aus der Partitur die Symphonie entnehmen kann, durch welche man aus der Linie auf der Grammophonplatte die Symphonie und nach der ersten Regel wieder die Partitur ableiten kann, darin besteht eben die innere Ähnlichkeit dieser scheinbar so ganz verschiedenen Gebilde. Und jene Regel ist das Gesetz der Projektion, welches die Symphonie in die Notensprache projiziert. Sie ist die Regel der Übersetzung der Notensprache in die Sprache der Grammophonplatte.


{{ParTLPde|4.015               Die Möglichkeit aller Gleichnisse, der ganzen Bildhaftigkeit unserer Ausdrucksweise, ruht in der Logik der Abbildung.
{{ParTLPde|4.015}}               Die Möglichkeit aller Gleichnisse, der ganzen Bildhaftigkeit unserer Ausdrucksweise, ruht in der Logik der Abbildung.


{{ParTLPde|4.016               Um das Wesen des Satzes zu verstehen, denken wir an die Hieroglyphenschrift, welche die Tatsachen die sie beschreibt abbildet. Und aus ihr wurde die Buchstabenschrift, ohne das Wesentliche der Abbildung zu verlieren.
{{ParTLPde|4.016}}               Um das Wesen des Satzes zu verstehen, denken wir an die Hieroglyphenschrift, welche die Tatsachen die sie beschreibt abbildet. Und aus ihr wurde die Buchstabenschrift, ohne das Wesentliche der Abbildung zu verlieren.


{{ParTLPde|4.02 Dies sehen wir daraus, dass wir den Sinn des Satzzeichens verstehen, ohne dass er uns erklärt wurde.
{{ParTLPde|4.02}} Dies sehen wir daraus, dass wir den Sinn des Satzzeichens verstehen, ohne dass er uns erklärt wurde.


{{ParTLPde|4.021                Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit: Denn ich kenne die von ihm dargestellte Sachlage, wenn ich den Satz verstehe. Und den Satz verstehe ich, ohne dass mir sein Sinn erklärt wurde.
{{ParTLPde|4.021}}                Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit: Denn ich kenne die von ihm dargestellte Sachlage, wenn ich den Satz verstehe. Und den Satz verstehe ich, ohne dass mir sein Sinn erklärt wurde.


{{ParTLPde|4.022               Der Satz z e i g t seinen Sinn.
{{ParTLPde|4.022}}               Der Satz z e i g t seinen Sinn.


Der Satz z e i g t, wie es sich verhält, we n n er wahr ist. Und er s a g t, d a s s es sich so verhält.
Der Satz z e i g t, wie es sich verhält, we n n er wahr ist. Und er s a g t, d a s s es sich so verhält.


{{ParTLPde|4.023               Die Wirklichkeit muss durch den Satz auf ja oder nein fixiert sein.
{{ParTLPde|4.023}}               Die Wirklichkeit muss durch den Satz auf ja oder nein fixiert sein.


Dazu muss sie durch ihn vollständig beschrieben werden. Der Satz ist die Beschreibung eines Sachverhaltes.
Dazu muss sie durch ihn vollständig beschrieben werden. Der Satz ist die Beschreibung eines Sachverhaltes.
Line 507: Line 507:
Der Satz konstruiert eine Welt mit Hilfe eines logischen Gerüstes und darum kann man am Satz auch sehen, wie sich alles Logische verhält, we n n er wahr ist. Man kann aus einem falschen Satz S ch l ü s s e z i e h e n.
Der Satz konstruiert eine Welt mit Hilfe eines logischen Gerüstes und darum kann man am Satz auch sehen, wie sich alles Logische verhält, we n n er wahr ist. Man kann aus einem falschen Satz S ch l ü s s e z i e h e n.


{{ParTLPde|4.024               Einen Satz verstehen, heisst, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist.
{{ParTLPde|4.024}}               Einen Satz verstehen, heisst, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist.


(Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.)
(Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.)
Line 513: Line 513:
Man versteht ihn, wenn man seine Bestandteile versteht.
Man versteht ihn, wenn man seine Bestandteile versteht.


{{ParTLPde|4.025               Die Übersetzung einer Sprache in eine andere geht nicht so vor sich, dass man jeden S a t z der einen in einen S a t z der anderen übersetzt, sondern nur die Satzbestandteile werden übersetzt.
{{ParTLPde|4.025}}               Die Übersetzung einer Sprache in eine andere geht nicht so vor sich, dass man jeden S a t z der einen in einen S a t z der anderen übersetzt, sondern nur die Satzbestandteile werden übersetzt.


(Und das Wörterbuch übersetzt nicht nur Substantiva, sondern auch Zeit-, Eigenschafts- und Bindewörter etc.; und es behandelt sie alle gleich.)
(Und das Wörterbuch übersetzt nicht nur Substantiva, sondern auch Zeit-, Eigenschafts- und Bindewörter etc.; und es behandelt sie alle gleich.)


{{ParTLPde|4.026               Die Bedeutungen der einfachen Zeichen (der Wörter) müssen uns erklärt werden, dass wir sie verstehen.
{{ParTLPde|4.026}}               Die Bedeutungen der einfachen Zeichen (der Wörter) müssen uns erklärt werden, dass wir sie verstehen.


Mit den Sätzen aber verständigen wir uns.
Mit den Sätzen aber verständigen wir uns.


{{ParTLPde|4.027               Es liegt im Wesen des Satzes, dass er uns einen n e u e n Sinn mitteilen kann.
{{ParTLPde|4.027}}               Es liegt im Wesen des Satzes, dass er uns einen n e u e n Sinn mitteilen kann.


{{ParTLPde|4.03 Ein Satz muss mit alten Ausdrücken einen neuen Sinn mitteilen. Der Satz teilt uns eine Sachlage mit, also muss er we s e n t l i ch mit der Sachlage zusammenhängen.
{{ParTLPde|4.03}} Ein Satz muss mit alten Ausdrücken einen neuen Sinn mitteilen. Der Satz teilt uns eine Sachlage mit, also muss er we s e n t l i ch mit der Sachlage zusammenhängen.


Und der Zusammenhang ist eben, dass er ihr logisches Bild ist.
Und der Zusammenhang ist eben, dass er ihr logisches Bild ist.
Line 529: Line 529:
Der Satz sagt nur insoweit etwas aus, als er ein Bild ist.
Der Satz sagt nur insoweit etwas aus, als er ein Bild ist.


{{ParTLPde|4.031                Im Satz wird gleichsam eine Sachlage probeweise zusammengestellt.
{{ParTLPde|4.031}}                Im Satz wird gleichsam eine Sachlage probeweise zusammengestellt.


Man kann geradezu sagen: statt, dieser Satz hat diesen und diesen Sinn; dieser Satz stellt diese und diese Sachlage dar.
Man kann geradezu sagen: statt, dieser Satz hat diesen und diesen Sinn; dieser Satz stellt diese und diese Sachlage dar.


{{ParTLPde|4.0311 Ein Name steht für ein Ding, ein anderer für ein anderes Ding und untereinander sind sie verbunden, so stellt das Ganze – wie ein lebendes Bild – den Sachverhalt vor.
{{ParTLPde|4.0311}} Ein Name steht für ein Ding, ein anderer für ein anderes Ding und untereinander sind sie verbunden, so stellt das Ganze – wie ein lebendes Bild – den Sachverhalt vor.


{{ParTLPde|4.0312 Die Möglichkeit des Satzes beruht auf dem Prinzip der Vertretung von Gegenständen durch Zeichen.
{{ParTLPde|4.0312}} Die Möglichkeit des Satzes beruht auf dem Prinzip der Vertretung von Gegenständen durch Zeichen.


Mein Grundgedanke ist, dass die „logischen Konstanten“ nicht vertreten. Dass sich die L o g i k der Tatsachen nicht vertreten lässt.
Mein Grundgedanke ist, dass die „logischen Konstanten“ nicht vertreten. Dass sich die L o g i k der Tatsachen nicht vertreten lässt.


{{ParTLPde|4.032               Nur insoweit ist der Satz ein Bild einer Sachlage, als er logisch gegliedert ist.
{{ParTLPde|4.032}}               Nur insoweit ist der Satz ein Bild einer Sachlage, als er logisch gegliedert ist.


(Auch der Satz „ambulo“ ist zusammengesetzt, denn sein Stamm ergibt mit einer anderen Endung und seine Endung mit einem anderen Stamm, einen anderen Sinn.)
(Auch der Satz „ambulo“ ist zusammengesetzt, denn sein Stamm ergibt mit einer anderen Endung und seine Endung mit einem anderen Stamm, einen anderen Sinn.)


{{ParTLPde|4.04 Am Satz muss gerade soviel zu unterscheiden sein, als an der Sachlage die er darstellt.
{{ParTLPde|4.04}} Am Satz muss gerade soviel zu unterscheiden sein, als an der Sachlage die er darstellt.


Die beiden müssen die gleiche logische (mathematische) Mannigfaltigkeit besitzen. (Vergleiche Hertz’s Mechanik, über Dynamische Modelle.)
Die beiden müssen die gleiche logische (mathematische) Mannigfaltigkeit besitzen. (Vergleiche Hertz’s Mechanik, über Dynamische Modelle.)


{{ParTLPde|4.041 Diese mathematische Mannigfaltigkeit kann man natürlich nicht selbst wieder abbilden. Aus ihr kann man beim Abbilden nicht heraus.
{{ParTLPde|4.041}} Diese mathematische Mannigfaltigkeit kann man natürlich nicht selbst wieder abbilden. Aus ihr kann man beim Abbilden nicht heraus.


{{ParTLPde|4.0411 Wollten wir z. B. das, was wir durch „(''x'')''fx''“ ausdrücken, durch Vorsetzen eines Indexes vor „''fx''“ ausdrücken – etwa so: „Alg. ''fx''“, es würde nicht genügen – wir wüssten nicht, was verallgemeinert wurde. Wollten wir es durch einen Index „''a''“ anzeigen –  etwa so: „''f'' (''x<sub>a</sub>'')“ – es würde auch nicht genügen – wir wüssten nicht den Bereich der Allgemeinheitsbezeichnung.
{{ParTLPde|4.0411}} Wollten wir z. B. das, was wir durch „(''x'')''fx''“ ausdrücken, durch Vorsetzen eines Indexes vor „''fx''“ ausdrücken – etwa so: „Alg. ''fx''“, es würde nicht genügen – wir wüssten nicht, was verallgemeinert wurde. Wollten wir es durch einen Index „''a''“ anzeigen –  etwa so: „''f'' (''x<sub>a</sub>'')“ – es würde auch nicht genügen – wir wüssten nicht den Bereich der Allgemeinheitsbezeichnung.


Wollten wir es durch Einführung einer Marke in die Argumentstellen versuchen – etwa so: „(''A, A'') ''. F'' (''A, A'')“ – es würde nicht genügen – wir könnten die Identität der Variablen nicht feststellen. U.s.w.
Wollten wir es durch Einführung einer Marke in die Argumentstellen versuchen – etwa so: „(''A, A'') ''. F'' (''A, A'')“ – es würde nicht genügen – wir könnten die Identität der Variablen nicht feststellen. U.s.w.
Line 555: Line 555:
Alle diese Bezeichnungsweisen genügen nicht, weil sie nicht die notwendige mathematische Mannigfaltigkeit haben.
Alle diese Bezeichnungsweisen genügen nicht, weil sie nicht die notwendige mathematische Mannigfaltigkeit haben.


{{ParTLPde|4.0412 Aus demselben Grunde genügt die idealistische Erklärung des Sehens der räumlichen Beziehungen durch die „Raumbrille“ nicht, weil sie nicht die Mannigfaltigkeit dieser Beziehungen erklären kann.
{{ParTLPde|4.0412}} Aus demselben Grunde genügt die idealistische Erklärung des Sehens der räumlichen Beziehungen durch die „Raumbrille“ nicht, weil sie nicht die Mannigfaltigkeit dieser Beziehungen erklären kann.


{{ParTLPde|4.05               Die Wirklichkeit wird mit dem Satz verglichen.
{{ParTLPde|4.05}}               Die Wirklichkeit wird mit dem Satz verglichen.


{{ParTLPde|4.06               Nur dadurch kann der Satz wahr oder falsch sein, indem er ein Bild der Wirklichkeit ist.
{{ParTLPde|4.06}}               Nur dadurch kann der Satz wahr oder falsch sein, indem er ein Bild der Wirklichkeit ist.


{{ParTLPde|4.061                Beachtet man nicht, dass der Satz einen von den Tatsachen unabhängigen Sinn hat, so kann man leicht glauben, dass wahr und falsch gleichberechtigte Beziehungen von Zeichen und Bezeichnetem sind.
{{ParTLPde|4.061}}                Beachtet man nicht, dass der Satz einen von den Tatsachen unabhängigen Sinn hat, so kann man leicht glauben, dass wahr und falsch gleichberechtigte Beziehungen von Zeichen und Bezeichnetem sind.


Man könnte dann z. B. sagen, dass „''p''“ auf die wahre Art bezeichnet, was „∼''p''“ auf die falsche Art, etc.
Man könnte dann z. B. sagen, dass „''p''“ auf die wahre Art bezeichnet, was „∼''p''“ auf die falsche Art, etc.


{{ParTLPde|4.062               Kann man sich nicht mit falschen Sätzen, wie bisher mit wahren, verständigen? Solange man nur weiss, dass sie falsch gemeint sind. Nein! Denn, wahr ist ein Satz, wenn es sich so verhält, wie wir es durch ihn sagen; und wenn wir mit „''p''“ ∼''p'' meinen, und es sich so verhält wie wir es meinen, so ist „''p''“ in der neuen Auffassung wahr und nicht falsch.
{{ParTLPde|4.062}}               Kann man sich nicht mit falschen Sätzen, wie bisher mit wahren, verständigen? Solange man nur weiss, dass sie falsch gemeint sind. Nein! Denn, wahr ist ein Satz, wenn es sich so verhält, wie wir es durch ihn sagen; und wenn wir mit „''p''“ ∼''p'' meinen, und es sich so verhält wie wir es meinen, so ist „''p''“ in der neuen Auffassung wahr und nicht falsch.


{{ParTLPde|4.0621 Dass aber die Zeichen „''p''“ und „∼''p''“ das gleiche sagen  kö n n e n, ist wichtig. Denn es zeigt, dass dem Zeichen „∼“ in der Wirklichkeit nichts entspricht.
{{ParTLPde|4.0621}} Dass aber die Zeichen „''p''“ und „∼''p''“ das gleiche sagen  kö n n e n, ist wichtig. Denn es zeigt, dass dem Zeichen „∼“ in der Wirklichkeit nichts entspricht.


Dass in einem Satz die Verneinung vorkommt, ist noch kein Merkmal seines Sinnes (∼∼''p'' = ''p'').
Dass in einem Satz die Verneinung vorkommt, ist noch kein Merkmal seines Sinnes (∼∼''p'' = ''p'').
Line 573: Line 573:
Die Sätze „''p''“ und „∼''p''“ haben entgegengesetzten Sinn, aber es entspricht ihnen eine und dieselbe Wirklichkeit.
Die Sätze „''p''“ und „∼''p''“ haben entgegengesetzten Sinn, aber es entspricht ihnen eine und dieselbe Wirklichkeit.


{{ParTLPde|4.063               Ein Bild zur Erklärung des Wahrheitsbegriffes: Schwarzer Fleck auf weissem Papier; die Form des Fleckes kann man beschreiben, indem man für jeden Punkt der Fläche angibt, ob er weiss oder schwarz ist. Der Tatsache, dass ein Punkt schwarz ist, entspricht eine positive – der, dass ein Punkt weiss (nicht schwarz) ist, eine negative Tatsache. Bezeichne ich einen Punkt der Fläche (einen Frege’schen Wahrheitswert), so entspricht dies der Annahme, die zur Beurteilung aufgestellt wird, etc. etc.
{{ParTLPde|4.063}}               Ein Bild zur Erklärung des Wahrheitsbegriffes: Schwarzer Fleck auf weissem Papier; die Form des Fleckes kann man beschreiben, indem man für jeden Punkt der Fläche angibt, ob er weiss oder schwarz ist. Der Tatsache, dass ein Punkt schwarz ist, entspricht eine positive – der, dass ein Punkt weiss (nicht schwarz) ist, eine negative Tatsache. Bezeichne ich einen Punkt der Fläche (einen Frege’schen Wahrheitswert), so entspricht dies der Annahme, die zur Beurteilung aufgestellt wird, etc. etc.


Um aber sagen zu können, ein Punkt sei schwarz oder weiss, muss ich vorerst wissen, wann man einen Punkt schwarz und wann man ihn weiss nennt; um sagen zu können: „''p''“ ist wahr (oder falsch), muss ich bestimmt haben, unter welchen Umständen ich „''p''“ wahr nenne, und damit bestimme ich den Sinn des Satzes.
Um aber sagen zu können, ein Punkt sei schwarz oder weiss, muss ich vorerst wissen, wann man einen Punkt schwarz und wann man ihn weiss nennt; um sagen zu können: „''p''“ ist wahr (oder falsch), muss ich bestimmt haben, unter welchen Umständen ich „''p''“ wahr nenne, und damit bestimme ich den Sinn des Satzes.
Line 579: Line 579:
Der Punkt an dem das Gleichnis hinkt ist nun der: Wir können auf einen Punkt des Papiers zeigen, auch ohne zu wissen, was weiss und schwarz ist; einem Satz ohne Sinn aber entspricht gar nichts, denn er bezeichnet kein Ding (Wahrheitswert) dessen Eigenschaften etwa „falsch“ oder „wahr“ hiessen; das Verbum eines Satzes ist nicht „ist wahr“ oder „ist falsch“ – wie Frege glaubte – , sondern das, was „wahr ist“ muss das Verbum schon enthalten.
Der Punkt an dem das Gleichnis hinkt ist nun der: Wir können auf einen Punkt des Papiers zeigen, auch ohne zu wissen, was weiss und schwarz ist; einem Satz ohne Sinn aber entspricht gar nichts, denn er bezeichnet kein Ding (Wahrheitswert) dessen Eigenschaften etwa „falsch“ oder „wahr“ hiessen; das Verbum eines Satzes ist nicht „ist wahr“ oder „ist falsch“ – wie Frege glaubte – , sondern das, was „wahr ist“ muss das Verbum schon enthalten.


{{ParTLPde|4.064               Jeder Satz muss s ch o n einen Sinn haben; die Bejahung kann ihn ihm nicht geben, denn sie bejaht ja gerade den Sinn. Und dasselbe gilt von der Verneinung, etc.
{{ParTLPde|4.064}}               Jeder Satz muss s ch o n einen Sinn haben; die Bejahung kann ihn ihm nicht geben, denn sie bejaht ja gerade den Sinn. Und dasselbe gilt von der Verneinung, etc.


{{ParTLPde|4.0641 Man könnte sagen: Die Verneinung bezieht sich schon auf den logischen Ort, den der verneinte Satz bestimmt.
{{ParTLPde|4.0641}} Man könnte sagen: Die Verneinung bezieht sich schon auf den logischen Ort, den der verneinte Satz bestimmt.


Der verneinende Satz bestimmt einen a n d e r e n logischen Ort als der verneinte.
Der verneinende Satz bestimmt einen a n d e r e n logischen Ort als der verneinte.
Line 589: Line 589:
Dass man den verneinten Satz wieder verneinen kann, zeigt schon, dass das, was verneint wird, schon ein Satz und nicht erst die Vorbereitung zu einem Satze ist.
Dass man den verneinten Satz wieder verneinen kann, zeigt schon, dass das, was verneint wird, schon ein Satz und nicht erst die Vorbereitung zu einem Satze ist.


{{ParTLPde|4.1                   Der Satz stellt das Bestehen und Nichtbestehen der Sachverhalte dar.
{{ParTLPde|4.1}}                   Der Satz stellt das Bestehen und Nichtbestehen der Sachverhalte dar.


{{ParTLPde|4.11        Die Gesamtheit der wahren Sätze ist die gesamte Naturwissenschaft (oder die Gesamtheit der Naturwissenschaften).
{{ParTLPde|4.11}}        Die Gesamtheit der wahren Sätze ist die gesamte Naturwissenschaft (oder die Gesamtheit der Naturwissenschaften).


{{ParTLPde|4.111           Die Philosophie ist keine der Naturwissenschaften.
{{ParTLPde|4.111}}           Die Philosophie ist keine der Naturwissenschaften.


(Das Wort „Philosophie“ muss etwas bedeuten, was über oder unter, aber nicht neben den Naturwissenschaften steht.)
(Das Wort „Philosophie“ muss etwas bedeuten, was über oder unter, aber nicht neben den Naturwissenschaften steht.)


{{ParTLPde|4.112          Der Zweck der Philosophie ist die logische Klärung der Gedanken.
{{ParTLPde|4.112}}          Der Zweck der Philosophie ist die logische Klärung der Gedanken.


Die Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit.
Die Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit.
Line 607: Line 607:
Die Philosophie soll die Gedanken, die sonst, gleichsam, trübe und verschwommen sind, klar machen und scharf abgrenzen.
Die Philosophie soll die Gedanken, die sonst, gleichsam, trübe und verschwommen sind, klar machen und scharf abgrenzen.


{{ParTLPde|4.1121    Die Psychologie ist der Philosophie nicht verwandter als irgend eine andere Naturwissenschaft.
{{ParTLPde|4.1121}}    Die Psychologie ist der Philosophie nicht verwandter als irgend eine andere Naturwissenschaft.


Erkenntnistheorie ist die Philosophie der Psychologie.
Erkenntnistheorie ist die Philosophie der Psychologie.
Line 613: Line 613:
Entspricht nicht mein Studium der Zeichensprache dem Studium der Denkprozesse, welches die Philosophen für die Philosophie der Logik für so wesentlich hielten? Nur verwickelten sie sich meistens in unwesentliche psychologische Untersuchungen und eine analoge Gefahr gibt es auch bei meiner Methode.
Entspricht nicht mein Studium der Zeichensprache dem Studium der Denkprozesse, welches die Philosophen für die Philosophie der Logik für so wesentlich hielten? Nur verwickelten sie sich meistens in unwesentliche psychologische Untersuchungen und eine analoge Gefahr gibt es auch bei meiner Methode.


{{ParTLPde|4.1122 Die Darwinsche Theorie hat mit der Philosophie nicht mehr  zu schaffen, als irgend eine andere Hypothese der Naturwissenschaft.
{{ParTLPde|4.1122}} Die Darwinsche Theorie hat mit der Philosophie nicht mehr  zu schaffen, als irgend eine andere Hypothese der Naturwissenschaft.


{{ParTLPde|4.113          Die Philosophie begrenzt das bestreitbare Gebiet der Naturwissenschaft.
{{ParTLPde|4.113}}          Die Philosophie begrenzt das bestreitbare Gebiet der Naturwissenschaft.


{{ParTLPde|4.114          Sie soll das Denkbare abgrenzen und damit das Undenkbare. Sie soll das Undenkbare von innen durch das Denkbare begrenzen.
{{ParTLPde|4.114}}          Sie soll das Denkbare abgrenzen und damit das Undenkbare. Sie soll das Undenkbare von innen durch das Denkbare begrenzen.


{{ParTLPde|4.115          Sie wird das Unsagbare bedeuten, indem sie das Sagbare klar darstellt.
{{ParTLPde|4.115}}          Sie wird das Unsagbare bedeuten, indem sie das Sagbare klar darstellt.


{{ParTLPde|4.116          Alles was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.
{{ParTLPde|4.116}}          Alles was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.


{{ParTLPde|4.12 Der Satz kann die gesamte Wirklichkeit darstellen, aber er kann nicht das darstellen, was er mit der Wirklichkeit gemein haben muss, um sie darstellen zu können – die logische Form.
{{ParTLPde|4.12}} Der Satz kann die gesamte Wirklichkeit darstellen, aber er kann nicht das darstellen, was er mit der Wirklichkeit gemein haben muss, um sie darstellen zu können – die logische Form.


Um die logische Form darstellen zu können, müssten wir uns mit dem Satze ausserhalb der Logik aufstellen können, das heisst ausserhalb der Welt.
Um die logische Form darstellen zu können, müssten wir uns mit dem Satze ausserhalb der Logik aufstellen können, das heisst ausserhalb der Welt.


{{ParTLPde|4.121           Der Satz kann die logische Form nicht darstellen, sie spiegelt sich in ihm.
{{ParTLPde|4.121}}           Der Satz kann die logische Form nicht darstellen, sie spiegelt sich in ihm.


Was sich in der Sprache spiegelt, kann sie nicht darstellen.
Was sich in der Sprache spiegelt, kann sie nicht darstellen.
Line 635: Line 635:
Der Satz z e i g t die logische Form der Wirklichkeit. Er weist sie auf.
Der Satz z e i g t die logische Form der Wirklichkeit. Er weist sie auf.


{{ParTLPde|4.1211 So zeigt ein Satz „''fa''“, dass in seinem Sinn der Gegenstand ''a'' vorkommt, zwei Sätze „''fa''“ und „''ga''“, dass in ihnen beiden von demselben Gegenstand die Rede ist.
{{ParTLPde|4.1211}} So zeigt ein Satz „''fa''“, dass in seinem Sinn der Gegenstand ''a'' vorkommt, zwei Sätze „''fa''“ und „''ga''“, dass in ihnen beiden von demselben Gegenstand die Rede ist.


Wenn zwei Sätze einander widersprechen, so zeigt dies ihre Struktur; ebenso, wenn einer aus dem anderen folgt. U.s.w.
Wenn zwei Sätze einander widersprechen, so zeigt dies ihre Struktur; ebenso, wenn einer aus dem anderen folgt. U.s.w.


{{ParTLPde|4.1212 Was gezeigt werden ka n n, ka n n nicht gesagt werden.
{{ParTLPde|4.1212}} Was gezeigt werden ka n n, ka n n nicht gesagt werden.


{{ParTLPde|4.1213 Jetzt verstehen wir auch unser Gefühl: dass wir im Besitze einer richtigen logischen Auffassung seien, wenn nur einmal alles in unserer Zeichensprache stimmt.
{{ParTLPde|4.1213}} Jetzt verstehen wir auch unser Gefühl: dass wir im Besitze einer richtigen logischen Auffassung seien, wenn nur einmal alles in unserer Zeichensprache stimmt.


{{ParTLPde|4.122          Wir können in gewissem Sinne von formalen Eigenschaften der Gegenstände und Sachverhalte bezw. von Eigenschaften der Struktur der Tatsachen reden und in demselben Sinne von formalen Relationen und Relationen von Strukturen.
{{ParTLPde|4.122}}          Wir können in gewissem Sinne von formalen Eigenschaften der Gegenstände und Sachverhalte bezw. von Eigenschaften der Struktur der Tatsachen reden und in demselben Sinne von formalen Relationen und Relationen von Strukturen.


(Statt Eigenschaft der Struktur sage ich auch „interne Eigenschaft“; statt Relation der Strukturen „interne Relation“.
(Statt Eigenschaft der Struktur sage ich auch „interne Eigenschaft“; statt Relation der Strukturen „interne Relation“.
Line 651: Line 651:
Das Bestehen solcher interner Eigenschaften und Relationen kann aber nicht durch Sätze behauptet werden, sondern es zeigt sich in den Sätzen, welche jene Sachverhalte darstellen und von jenen Gegenständen handeln.
Das Bestehen solcher interner Eigenschaften und Relationen kann aber nicht durch Sätze behauptet werden, sondern es zeigt sich in den Sätzen, welche jene Sachverhalte darstellen und von jenen Gegenständen handeln.


{{ParTLPde|4.1221 Eine interne Eigenschaft einer Tatsache können wir auch einen Zug dieser Tatsache nennen. (In dem Sinn, in welchem wir etwa von Gesichtszügen sprechen.)
{{ParTLPde|4.1221}} Eine interne Eigenschaft einer Tatsache können wir auch einen Zug dieser Tatsache nennen. (In dem Sinn, in welchem wir etwa von Gesichtszügen sprechen.)


{{ParTLPde|4.123          Eine Eigenschaft ist intern, wenn es undenkbar ist, dass ihr Gegenstand sie nicht besitzt.
{{ParTLPde|4.123}}          Eine Eigenschaft ist intern, wenn es undenkbar ist, dass ihr Gegenstand sie nicht besitzt.


(Diese blaue Farbe und jene stehen in der internen Relation von heller und dunkler eo ipso. Es ist undenkbar, dass d i e s e beiden Gegenstände nicht in dieser Relation stünden.)
(Diese blaue Farbe und jene stehen in der internen Relation von heller und dunkler eo ipso. Es ist undenkbar, dass d i e s e beiden Gegenstände nicht in dieser Relation stünden.)
Line 659: Line 659:
(Hier entspricht dem schwankenden Gebrauch der Worte „Eigenschaft“ und „Relation“ der schwankende Gebrauch des Wortes „Gegenstand“.)
(Hier entspricht dem schwankenden Gebrauch der Worte „Eigenschaft“ und „Relation“ der schwankende Gebrauch des Wortes „Gegenstand“.)


{{ParTLPde|4.124          Das Bestehen einer internen Eigenschaft einer möglichen Sachlage wird nicht durch einen Satz ausgedrückt, sondern es drückt sich in dem sie darstellenden Satz, durch eine interne Eigenschaft dieses Satzes aus.
{{ParTLPde|4.124}}          Das Bestehen einer internen Eigenschaft einer möglichen Sachlage wird nicht durch einen Satz ausgedrückt, sondern es drückt sich in dem sie darstellenden Satz, durch eine interne Eigenschaft dieses Satzes aus.


Es wäre ebenso unsinnig, dem Satze eine formale Eigenschaft zuzusprechen, als sie ihm abzusprechen.
Es wäre ebenso unsinnig, dem Satze eine formale Eigenschaft zuzusprechen, als sie ihm abzusprechen.


{{ParTLPde|4.1241 Formen kann man nicht dadurch von einander unterscheiden, dass man sagt, die eine habe diese, die andere aber jene Eigenschaft; denn dies setzt voraus, dass es einen Sinn habe, beide Eigenschaften von beiden Formen auszusagen.
{{ParTLPde|4.1241}} Formen kann man nicht dadurch von einander unterscheiden, dass man sagt, die eine habe diese, die andere aber jene Eigenschaft; denn dies setzt voraus, dass es einen Sinn habe, beide Eigenschaften von beiden Formen auszusagen.


{{ParTLPde|4.125          Das Bestehen einer internen Relation zwischen möglichen Sachlagen drückt sich sprachlich durch eine interne Relation zwischen den sie darstellenden Sätzen aus.
{{ParTLPde|4.125}}          Das Bestehen einer internen Relation zwischen möglichen Sachlagen drückt sich sprachlich durch eine interne Relation zwischen den sie darstellenden Sätzen aus.


{{ParTLPde|4.1251    Hier erledigt sich nun die Streitfrage „ob alle Relationen intern oder extern“ seien.
{{ParTLPde|4.1251}}    Hier erledigt sich nun die Streitfrage „ob alle Relationen intern oder extern“ seien.


{{ParTLPde|4.1252   Reihen, welche durch i nt e r n e Relationen geordnet sind, nenne ich Formenreihen.
{{ParTLPde|4.1252}}   Reihen, welche durch i nt e r n e Relationen geordnet sind, nenne ich Formenreihen.


Die Zahlenreihe ist nicht nach einer externen, sondern nach einer internen Relation geordnet.
Die Zahlenreihe ist nicht nach einer externen, sondern nach einer internen Relation geordnet.
Line 677: Line 677:
(Steht ''b'' in einer dieser Beziehungen zu ''a'', so nenne ich ''b'' einen Nachfolger von ''a''.)
(Steht ''b'' in einer dieser Beziehungen zu ''a'', so nenne ich ''b'' einen Nachfolger von ''a''.)


{{ParTLPde|4.126          In dem Sinne, in welchem wir von formalen Eigenschaften sprechen, können wir nun auch von formalen Begriffen reden.
{{ParTLPde|4.126}}          In dem Sinne, in welchem wir von formalen Eigenschaften sprechen, können wir nun auch von formalen Begriffen reden.


(Ich führe diesen Ausdruck ein, um den Grund der Verwechslung der formalen Begriffe mit den eigentlichen Begriffen, welche die ganze alte Logik durchzieht, klar zu machen.)
(Ich führe diesen Ausdruck ein, um den Grund der Verwechslung der formalen Begriffe mit den eigentlichen Begriffen, welche die ganze alte Logik durchzieht, klar zu machen.)
Line 693: Line 693:
Der Ausdruck des formalen Begriffes also, eine Satzvariable, in welcher nur dieser charakteristische Zug konstant ist.
Der Ausdruck des formalen Begriffes also, eine Satzvariable, in welcher nur dieser charakteristische Zug konstant ist.


{{ParTLPde|4.127           Die Satzvariable bezeichnet den formalen Begriff und ihre Werte die Gegenstände, welche unter diesen Begriff fallen.
{{ParTLPde|4.127}}           Die Satzvariable bezeichnet den formalen Begriff und ihre Werte die Gegenstände, welche unter diesen Begriff fallen.


{{ParTLPde|4.1271 Jede Variable ist das Zeichen eines formalen Begriffes.
{{ParTLPde|4.1271}} Jede Variable ist das Zeichen eines formalen Begriffes.


Denn jede Variable stellt eine konstante Form dar, welche alle ihre Werte besitzen, und die als formale Eigenschaft dieser Werte aufgefasst werden kann.
Denn jede Variable stellt eine konstante Form dar, welche alle ihre Werte besitzen, und die als formale Eigenschaft dieser Werte aufgefasst werden kann.


{{ParTLPde|4.1272 So ist der variable Name „''x''“ das eigentliche Zeichen des Scheinbegriffes G e g e n s t a n d.
{{ParTLPde|4.1272}} So ist der variable Name „''x''“ das eigentliche Zeichen des Scheinbegriffes G e g e n s t a n d.


Wo immer das Wort „Gegenstand“ („Ding“, „Sache“, etc.) richtig gebraucht wird, wird es in der Begriffsschrift durch den variablen Namen ausgedrückt.
Wo immer das Wort „Gegenstand“ („Ding“, „Sache“, etc.) richtig gebraucht wird, wird es in der Begriffsschrift durch den variablen Namen ausgedrückt.


Zum Beispiel in dem Satz „es gibt 2 Gegenstände, welche
Zum Beispiel in dem Satz „es gibt 2 Gegenstände, welche . . . “ durch „(∃''x, y'') ''. . .''“.
 
. . . “ durch „(∃''x, y'') ''. . .''“.


Wo immer es anders, also als eigentliches Begriffswort gebraucht wird, entstehen unsinnige Scheinsätze.
Wo immer es anders, also als eigentliches Begriffswort gebraucht wird, entstehen unsinnige Scheinsätze.
Line 721: Line 719:
(Es ist ebenso unsinnig zu sagen „es gibt nur eine 1“, als es unsinnig wäre, zu sagen: 2 + 2 ist um 3 Uhr gleich 4.)
(Es ist ebenso unsinnig zu sagen „es gibt nur eine 1“, als es unsinnig wäre, zu sagen: 2 + 2 ist um 3 Uhr gleich 4.)


{{ParTLPde|4.12721 Der formale Begriff ist mit einem Gegenstand, der unter ihn fällt, bereits gegeben. Man kann also nicht Gegenstände eines formalen Begriffes u n d den formalen Begriff selbst als Grundbegriffe einführen. Man kann also z. B. nicht den Begriff der Funktion, und auch spezielle Funktionen (wie Russell) als Grundbegriffe einführen; oder den Begriff der Zahl und bestimmte Zahlen.
{{ParTLPde|4.12721}} Der formale Begriff ist mit einem Gegenstand, der unter ihn fällt, bereits gegeben. Man kann also nicht Gegenstände eines formalen Begriffes u n d den formalen Begriff selbst als Grundbegriffe einführen. Man kann also z. B. nicht den Begriff der Funktion, und auch spezielle Funktionen (wie Russell) als Grundbegriffe einführen; oder den Begriff der Zahl und bestimmte Zahlen.


{{ParTLPde|4.1273 Wollen wir den allgemeinen Satz: „''b'' ist ein Nachfolger von ''a''“ in der Begriffsschrift ausdrücken, so brauchen wir hierzu einen Ausdruck für das allgemeine Glied der Formenreihe: ''aRb'', (∃''x'') : ''aRx.xRb'', (∃''x, y'') : ''aRx.xRy.yRb'', . . . Das allgemeine Glied einer Formenreihe kann man nur durch eine Variable ausdrücken, denn der Begriff: Glied dieser Formenreihe, ist ein f o r m a l e r Begriff. (Dies haben Frege und Russell übersehen; die Art und Weise wie sie allgemeine Sätze, wie den obigen ausdrücken wollen ist daher falsch; sie enthält einen circulus vitiosus.)
{{ParTLPde|4.1273}} Wollen wir den allgemeinen Satz: „''b'' ist ein Nachfolger von ''a''“ in der Begriffsschrift ausdrücken, so brauchen wir hierzu einen Ausdruck für das allgemeine Glied der Formenreihe: ''aRb'', (∃''x'') : ''aRx.xRb'', (∃''x, y'') : ''aRx.xRy.yRb'', . . . Das allgemeine Glied einer Formenreihe kann man nur durch eine Variable ausdrücken, denn der Begriff: Glied dieser Formenreihe, ist ein f o r m a l e r Begriff. (Dies haben Frege und Russell übersehen; die Art und Weise wie sie allgemeine Sätze, wie den obigen ausdrücken wollen ist daher falsch; sie enthält einen circulus vitiosus.)


Wir können das allgemeine Glied der Formenreihe bestimmen, indem wir ihr erstes Glied angeben und die allgemeine Form der Operation, welche das folgende Glied aus dem vorhergehenden Satz erzeugt.
Wir können das allgemeine Glied der Formenreihe bestimmen, indem wir ihr erstes Glied angeben und die allgemeine Form der Operation, welche das folgende Glied aus dem vorhergehenden Satz erzeugt.


{{ParTLPde|4.1274 Die Frage nach der Existenz eines formalen Begriffes ist unsinnig. Denn kein Satz kann eine solche Frage beantworten.
{{ParTLPde|4.1274}} Die Frage nach der Existenz eines formalen Begriffes ist unsinnig. Denn kein Satz kann eine solche Frage beantworten.


(Man kann also z. B. nicht fragen: „Gibt es unanalysierbare Subjekt-Prädikatsätze?“)
(Man kann also z. B. nicht fragen: „Gibt es unanalysierbare Subjekt-Prädikatsätze?“)


{{ParTLPde|4.121           Die logischen Formen sind zahl l o s.
{{ParTLPde|4.121}}           Die logischen Formen sind zahl l o s.


Darum gibt es in der Logik keine ausgezeichneten Zahlen und darum gibt es keinen philosophischen Monismus oder Dualismus, etc.
Darum gibt es in der Logik keine ausgezeichneten Zahlen und darum gibt es keinen philosophischen Monismus oder Dualismus, etc.


{{ParTLPde|4.2 Der Sinn des Satzes ist seine Übereinstimmung, und Nichtübereinstimmung mit den Möglichkeiten des Bestehens und Nichtbestehens der Sachverhalte.
{{ParTLPde|4.2}} Der Sinn des Satzes ist seine Übereinstimmung, und Nichtübereinstimmung mit den Möglichkeiten des Bestehens und Nichtbestehens der Sachverhalte.


{{ParTLPde|4.21 Der einfachste Satz, der Elementarsatz, behauptet das Bestehen eines Sachverhaltes.
{{ParTLPde|4.21}} Der einfachste Satz, der Elementarsatz, behauptet das Bestehen eines Sachverhaltes.


{{ParTLPde|4.211 Ein Zeichen des Elementarsatzes ist es, dass kein Elementarsatz mit ihm in Widerspruch stehen kann.
{{ParTLPde|4.211}} Ein Zeichen des Elementarsatzes ist es, dass kein Elementarsatz mit ihm in Widerspruch stehen kann.


{{ParTLPde|4.22 Der Elementarsatz besteht aus Namen. Er ist ein Zusammenhang, eine Verkettung, von Namen.
{{ParTLPde|4.22}} Der Elementarsatz besteht aus Namen. Er ist ein Zusammenhang, eine Verkettung, von Namen.


{{ParTLPde|4.221 Es ist offenbar, dass wir bei der Analyse der Sätze auf Elementarsätze kommen müssen, die aus Namen in unmittelbarer Verbindung bestehen.
{{ParTLPde|4.221}} Es ist offenbar, dass wir bei der Analyse der Sätze auf Elementarsätze kommen müssen, die aus Namen in unmittelbarer Verbindung bestehen.


Es frägt sich hier, wie kommt der Satzverband zustande.
Es frägt sich hier, wie kommt der Satzverband zustande.


{{ParTLPde|4.2211 Auch wenn die Welt unendlich komplex ist, so dass jede Tatsache aus unendlich vielen Sachverhalten besteht und jeder Sachverhalt aus unendlich vielen Gegenständen zusammengesetzt ist, auch dann müsste es Gegenstände und Sachverhalte geben.
{{ParTLPde|4.2211}} Auch wenn die Welt unendlich komplex ist, so dass jede Tatsache aus unendlich vielen Sachverhalten besteht und jeder Sachverhalt aus unendlich vielen Gegenständen zusammengesetzt ist, auch dann müsste es Gegenstände und Sachverhalte geben.


{{ParTLPde|4.23               Der Name kommt im Satz nur im Zusammenhange des Elementarsatzes vor.  
{{ParTLPde|4.23}}               Der Name kommt im Satz nur im Zusammenhange des Elementarsatzes vor.  


{{ParTLPde|4.24               Die Namen sind die einfachen Symbole, ich deute sie durch einzelne Buchstaben („''x''“, „''y''“, „''z''“) an.
{{ParTLPde|4.24}}               Die Namen sind die einfachen Symbole, ich deute sie durch einzelne Buchstaben („''x''“, „''y''“, „''z''“) an.


Den Elementarsatz schreibe ich als Funktion der Namen in der Form: „''fx''“, „''φ''(''x, y'')“, etc.
Den Elementarsatz schreibe ich als Funktion der Namen in der Form: „''fx''“, „''φ''(''x, y'')“, etc.
Line 757: Line 755:
Oder ich deute ihn durch die Buchstaben ''p'', ''q'', ''r'' an.
Oder ich deute ihn durch die Buchstaben ''p'', ''q'', ''r'' an.


{{ParTLPde|4.241           Gebrauche ich zwei Zeichen in ein und derselben Bedeutung, so drücke ich dies aus, indem ich zwischen beide das Zeichen „=“ setze.
{{ParTLPde|4.241}}           Gebrauche ich zwei Zeichen in ein und derselben Bedeutung, so drücke ich dies aus, indem ich zwischen beide das Zeichen „=“ setze.


„''a'' = ''b''“ heisst also: das Zeichen „''a''“ ist durch das Zeichen „''b''“ ersetzbar.
„''a'' = ''b''“ heisst also: das Zeichen „''a''“ ist durch das Zeichen „''b''“ ersetzbar.
Line 763: Line 761:
(Führe ich durch eine Gleichung ein neues Zeichen „''b''“ ein, indem ich bestimme, es solle ein bereits bekanntes Zeichen „''a''“ ersetzen, so schreibe ich die Gleichung – Definition – (wie Russell) in der Form „''a'' = ''b'' Def.“. Die Definition ist eine Zeichenregel.)
(Führe ich durch eine Gleichung ein neues Zeichen „''b''“ ein, indem ich bestimme, es solle ein bereits bekanntes Zeichen „''a''“ ersetzen, so schreibe ich die Gleichung – Definition – (wie Russell) in der Form „''a'' = ''b'' Def.“. Die Definition ist eine Zeichenregel.)


{{ParTLPde|4.242          Ausdrücke von der Form „''a'' = ''b''“ sind also nur Behelfe der Darstellung; sie sagen nichts über die Bedeutung der Zeichen „''a''“, „''b''“ aus.
{{ParTLPde|4.242}}          Ausdrücke von der Form „''a'' = ''b''“ sind also nur Behelfe der Darstellung; sie sagen nichts über die Bedeutung der Zeichen „''a''“, „''b''“ aus.


{{ParTLPde|4.243          Können wir zwei Namen verstehen, ohne zu wissen, ob sie dasselbe Ding oder zwei verschiedene Dinge bezeichnen? – Können wir einen Satz, worin zwei Namen vorkommen, verstehen, ohne zu wissen, ob sie Dasselbe oder Verschiedenes bedeuten?
{{ParTLPde|4.243}}          Können wir zwei Namen verstehen, ohne zu wissen, ob sie dasselbe Ding oder zwei verschiedene Dinge bezeichnen? – Können wir einen Satz, worin zwei Namen vorkommen, verstehen, ohne zu wissen, ob sie Dasselbe oder Verschiedenes bedeuten?


Kenne ich etwa die Bedeutung eines englischen und eines gleichbedeutenden deutschen Wortes, so ist es unmöglich, dass ich nicht weiss, dass die beiden gleichbedeutend sind; es ist unmöglich, dass ich sie nicht ineinander übersetzen kann.
Kenne ich etwa die Bedeutung eines englischen und eines gleichbedeutenden deutschen Wortes, so ist es unmöglich, dass ich nicht weiss, dass die beiden gleichbedeutend sind; es ist unmöglich, dass ich sie nicht ineinander übersetzen kann.
Line 771: Line 769:
Ausdrücke wie „''a'' = ''a''“, oder von diesen abgeleitete, sind weder Elementarsätze, noch sonst sinnvolle Zeichen. (Dies wird sich später zeigen.)
Ausdrücke wie „''a'' = ''a''“, oder von diesen abgeleitete, sind weder Elementarsätze, noch sonst sinnvolle Zeichen. (Dies wird sich später zeigen.)


{{ParTLPde|4.25               Ist der Elementarsatz wahr, so besteht der Sachverhalt; ist der Elementarsatz falsch, so besteht der Sachverhalt nicht.
{{ParTLPde|4.25}}               Ist der Elementarsatz wahr, so besteht der Sachverhalt; ist der Elementarsatz falsch, so besteht der Sachverhalt nicht.


{{ParTLPde|4.26               Die Angabe aller wahren Elementarsätze beschreibt die Welt vollständig. Die Welt ist vollständig beschrieben durch die Angaben aller Elementarsätze plus der Angabe, welche von ihnen wahr und welche falsch sind.
{{ParTLPde|4.26}}               Die Angabe aller wahren Elementarsätze beschreibt die Welt vollständig. Die Welt ist vollständig beschrieben durch die Angaben aller Elementarsätze plus der Angabe, welche von ihnen wahr und welche falsch sind.


{{ParTLPde|4.27               Bezüglich des Bestehens und Nichtbestehens von ''n'' Sachverhalten gibt es <math>K_n = \sum_{v=0}^n \binom{n}{v}</math> Möglichkeiten.
{{ParTLPde|4.27}}               Bezüglich des Bestehens und Nichtbestehens von ''n'' Sachverhalten gibt es <math>K_n = \sum_{v=0}^n \binom{n}{v}</math> Möglichkeiten.


Es können alle Kombinationen der Sachverhalte bestehen, die andern nicht bestehen.
Es können alle Kombinationen der Sachverhalte bestehen, die andern nicht bestehen.


{{ParTLPde|4.28               Diesen Kombinationen entsprechen ebenso viele Möglichkeiten der Wahrheit – und Falschheit – von ''n'' Elementarsätzen.
{{ParTLPde|4.28}}               Diesen Kombinationen entsprechen ebenso viele Möglichkeiten der Wahrheit – und Falschheit – von ''n'' Elementarsätzen.


{{ParTLPde|4.3 Die Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze bedeuten die Möglichkeiten des Bestehens und Nichtbestehens der Sachverhalte.
{{ParTLPde|4.3}} Die Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze bedeuten die Möglichkeiten des Bestehens und Nichtbestehens der Sachverhalte.


{{ParTLPde|4.31 Die Wahrheitsmöglichkeiten können wir durch Schemata folgender Art darstellen („W“ bedeutet „wahr“, „F“, „falsch“. Die Reihen der „W“ und „F“ unter der Reihe der Elementarsätze bedeuten in leichtverständlicher Symbolik deren Wahrheitsmöglichkeiten):
{{ParTLPde|4.31}} Die Wahrheitsmöglichkeiten können wir durch Schemata folgender Art darstellen („W“ bedeutet „wahr“, „F“, „falsch“. Die Reihen der „W“ und „F“ unter der Reihe der Elementarsätze bedeuten in leichtverständlicher Symbolik deren Wahrheitsmöglichkeiten):


{{TLP 4.31 de}}
{{TLP 4.31 de}}


{{ParTLPde|4.4 Der Satz ist der Ausdruck der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung mit den Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze.
{{ParTLPde|4.4}} Der Satz ist der Ausdruck der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung mit den Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze.


{{ParTLPde|4.41 Die Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze sind die Bedingungen der Wahrheit und Falschheit der Sätze.
{{ParTLPde|4.41}} Die Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze sind die Bedingungen der Wahrheit und Falschheit der Sätze.


{{ParTLPde|4.411 Es ist von vornherein wahrscheinlich, dass die Einführung der Elementarsätze für das Verständnis aller anderen Satzarten grundlegend ist. Ja, das Verständnis der allgemeinen Sätze hängt f ü h l b a r von dem der Elementarsätze ab.
{{ParTLPde|4.411}} Es ist von vornherein wahrscheinlich, dass die Einführung der Elementarsätze für das Verständnis aller anderen Satzarten grundlegend ist. Ja, das Verständnis der allgemeinen Sätze hängt f ü h l b a r von dem der Elementarsätze ab.


{{ParTLPde|4.42    Bezüglich der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung eines Satzes mit den Wahrheitsmöglichkeiten von ''n'' Elementarsätzen gibt es <math>\sum_{k=0}^{K_n} \binom{K_n}{k} = L_n</math> Möglichkeiten.
{{ParTLPde|4.42}}    Bezüglich der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung eines Satzes mit den Wahrheitsmöglichkeiten von ''n'' Elementarsätzen gibt es <math>\sum_{k=0}^{K_n} \binom{K_n}{k} = L_n</math> Möglichkeiten.


{{ParTLPde|4.43               Die Übereinstimmung mit den Wahrheitsmöglichkeiten können wir dadurch ausdrücken, indem wir ihnen im Schema etwa das Abzeichen „W“ (wahr) zuordnen.
{{ParTLPde|4.43}}               Die Übereinstimmung mit den Wahrheitsmöglichkeiten können wir dadurch ausdrücken, indem wir ihnen im Schema etwa das Abzeichen „W“ (wahr) zuordnen.


Das Fehlen dieses Abzeichens bedeutet die Nichtübereinstimmung.
Das Fehlen dieses Abzeichens bedeutet die Nichtübereinstimmung.


{{ParTLPde|4.431 Der Ausdruck der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung mit den Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze drückt die Wahrheitsbedingungen des Satzes aus.
{{ParTLPde|4.431}} Der Ausdruck der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung mit den Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze drückt die Wahrheitsbedingungen des Satzes aus.


Der Satz ist der Ausdruck seiner Wahrheitsbedingungen. (Frege hat sie daher ganz richtig als Erklärung der Zeichen seiner Begriffsschrift vorausgeschickt. Nur ist die Erklärung  des Wahrheitsbegriffes bei Frege falsch: Wären „das Wahre“  und „das Falsche“ wirklich Gegenstände und die Argumente in ∼''p'' etc. dann wäre nach Frege’s Bestimmung der Sinn von „∼''p''“ keineswegs bestimmt.)
Der Satz ist der Ausdruck seiner Wahrheitsbedingungen. (Frege hat sie daher ganz richtig als Erklärung der Zeichen seiner Begriffsschrift vorausgeschickt. Nur ist die Erklärung  des Wahrheitsbegriffes bei Frege falsch: Wären „das Wahre“  und „das Falsche“ wirklich Gegenstände und die Argumente in ∼''p'' etc. dann wäre nach Frege’s Bestimmung der Sinn von „∼''p''“ keineswegs bestimmt.)


{{ParTLPde|4.44               Das Zeichen, welches durch die Zuordnung jener Abzeichen „W“ und der Wahrheitsmöglichkeiten entsteht, ist ein Satzzeichen.
{{ParTLPde|4.44}}               Das Zeichen, welches durch die Zuordnung jener Abzeichen „W“ und der Wahrheitsmöglichkeiten entsteht, ist ein Satzzeichen.


{{ParTLPde|4.441 Es ist klar, dass dem Komplex der Zeichen „F“ und „W“ kein Gegenstand (oder Komplex von Gegenständen) entspricht; so wenig, wie den horizontalen und vertikalen Strichen oder den Klammern. – „Logische Gegenstände“ gibt es nicht.
{{ParTLPde|4.441}} Es ist klar, dass dem Komplex der Zeichen „F“ und „W“ kein Gegenstand (oder Komplex von Gegenständen) entspricht; so wenig, wie den horizontalen und vertikalen Strichen oder den Klammern. – „Logische Gegenstände“ gibt es nicht.


Analoges gilt natürlich für alle Zeichen, die dasselbe ausdrücken wie die Schemata der „W“ und „F“.
Analoges gilt natürlich für alle Zeichen, die dasselbe ausdrücken wie die Schemata der „W“ und „F“.


{{ParTLPde|4.442     Es ist z. B.:
{{ParTLPde|4.442}}     Es ist z. B.:


{|  style="margin: 0 auto 0 auto;"
{|  style="margin: 0 auto 0 auto;"
Line 845: Line 843:
(Die Anzahl der Stellen in der linken Klammer ist durch die Anzahl der Glieder in der rechten bestimmt.)
(Die Anzahl der Stellen in der linken Klammer ist durch die Anzahl der Glieder in der rechten bestimmt.)


{{ParTLPde|4.45               Für ''n'' Elementarsätze gibt es ''L<sub>n</sub>'' mögliche Gruppen von Wahrheitsbedingungen.
{{ParTLPde|4.45}}               Für ''n'' Elementarsätze gibt es ''L<sub>n</sub>'' mögliche Gruppen von Wahrheitsbedingungen.


Die Gruppen von Wahrheitsbedingungen, welche zu den Wahrheitsmöglichkeiten einer Anzahl von Elementarsätzen gehören, lassen sich in eine Reihe ordnen.
Die Gruppen von Wahrheitsbedingungen, welche zu den Wahrheitsmöglichkeiten einer Anzahl von Elementarsätzen gehören, lassen sich in eine Reihe ordnen.


{{ParTLPde|4.46               Unter den möglichen Gruppen von Wahrheitsbedingungen gibt es zwei extreme Fälle.
{{ParTLPde|4.46}}               Unter den möglichen Gruppen von Wahrheitsbedingungen gibt es zwei extreme Fälle.


In dem einen Fall ist der Satz für sämtliche Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze wahr. Wir sagen, die Wahrheitsbedingungen sind t a u t o l o g i s c h.
In dem einen Fall ist der Satz für sämtliche Wahrheitsmöglichkeiten der Elementarsätze wahr. Wir sagen, die Wahrheitsbedingungen sind t a u t o l o g i s c h.
Line 857: Line 855:
Im ersten Fall nennen wir den Satz eine Tautologie, im zweiten Fall eine Kontradiktion.
Im ersten Fall nennen wir den Satz eine Tautologie, im zweiten Fall eine Kontradiktion.


{{ParTLPde|4.461 Der Satz zeigt was er sagt, die Tautologie und die Kontradiktion, dass sie nichts sagen.
{{ParTLPde|4.461}} Der Satz zeigt was er sagt, die Tautologie und die Kontradiktion, dass sie nichts sagen.


Die Tautologie hat keine Wahrheitsbedingungen, denn sie ist bedingungslos wahr; und die Kontradiktion ist unter keiner Bedingung wahr.
Die Tautologie hat keine Wahrheitsbedingungen, denn sie ist bedingungslos wahr; und die Kontradiktion ist unter keiner Bedingung wahr.
Line 867: Line 865:
(Ich weiss z. B. nichts über das Wetter, wenn ich weiss, dass es regnet oder nicht regnet.)
(Ich weiss z. B. nichts über das Wetter, wenn ich weiss, dass es regnet oder nicht regnet.)


{{ParTLPde|4.4611 Tautologie und Kontradiktion sind aber nicht unsinnig; sie gehören zum Symbolismus, und zwar ähnlich wie die „0“ zum Symbolismus der Arithmetik.
{{ParTLPde|4.4611}} Tautologie und Kontradiktion sind aber nicht unsinnig; sie gehören zum Symbolismus, und zwar ähnlich wie die „0“ zum Symbolismus der Arithmetik.


{{ParTLPde|4.462                         Tautologie und Kontradiktion sind nicht Bilder der Wirklichkeit. Sie stellen keine mögliche Sachlage dar. Denn jene lässt j e d e mögliche Sachlage zu, diese ke i n e.
{{ParTLPde|4.462}}                         Tautologie und Kontradiktion sind nicht Bilder der Wirklichkeit. Sie stellen keine mögliche Sachlage dar. Denn jene lässt j e d e mögliche Sachlage zu, diese ke i n e.


In der Tautologie heben die Bedingungen der Übereinstimmung mit der Welt – die darstellenden Beziehungen – einander auf, so dass sie in keiner darstellenden Beziehung zur Wirklichkeit steht.
In der Tautologie heben die Bedingungen der Übereinstimmung mit der Welt – die darstellenden Beziehungen – einander auf, so dass sie in keiner darstellenden Beziehung zur Wirklichkeit steht.


{{ParTLPde|4.463                             Die Wahrheitsbedingungen bestimmen den Spielraum, der den Tatsachen durch den Satz gelassen wird.
{{ParTLPde|4.463}}                             Die Wahrheitsbedingungen bestimmen den Spielraum, der den Tatsachen durch den Satz gelassen wird.


(Der Satz, das Bild, das Modell, sind im negativen Sinne wie ein fester Körper, der die Bewegungsfreiheit der anderen beschränkt; im positiven Sinne, wie der von fester Substanz begrenzte Raum, worin ein Körper Platz hat.)
(Der Satz, das Bild, das Modell, sind im negativen Sinne wie ein fester Körper, der die Bewegungsfreiheit der anderen beschränkt; im positiven Sinne, wie der von fester Substanz begrenzte Raum, worin ein Körper Platz hat.)
Line 879: Line 877:
Die Tautologie lässt der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und lässt der Wirklichkeit keinen Punkt. Keine von beiden kann daher die Wirklichkeit irgendwie bestimmen.
Die Tautologie lässt der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und lässt der Wirklichkeit keinen Punkt. Keine von beiden kann daher die Wirklichkeit irgendwie bestimmen.


{{ParTLPde|4.464                             Die Wahrheit der Tautologie ist gewiss, des Satzes möglich, der Kontradiktion unmöglich.
{{ParTLPde|4.464}}                             Die Wahrheit der Tautologie ist gewiss, des Satzes möglich, der Kontradiktion unmöglich.


(Gewiss, möglich, unmöglich: Hier haben wir das Anzeichen jener Gradation, die wir in der Wahrscheinlichkeitslehre brauchen.)
(Gewiss, möglich, unmöglich: Hier haben wir das Anzeichen jener Gradation, die wir in der Wahrscheinlichkeitslehre brauchen.)


{{ParTLPde|4.465                             Das logische Produkt einer Tautologie und eines Satzes sagt dasselbe, wie der Satz. Also ist jenes Produkt identisch mit dem Satz. Denn man kann das Wesentliche des Symbols nicht ändern, ohne seinen Sinn zu ändern.
{{ParTLPde|4.465}}                             Das logische Produkt einer Tautologie und eines Satzes sagt dasselbe, wie der Satz. Also ist jenes Produkt identisch mit dem Satz. Denn man kann das Wesentliche des Symbols nicht ändern, ohne seinen Sinn zu ändern.


{{ParTLPde|4.466                             Einer bestimmten logischen Verbindung von Zeichen entspricht eine bestimmte logische Verbindung ihrer Bedeutungen; j e d e b e l i e b i g e Verbindung entspricht nur den unverbundenen Zeichen.
{{ParTLPde|4.466}}                             Einer bestimmten logischen Verbindung von Zeichen entspricht eine bestimmte logische Verbindung ihrer Bedeutungen; j e d e b e l i e b i g e Verbindung entspricht nur den unverbundenen Zeichen.


Das heisst, Sätze die für jede Sachlage wahr sind, können überhaupt keine Zeichenverbindungen sein, denn sonst könnten ihnen nur bestimmte Verbindungen von Gegenständen entsprechen.
Das heisst, Sätze die für jede Sachlage wahr sind, können überhaupt keine Zeichenverbindungen sein, denn sonst könnten ihnen nur bestimmte Verbindungen von Gegenständen entsprechen.
Line 893: Line 891:
Tautologie und Kontradiktion sind die Grenzfälle der Zeichenverbindung, nämlich ihre Auflösung.
Tautologie und Kontradiktion sind die Grenzfälle der Zeichenverbindung, nämlich ihre Auflösung.


{{ParTLPde|4.4661 Freilich sind auch in der Tautologie und Kontradiktion die Zeichen noch mit einander verbunden, d. h. sie stehen in Beziehungen zu einander, aber diese Beziehungen sind bedeutungslos, dem S y mb o l unwesentlich.
{{ParTLPde|4.4661}} Freilich sind auch in der Tautologie und Kontradiktion die Zeichen noch mit einander verbunden, d. h. sie stehen in Beziehungen zu einander, aber diese Beziehungen sind bedeutungslos, dem S y mb o l unwesentlich.


{{ParTLPde|4.5 Nun scheint es möglich zu sein, die allgemeinste Satzform anzugeben: das heisst, eine Beschreibung der Sätze i r g e n d e i n e r Zeichensprache zu geben, so dass jeder mögliche Sinn durch ein Symbol, auf welches die Beschreibung passt, ausgedrückt werden kann, und dass jedes Symbol, worauf die Beschreibung passt, einen Sinn ausdrücken kann, wenn die Bedeutungen der Namen entsprechend gewählt werden.
{{ParTLPde|4.5}} Nun scheint es möglich zu sein, die allgemeinste Satzform anzugeben: das heisst, eine Beschreibung der Sätze i r g e n d e i n e r Zeichensprache zu geben, so dass jeder mögliche Sinn durch ein Symbol, auf welches die Beschreibung passt, ausgedrückt werden kann, und dass jedes Symbol, worauf die Beschreibung passt, einen Sinn ausdrücken kann, wenn die Bedeutungen der Namen entsprechend gewählt werden.


Es ist klar, dass bei der Beschreibung der allgemeinsten Satzform nu r ihr Wesentliches beschrieben werden darf, – sonst wäre sie nämlich nicht die allgemeinste.
Es ist klar, dass bei der Beschreibung der allgemeinsten Satzform nu r ihr Wesentliches beschrieben werden darf, – sonst wäre sie nämlich nicht die allgemeinste.
Line 901: Line 899:
Dass es eine allgemeine Satzform gibt, wird dadurch bewiesen, dass es keinen Satz geben darf, dessen Form man nicht hätte voraussehen (d. h. konstruieren) können. Die allgemeine Form des Satzes ist: Es verhält sich so und so.
Dass es eine allgemeine Satzform gibt, wird dadurch bewiesen, dass es keinen Satz geben darf, dessen Form man nicht hätte voraussehen (d. h. konstruieren) können. Die allgemeine Form des Satzes ist: Es verhält sich so und so.


{{ParTLPde|4.51               Angenommen, mir wären a l l e Elementarsätze gegeben: Dann lässt sich einfach fragen: welche Sätze kann ich aus ihnen bilden. Und das sind a l l e Sätze und s o sind sie begrenzt.
{{ParTLPde|4.51}}               Angenommen, mir wären a l l e Elementarsätze gegeben: Dann lässt sich einfach fragen: welche Sätze kann ich aus ihnen bilden. Und das sind a l l e Sätze und s o sind sie begrenzt.


{{ParTLPde|4.52              Die Sätze sind Alles, was aus der Gesamtheit aller Elementarsätze folgt (natürlich auch daraus, dass es die G e s a mt h e i t a l l e r ist). (So könnte man in gewissem Sinne sagen, dass a l l e Sätze Verallgemeinerungen der Elementarsätze sind.)
{{ParTLPde|4.52}}              Die Sätze sind Alles, was aus der Gesamtheit aller Elementarsätze folgt (natürlich auch daraus, dass es die G e s a mt h e i t a l l e r ist). (So könnte man in gewissem Sinne sagen, dass a l l e Sätze Verallgemeinerungen der Elementarsätze sind.)


{{ParTLPde|4.53              Die allgemeine Satzform ist eine Variable.
{{ParTLPde|4.53}}              Die allgemeine Satzform ist eine Variable.


{{ParTLPde|5                         Der Satz ist eine Wahrheitsfunktion der Elementarsätze.
{{ParTLPde|5}}                         Der Satz ist eine Wahrheitsfunktion der Elementarsätze.


(Der Elementarsatz ist eine Wahrheitsfunktion seiner selbst.)
(Der Elementarsatz ist eine Wahrheitsfunktion seiner selbst.)


{{ParTLPde|5.01               Die Elementarsätze sind die Wahrheitsargumente des Satzes.
{{ParTLPde|5.01}}               Die Elementarsätze sind die Wahrheitsargumente des Satzes.


{{ParTLPde|5.02              Es liegt nahe, die Argumente von Funktionen mit den Indices von Namen zu verwechseln. Ich erkenne nämlich sowohl am Argument wie am Index die Bedeutung des sie enthaltenden Zeichens.
{{ParTLPde|5.02}}              Es liegt nahe, die Argumente von Funktionen mit den Indices von Namen zu verwechseln. Ich erkenne nämlich sowohl am Argument wie am Index die Bedeutung des sie enthaltenden Zeichens.


In Russell’s „+''<sub>c</sub>''“ ist z. B. „''c''“ ein Index, der darauf hinweist, dass das ganze Zeichen das Additionszeichen für Kardinalzahlen ist. Aber diese Bezeichnung beruht auf willkürlicher Übereinkunft und man könnte statt „+''<sub>c</sub>''“ auch ein einfaches Zeichen wählen; in „∼''p''“ aber ist „''p''“ kein Index, sondern ein Argument: der Sinn von „∼''p''“ ka n n n i cht verstanden werden, ohne dass vorher der Sinn von „''p''“ verstanden worden wäre. (Im Namen Julius Cäsar ist „Julius“ ein Index. Der Index ist immer ein Teil einer Beschreibung des Gegenstandes, dessen Namen wir ihn anhängen. Z. B. D e r Cäsar aus dem Geschlechte der Julier.)
In Russell’s „+''<sub>c</sub>''“ ist z. B. „''c''“ ein Index, der darauf hinweist, dass das ganze Zeichen das Additionszeichen für Kardinalzahlen ist. Aber diese Bezeichnung beruht auf willkürlicher Übereinkunft und man könnte statt „+''<sub>c</sub>''“ auch ein einfaches Zeichen wählen; in „∼''p''“ aber ist „''p''“ kein Index, sondern ein Argument: der Sinn von „∼''p''“ ka n n n i cht verstanden werden, ohne dass vorher der Sinn von „''p''“ verstanden worden wäre. (Im Namen Julius Cäsar ist „Julius“ ein Index. Der Index ist immer ein Teil einer Beschreibung des Gegenstandes, dessen Namen wir ihn anhängen. Z. B. D e r Cäsar aus dem Geschlechte der Julier.)
Line 919: Line 917:
Die Verwechslung von Argument und Index liegt, wenn ich mich nicht irre, der Theorie Frege’s von der Bedeutung der Sätze und Funktionen zugrunde. Für Frege waren die Sätze der Logik Namen, und deren Argumente die Indices dieser Namen.
Die Verwechslung von Argument und Index liegt, wenn ich mich nicht irre, der Theorie Frege’s von der Bedeutung der Sätze und Funktionen zugrunde. Für Frege waren die Sätze der Logik Namen, und deren Argumente die Indices dieser Namen.


{{ParTLPde|5.1                   Die Wahrheitsfunktionen lassen sich in Reihen ordnen. Das ist die Grundlage der Wahrscheinlichkeitslehre.
{{ParTLPde|5.1}}                   Die Wahrheitsfunktionen lassen sich in Reihen ordnen. Das ist die Grundlage der Wahrscheinlichkeitslehre.


{{ParTLPde|5.101 Die Wahrheitsfunktionen jeder Anzahl von Elementarsätzen lassen sich in einem Schema folgender Art hinschreiben:
{{ParTLPde|5.101}} Die Wahrheitsfunktionen jeder Anzahl von Elementarsätzen lassen sich in einem Schema folgender Art hinschreiben:


{| style="margin: 0 auto 0 auto;"
{| style="margin: 0 auto 0 auto;"
Line 991: Line 989:
Diejenigen Wahrheitsmöglichkeiten seiner Wahrheitsargumente, welche den Satz bewahrheiten, will ich seine Wa h r h e i t s g r ü n d e nennen.
Diejenigen Wahrheitsmöglichkeiten seiner Wahrheitsargumente, welche den Satz bewahrheiten, will ich seine Wa h r h e i t s g r ü n d e nennen.


{{ParTLPde|5.11               Sind die Wahrheitsgründe, die einer Anzahl von Sätzen gemeinsam sind, sämtlich auch Wahrheitsgründe eines bestimmten Satzes, so sagen wir, die Wahrheit dieses Satzes folge aus der Wahrheit jener Sätze.
{{ParTLPde|5.11}}               Sind die Wahrheitsgründe, die einer Anzahl von Sätzen gemeinsam sind, sämtlich auch Wahrheitsgründe eines bestimmten Satzes, so sagen wir, die Wahrheit dieses Satzes folge aus der Wahrheit jener Sätze.


{{ParTLPde|5.12              Insbesondere folgt die Wahrheit eines Satzes „''p''“ aus der Wahrheit eines anderen „''q''“, wenn alle Wahrheitsgründe des zweiten Wahrheitsgründe des ersten sind.
{{ParTLPde|5.12}}              Insbesondere folgt die Wahrheit eines Satzes „''p''“ aus der Wahrheit eines anderen „''q''“, wenn alle Wahrheitsgründe des zweiten Wahrheitsgründe des ersten sind.


{{ParTLPde|5.121           Die Wahrheitsgründe des einen sind in denen des anderen enthalten; ''p'' folgt aus ''q''.
{{ParTLPde|5.121}}           Die Wahrheitsgründe des einen sind in denen des anderen enthalten; ''p'' folgt aus ''q''.


{{ParTLPde|5.122          Folgt ''p'' aus ''q'', so ist der Sinn von „''p''“ im Sinne von „''q''“ enthalten.
{{ParTLPde|5.122}}          Folgt ''p'' aus ''q'', so ist der Sinn von „''p''“ im Sinne von „''q''“ enthalten.


{{ParTLPde|5.123          Wenn ein Gott eine Welt erschafft, worin gewisse Sätze wahr sind, so schafft er damit auch schon eine Welt, in welcher alle ihre Folgesätze stimmen. Und ähnlich könnte er keine Welt schaffen, worin der Satz „''p''“ wahr ist, ohne seine sämtlichen Gegenstände zu schaffen.
{{ParTLPde|5.123}}          Wenn ein Gott eine Welt erschafft, worin gewisse Sätze wahr sind, so schafft er damit auch schon eine Welt, in welcher alle ihre Folgesätze stimmen. Und ähnlich könnte er keine Welt schaffen, worin der Satz „''p''“ wahr ist, ohne seine sämtlichen Gegenstände zu schaffen.


{{ParTLPde|5.124          Der Satz bejaht jeden Satz der aus ihm folgt.
{{ParTLPde|5.124}}          Der Satz bejaht jeden Satz der aus ihm folgt.


{{ParTLPde|5.1241 „''p . q''“ ist einer der Sätze, welche „''p''“ bejahen und zugleich einer der Sätze, welche „''q''“ bejahen.
{{ParTLPde|5.1241}} „''p . q''“ ist einer der Sätze, welche „''p''“ bejahen und zugleich einer der Sätze, welche „''q''“ bejahen.


Zwei Sätze sind einander entgegengesetzt, wenn es keinen sinnvollen Satz gibt, der sie beide bejaht.
Zwei Sätze sind einander entgegengesetzt, wenn es keinen sinnvollen Satz gibt, der sie beide bejaht.
Line 1,009: Line 1,007:
Jeder Satz der einem anderen widerspricht, verneint ihn.
Jeder Satz der einem anderen widerspricht, verneint ihn.


{{ParTLPde|5.13 Dass die Wahrheit eines Satzes aus der Wahrheit anderer Sätze folgt, ersehen wir aus der Struktur der Sätze.
{{ParTLPde|5.13}} Dass die Wahrheit eines Satzes aus der Wahrheit anderer Sätze folgt, ersehen wir aus der Struktur der Sätze.


{{ParTLPde|5.131           Folgt die Wahrheit eines Satzes aus der Wahrheit anderer, so drückt sich dies durch Beziehungen aus, in welchen die Formen jener Sätze zu einander stehen; und zwar brauchen wir sie nicht erst in jene Beziehungen zu setzen, indem wir sie in einem Satze miteinander verbinden, sondern diese Beziehungen sind intern und bestehen, sobald, und dadurch dass, jene Sätze bestehen.
{{ParTLPde|5.131}}           Folgt die Wahrheit eines Satzes aus der Wahrheit anderer, so drückt sich dies durch Beziehungen aus, in welchen die Formen jener Sätze zu einander stehen; und zwar brauchen wir sie nicht erst in jene Beziehungen zu setzen, indem wir sie in einem Satze miteinander verbinden, sondern diese Beziehungen sind intern und bestehen, sobald, und dadurch dass, jene Sätze bestehen.


{{ParTLPde|5.1311 Wenn wir von ''p'' ∨ ''q'' und ∼''p'' auf ''q'' schliessen, so ist hier durch die Bezeichnungsweise die Beziehung der Satzformen von „''p'' ∨ ''q''“ und „∼''p''“ verhüllt. Schreiben wir aber z. B. statt „''p'' ∨ ''q''“ „''p'' ''|'' ''q . | . p | q''“ und statt „∼''p''“ „''p | p''“ (''p | q'' = weder ''p'', noch ''q''), so wird der innere Zusammenhang offenbar.
{{ParTLPde|5.1311}} Wenn wir von ''p'' ∨ ''q'' und ∼''p'' auf ''q'' schliessen, so ist hier durch die Bezeichnungsweise die Beziehung der Satzformen von „''p'' ∨ ''q''“ und „∼''p''“ verhüllt. Schreiben wir aber z. B. statt „''p'' ∨ ''q''“ „''p'' ''|'' ''q . | . p | q''“ und statt „∼''p''“ „''p | p''“ (''p | q'' = weder ''p'', noch ''q''), so wird der innere Zusammenhang offenbar.


(Dass man aus (''x'') ''. fx'' auf ''fa'' schliessen kann, das zeigt, dass die Allgemeinheit auch im Symbol „(''x'') ''. fx''“ vorhanden ist.)
(Dass man aus (''x'') ''. fx'' auf ''fa'' schliessen kann, das zeigt, dass die Allgemeinheit auch im Symbol „(''x'') ''. fx''“ vorhanden ist.)


{{ParTLPde|5.131           Folgt ''p'' aus ''q'', so kann ich von ''q'' auf ''p'' schliessen; ''p'' aus ''q'' folgern.
{{ParTLPde|5.132}}           Folgt ''p'' aus ''q'', so kann ich von ''q'' auf ''p'' schliessen; ''p'' aus ''q'' folgern.


Die Art des Schlusses ist allein aus den beiden Sätzen zu entnehmen.
Die Art des Schlusses ist allein aus den beiden Sätzen zu entnehmen.
Line 1,025: Line 1,023:
„Schlussgesetze“, welche – wie bei Frege und Russell – die Schlüsse rechtfertigen sollen, sind sinnlos, und wären überflüssig.
„Schlussgesetze“, welche – wie bei Frege und Russell – die Schlüsse rechtfertigen sollen, sind sinnlos, und wären überflüssig.


{{ParTLPde|5.132          Alles Folgern geschieht a priori.
{{ParTLPde|5.133}}          Alles Folgern geschieht a priori.


{{ParTLPde|5.133          Aus einem Elementarsatz lässt sich kein anderer folgern.
{{ParTLPde|5.134}}          Aus einem Elementarsatz lässt sich kein anderer folgern.


{{ParTLPde|5.134          Auf keine Weise kann aus dem Bestehen irgend einer Sachlage auf das Bestehen einer, von ihr gänzlich verschiedenen Sachlage geschlossen werden.
{{ParTLPde|5.135}}          Auf keine Weise kann aus dem Bestehen irgend einer Sachlage auf das Bestehen einer, von ihr gänzlich verschiedenen Sachlage geschlossen werden.


{{ParTLPde|5.135          Einen Kausalnexus, der einen solchen Schluss rechtfertigte, gibt es nicht.
{{ParTLPde|5.136}}          Einen Kausalnexus, der einen solchen Schluss rechtfertigte, gibt es nicht.


{{ParTLPde|5.1361 Die Ereignisse der Zukunft kö n n e n wir nicht aus den gegenwärtigen erschliessen.
{{ParTLPde|5.1361}} Die Ereignisse der Zukunft kö n n e n wir nicht aus den gegenwärtigen erschliessen.


Der Glaube an den Kausalnexus ist der A b e r g l a u b e.
Der Glaube an den Kausalnexus ist der A b e r g l a u b e.


{{ParTLPde|5.1362 Die Willensfreiheit besteht darin, dass zukünftige Handlungen jetzt nicht gewusst werden können. Nur dann könnten wir sie wissen, wenn die Kausalität eine i n n e r e Notwendigkeit wäre, wie die des logischen Schlusses. – Der Zusammenhang von Wissen und Gewusstem, ist der der logischen Notwendigkeit.
{{ParTLPde|5.1362}} Die Willensfreiheit besteht darin, dass zukünftige Handlungen jetzt nicht gewusst werden können. Nur dann könnten wir sie wissen, wenn die Kausalität eine i n n e r e Notwendigkeit wäre, wie die des logischen Schlusses. – Der Zusammenhang von Wissen und Gewusstem, ist der der logischen Notwendigkeit.


(„A weiss, dass ''p'' der Fall ist“ ist sinnlos, wenn ''p'' eine Tautologie ist.)
(„A weiss, dass ''p'' der Fall ist“ ist sinnlos, wenn ''p'' eine Tautologie ist.)


{{ParTLPde|5.1363 Wenn daraus, dass ein Satz uns einleuchtet, nicht f o l g t, dass er wahr ist, so ist das Einleuchten auch keine Rechtfertigung für unseren Glauben an seine Wahrheit.
{{ParTLPde|5.1363}} Wenn daraus, dass ein Satz uns einleuchtet, nicht f o l g t, dass er wahr ist, so ist das Einleuchten auch keine Rechtfertigung für unseren Glauben an seine Wahrheit.


{{ParTLPde|5.14               Folgt ein Satz aus einem anderen, so sagt dieser mehr als jener, jener weniger als dieser.
{{ParTLPde|5.14}}               Folgt ein Satz aus einem anderen, so sagt dieser mehr als jener, jener weniger als dieser.


{{ParTLPde|5.141           Folgt ''p'' aus ''q'' und ''q'' aus ''p'', so sind sie ein und derselbe Satz.
{{ParTLPde|5.141}}           Folgt ''p'' aus ''q'' und ''q'' aus ''p'', so sind sie ein und derselbe Satz.


{{ParTLPde|5.142          Die Tautologie folgt aus allen Sätzen: sie sagt Nichts.
{{ParTLPde|5.142}}          Die Tautologie folgt aus allen Sätzen: sie sagt Nichts.


{{ParTLPde|5.143          Die Kontradiktion ist das Gemeinsame der Sätze, was ke i n Satz mit einem anderen gemein hat. Die Tautologie ist das Gemeinsame aller Sätze, welche nichts miteinander gemein haben.
{{ParTLPde|5.143}}          Die Kontradiktion ist das Gemeinsame der Sätze, was ke i n Satz mit einem anderen gemein hat. Die Tautologie ist das Gemeinsame aller Sätze, welche nichts miteinander gemein haben.


Die Kontradiktion verschwindet sozusagen ausserhalb, die Tautologie innerhalb aller Sätze.
Die Kontradiktion verschwindet sozusagen ausserhalb, die Tautologie innerhalb aller Sätze.
Line 1,055: Line 1,053:
Die Kontradiktion ist die äussere Grenze der Sätze, die Tautologie ihr substanzloser Mittelpunkt.
Die Kontradiktion ist die äussere Grenze der Sätze, die Tautologie ihr substanzloser Mittelpunkt.


{{ParTLPde|5.15               Ist ''W<sub>r</sub>'' die Anzahl der Wahrheitsgründe des Satzes „''r''“, ''W<sub>rs</sub>'' die Anzahl derjenigen Wahrheitsgründe des Satzes „''s''“, die zugleich Wahrheitsgründe von „''r''“ sind, dann nennen wir das Verhältnis: ''W<sub>rs</sub>'' : ''W<sub>r</sub>'' das Mass der Wa h r s ch e i n l i ch ke i t, welche der Satz „''r''“ dem Satz „''s''“ gibt.
{{ParTLPde|5.15}}               Ist ''W<sub>r</sub>'' die Anzahl der Wahrheitsgründe des Satzes „''r''“, ''W<sub>rs</sub>'' die Anzahl derjenigen Wahrheitsgründe des Satzes „''s''“, die zugleich Wahrheitsgründe von „''r''“ sind, dann nennen wir das Verhältnis: ''W<sub>rs</sub>'' : ''W<sub>r</sub>'' das Mass der Wa h r s ch e i n l i ch ke i t, welche der Satz „''r''“ dem Satz „''s''“ gibt.


{{ParTLPde|5.151           Sei in einem Schema wie dem obigen in No. [[#5.101|5.101]] ''W<sub>r</sub>'' die Anzahl der „''W'' “ im Satze ''r''; ''W<sub>rs</sub>'' die Anzahl derjenigen „''W'' “ im Satze ''s'', die in gleichen Kolonnen mit „''W'' “ des Satzes ''r'' stehen. Der Satz ''r'' gibt dann dem Satze ''s'' die Wahrscheinlichkeit: ''W<sub>rs</sub>'' : ''W<sub>r</sub>''.
{{ParTLPde|5.151}}           Sei in einem Schema wie dem obigen in No. [[#5.101|5.101]] ''W<sub>r</sub>'' die Anzahl der „''W'' “ im Satze ''r''; ''W<sub>rs</sub>'' die Anzahl derjenigen „''W'' “ im Satze ''s'', die in gleichen Kolonnen mit „''W'' “ des Satzes ''r'' stehen. Der Satz ''r'' gibt dann dem Satze ''s'' die Wahrscheinlichkeit: ''W<sub>rs</sub>'' : ''W<sub>r</sub>''.


{{ParTLPde|5.1511 Es gibt keinen besonderen Gegenstand, der den Wahrscheinlichkeitssätzen eigen wäre.
{{ParTLPde|5.1511}} Es gibt keinen besonderen Gegenstand, der den Wahrscheinlichkeitssätzen eigen wäre.


{{ParTLPde|5.152          Sätze, welche keine Wahrheitsargumente mit einander gemein haben, nennen wir von einander unabhängig.
{{ParTLPde|5.152}}          Sätze, welche keine Wahrheitsargumente mit einander gemein haben, nennen wir von einander unabhängig.


Von einander unabhängige Sätze (z. B. irgend zwei Elementarsätze) geben einander die Wahrscheinlichkeit ½.
Von einander unabhängige Sätze (z. B. irgend zwei Elementarsätze) geben einander die Wahrscheinlichkeit ½.
Line 1,069: Line 1,067:
(Anwendung auf Tautologie und Kontradiktion.)
(Anwendung auf Tautologie und Kontradiktion.)


{{ParTLPde|5.153          Ein Satz ist an sich weder wahrscheinlich noch unwahrscheinlich. Ein Ereignis trifft ein, oder es trifft nicht ein, ein Mittelding gibt es nicht.
{{ParTLPde|5.153}}          Ein Satz ist an sich weder wahrscheinlich noch unwahrscheinlich. Ein Ereignis trifft ein, oder es trifft nicht ein, ein Mittelding gibt es nicht.


{{ParTLPde|5.154          In einer Urne seien gleichviel weisse und schwarze Kugeln (und keine anderen). Ich ziehe eine Kugel nach der anderen und lege sie wieder in die Urne zurück. Dann kann ich durch den Versuch feststellen, dass sich die Zahlen der gezogenen schwarzen und weissen Kugeln bei fortgesetztem Ziehen einander nähern.
{{ParTLPde|5.154}}          In einer Urne seien gleichviel weisse und schwarze Kugeln (und keine anderen). Ich ziehe eine Kugel nach der anderen und lege sie wieder in die Urne zurück. Dann kann ich durch den Versuch feststellen, dass sich die Zahlen der gezogenen schwarzen und weissen Kugeln bei fortgesetztem Ziehen einander nähern.


D a s ist also kein mathematisches Faktum.
D a s ist also kein mathematisches Faktum.
Line 1,079: Line 1,077:
Was ich durch den Versuch bestätige ist, dass das Eintreffen der beiden Ereignisse von den Umständen, die ich nicht näher kenne, unabhängig ist.
Was ich durch den Versuch bestätige ist, dass das Eintreffen der beiden Ereignisse von den Umständen, die ich nicht näher kenne, unabhängig ist.


{{ParTLPde|5.155           Die Einheit des Wahrscheinlichkeitssatzes ist: Die Umstände – die ich sonst nicht weiter kenne – geben dem Eintreffen eines bestimmten Ereignisses den und den Grad der Wahrscheinlichkeit.
{{ParTLPde|5.155}}           Die Einheit des Wahrscheinlichkeitssatzes ist: Die Umstände – die ich sonst nicht weiter kenne – geben dem Eintreffen eines bestimmten Ereignisses den und den Grad der Wahrscheinlichkeit.


{{ParTLPde|5.156          So ist die Wahrscheinlichkeit eine Verallgemeinerung.
{{ParTLPde|5.156}}          So ist die Wahrscheinlichkeit eine Verallgemeinerung.


Sie involviert eine allgemeine Beschreibung einer Satzform. Nur in Ermanglung der Gewissheit gebrauchen wir die Wahrscheinlichkeit. – Wenn wir zwar eine Tatsache  nicht vollkommen kennen, wohl aber e t w a s über ihre Form wissen.
Sie involviert eine allgemeine Beschreibung einer Satzform. Nur in Ermanglung der Gewissheit gebrauchen wir die Wahrscheinlichkeit. – Wenn wir zwar eine Tatsache  nicht vollkommen kennen, wohl aber e t w a s über ihre Form wissen.
Line 1,089: Line 1,087:
Der Wahrscheinlichkeitssatz ist gleichsam ein Auszug aus anderen Sätzen.
Der Wahrscheinlichkeitssatz ist gleichsam ein Auszug aus anderen Sätzen.


{{ParTLPde|5.2 Die Strukturen der Sätze stehen in internen Beziehungen zu einander.
{{ParTLPde|5.2}} Die Strukturen der Sätze stehen in internen Beziehungen zu einander.


{{ParTLPde|5.21               Wir können diese internen Beziehungen dadurch in unserer Ausdrucksweise hervorheben, dass wir einen Satz als Resultat einer Operation darstellen, die ihn aus anderen Sätzen (den Basen der Operation) hervorbringt.
{{ParTLPde|5.21}}               Wir können diese internen Beziehungen dadurch in unserer Ausdrucksweise hervorheben, dass wir einen Satz als Resultat einer Operation darstellen, die ihn aus anderen Sätzen (den Basen der Operation) hervorbringt.


{{ParTLPde|5.22              Die Operation ist der Ausdruck einer Beziehung zwischen den Strukturen ihres Resultats und ihrer Basen.
{{ParTLPde|5.22}}              Die Operation ist der Ausdruck einer Beziehung zwischen den Strukturen ihres Resultats und ihrer Basen.


{{ParTLPde|5.23              Die Operation ist das, was mit dem einen Satz geschehen muss, um aus ihm den anderen zu machen.
{{ParTLPde|5.23}}              Die Operation ist das, was mit dem einen Satz geschehen muss, um aus ihm den anderen zu machen.


{{ParTLPde|5.231           Und das wird natürlich von ihren formalen Eigenschaften, von der internen Ähnlichkeit ihrer Formen abhängen.
{{ParTLPde|5.231}}           Und das wird natürlich von ihren formalen Eigenschaften, von der internen Ähnlichkeit ihrer Formen abhängen.


{{ParTLPde|5.232          Die interne Relation, die eine Reihe ordnet, ist äquivalent mit der Operation, durch welche ein Glied aus dem anderen entsteht.
{{ParTLPde|5.232}}          Die interne Relation, die eine Reihe ordnet, ist äquivalent mit der Operation, durch welche ein Glied aus dem anderen entsteht.


{{ParTLPde|5.233          Die Operation kann erst dort auftreten, wo ein Satz auf logisch bedeutungsvolle Weise aus einem anderen entsteht. Also dort, wo die logische Konstruktion des Satzes anfängt.
{{ParTLPde|5.233}}          Die Operation kann erst dort auftreten, wo ein Satz auf logisch bedeutungsvolle Weise aus einem anderen entsteht. Also dort, wo die logische Konstruktion des Satzes anfängt.


{{ParTLPde|5.234          Die Wahrheitsfunktionen der Elementarsätze sind Resultate von Operationen, die die Elementarsätze als Basen haben. (Ich nenne diese Operationen Wahrheitsoperationen.)
{{ParTLPde|5.234}}          Die Wahrheitsfunktionen der Elementarsätze sind Resultate von Operationen, die die Elementarsätze als Basen haben. (Ich nenne diese Operationen Wahrheitsoperationen.)


{{ParTLPde|5.2341 Der Sinn einer Wahrheitsfunktion von ''p'' ist eine Funktion des Sinnes von ''p''.
{{ParTLPde|5.2341}} Der Sinn einer Wahrheitsfunktion von ''p'' ist eine Funktion des Sinnes von ''p''.


Verneinung, logische Addition, logische Multiplikation, etc., etc. sind Operationen.
Verneinung, logische Addition, logische Multiplikation, etc., etc. sind Operationen.
Line 1,111: Line 1,109:
(Die Verneinung verkehrt den Sinn des Satzes.)
(Die Verneinung verkehrt den Sinn des Satzes.)


{{ParTLPde|5.24 Die Operation zeigt sich in einer Variablen; sie zeigt, wie man von einer Form von Sätzen zu einer anderen gelangen kann.
{{ParTLPde|5.24}} Die Operation zeigt sich in einer Variablen; sie zeigt, wie man von einer Form von Sätzen zu einer anderen gelangen kann.


Sie bringt den Unterschied der Formen zum Ausdruck. (Und das Gemeinsame zwischen den Basen und dem Resultat der Operation sind eben die Basen.)
Sie bringt den Unterschied der Formen zum Ausdruck. (Und das Gemeinsame zwischen den Basen und dem Resultat der Operation sind eben die Basen.)


{{ParTLPde|5.241           Die Operation kennzeichnet keine Form, sondern nur den Unterschied der Formen.
{{ParTLPde|5.241}}           Die Operation kennzeichnet keine Form, sondern nur den Unterschied der Formen.


{{ParTLPde|5.242          Dieselbe Operation, die „''q''“ aus „''p''“ macht, macht aus „''q''“ „''r''“ u. s. f. Dies kann nur darin ausgedrückt sein, dass „''p''“, „''q''“, „''r''“, etc. Variable sind, die gewisse formale Relationen allgemein zum Ausdruck bringen.
{{ParTLPde|5.242}}          Dieselbe Operation, die „''q''“ aus „''p''“ macht, macht aus „''q''“ „''r''“ u. s. f. Dies kann nur darin ausgedrückt sein, dass „''p''“, „''q''“, „''r''“, etc. Variable sind, die gewisse formale Relationen allgemein zum Ausdruck bringen.


{{ParTLPde|5.25 Das Vorkommen der Operation charakterisiert den Sinn des Satzes nicht.
{{ParTLPde|5.25}} Das Vorkommen der Operation charakterisiert den Sinn des Satzes nicht.


Die Operation sagt ja nichts aus, nur ihr Resultat, und dies hängt von den Basen der Operation ab.
Die Operation sagt ja nichts aus, nur ihr Resultat, und dies hängt von den Basen der Operation ab.
Line 1,125: Line 1,123:
(Operation und Funktion dürfen nicht miteinander verwechselt werden.)
(Operation und Funktion dürfen nicht miteinander verwechselt werden.)


{{ParTLPde|5.251           Eine Funktion kann nicht ihr eigenes Argument sein, wohl aber kann das Resultat einer Operation ihre eigene Basis werden.
{{ParTLPde|5.251}}           Eine Funktion kann nicht ihr eigenes Argument sein, wohl aber kann das Resultat einer Operation ihre eigene Basis werden.


{{ParTLPde|5.252          Nur so ist das Fortschreiten von Glied zu Glied in einer Formenreihe (von Type zu Type in den Hierarchien Russells und Whiteheads) möglich. (Russell und Whitehead haben die Möglichkeit dieses Fortschreitens nicht zugegeben, aber immer wieder von ihr Gebrauch gemacht.)
{{ParTLPde|5.252}}          Nur so ist das Fortschreiten von Glied zu Glied in einer Formenreihe (von Type zu Type in den Hierarchien Russells und Whiteheads) möglich. (Russell und Whitehead haben die Möglichkeit dieses Fortschreitens nicht zugegeben, aber immer wieder von ihr Gebrauch gemacht.)


{{ParTLPde|5.2521 Die fortgesetzte Anwendung einer Operation auf ihr eigenes Resultat nenne ich ihre successive Anwendung („''O'O'O'a''“  ist das Resultat der dreimaligen successiven Anwendung von „''O'ξ''“  auf „''a''“).
{{ParTLPde|5.2521}} Die fortgesetzte Anwendung einer Operation auf ihr eigenes Resultat nenne ich ihre successive Anwendung („''O'O'O'a''“  ist das Resultat der dreimaligen successiven Anwendung von „''O'ξ''“  auf „''a''“).


In einem ähnlichen Sinne rede ich von der successiven Anwendung m e h r e r e r Operationen auf eine Anzahl von Sätzen.
In einem ähnlichen Sinne rede ich von der successiven Anwendung m e h r e r e r Operationen auf eine Anzahl von Sätzen.


{{ParTLPde|5.2522    Das  allgemeine Glied  einer Formenreihe  ''a'',  ''O'a'',  ''O'O'a'',  ''. . . .'' schreibe ich daher so: „[''a, x, O'x'']“. Dieser Klammerausdruck ist eine Variable. Das erste Glied des Klammerausdruckes ist der Anfang der Formenreihe, das zweite die Form eines beliebigen Gliedes ''x'' der Reihe und das dritte die Form desjenigen Gliedes der Reihe, welches auf ''x'' unmittelbar folgt.
{{ParTLPde|5.2522}}    Das  allgemeine Glied  einer Formenreihe  ''a'',  ''O'a'',  ''O'O'a'',  ''. . . .'' schreibe ich daher so: „[''a, x, O'x'']“. Dieser Klammerausdruck ist eine Variable. Das erste Glied des Klammerausdruckes ist der Anfang der Formenreihe, das zweite die Form eines beliebigen Gliedes ''x'' der Reihe und das dritte die Form desjenigen Gliedes der Reihe, welches auf ''x'' unmittelbar folgt.


{{ParTLPde|5.2523   Der Begriff der successiven Anwendung der Operation ist äquivalent mit dem Begriff „und so weiter“.
{{ParTLPde|5.2523}}   Der Begriff der successiven Anwendung der Operation ist äquivalent mit dem Begriff „und so weiter“.


{{ParTLPde|5.253           Eine Operation kann die Wirkung einer anderen rückgängig machen. Operationen können einander aufheben.
{{ParTLPde|5.253}}           Eine Operation kann die Wirkung einer anderen rückgängig machen. Operationen können einander aufheben.


{{ParTLPde|5.254          Die Operation kann verschwinden (z. B. die Verneinung in „∼∼''p''“, ∼∼''p'' = ''p'').
{{ParTLPde|5.254}}          Die Operation kann verschwinden (z. B. die Verneinung in „∼∼''p''“, ∼∼''p'' = ''p'').


{{ParTLPde|5.3          Alle Sätze sind Resultate von Wahrheitsoperationen mit den Elementarsätzen.
{{ParTLPde|5.3}}          Alle Sätze sind Resultate von Wahrheitsoperationen mit den Elementarsätzen.


Die Wahrheitsoperation ist die Art und Weise, wie aus den Elementarsätzen die Wahrheitsfunktion entsteht.
Die Wahrheitsoperation ist die Art und Weise, wie aus den Elementarsätzen die Wahrheitsfunktion entsteht.
Line 1,149: Line 1,147:
Jeder Satz ist das Resultat von Wahrheitsoperationen mit Elementarsätzen.
Jeder Satz ist das Resultat von Wahrheitsoperationen mit Elementarsätzen.


{{ParTLPde|5.31               Die Schemata No. [[#4.31|4.31]] haben auch dann eine Bedeutung, wenn „''p''“, „''q''“, „''r''“, etc. nicht Elementarsätze sind.
{{ParTLPde|5.31}}               Die Schemata No. [[#4.31|4.31]] haben auch dann eine Bedeutung, wenn „''p''“, „''q''“, „''r''“, etc. nicht Elementarsätze sind.


Und es ist leicht zu sehen, dass das Satzzeichen in No. [[#4.442|4.442]], auch wenn „''p''“ und „''q''“ Wahrheitsfunktionen von Elementarsätzen sind, Eine Wahrheitsfunktion von Elementarsätzen ausdrückt.
Und es ist leicht zu sehen, dass das Satzzeichen in No. [[#4.442|4.442]], auch wenn „''p''“ und „''q''“ Wahrheitsfunktionen von Elementarsätzen sind, Eine Wahrheitsfunktion von Elementarsätzen ausdrückt.


{{ParTLPde|5.32              Alle Wahrheitsfunktionen sind Resultate der successiven Anwendung einer endlichen Anzahl von Wahrheitsoperationen auf die Elementarsätze.
{{ParTLPde|5.32}}              Alle Wahrheitsfunktionen sind Resultate der successiven Anwendung einer endlichen Anzahl von Wahrheitsoperationen auf die Elementarsätze.


{{ParTLPde|5.4 Hier zeigt es sich, dass es „logische Gegenstände“, „logische Konstante“ (im Sinne Freges und Russells) nicht gibt.
{{ParTLPde|5.4}} Hier zeigt es sich, dass es „logische Gegenstände“, „logische Konstante“ (im Sinne Freges und Russells) nicht gibt.


{{ParTLPde|5.41               Denn: Alle Resultate von Wahrheitsoperationen mit Wahrheitsfunktionen sind identisch, welche eine und dieselbe Wahrheitsfunktion von Elementarsätzen sind.
{{ParTLPde|5.41}}               Denn: Alle Resultate von Wahrheitsoperationen mit Wahrheitsfunktionen sind identisch, welche eine und dieselbe Wahrheitsfunktion von Elementarsätzen sind.


{{ParTLPde|5.42           Dass ∨, ⊃, etc. nicht Beziehungen im Sinne von  rechts und  links etc. sind, leuchtet ein.
{{ParTLPde|5.42}}           Dass ∨, ⊃, etc. nicht Beziehungen im Sinne von  rechts und  links etc. sind, leuchtet ein.


Die Möglichkeit des kreuzweisen Definierens der logischen
Die Möglichkeit des kreuzweisen Definierens der logischen
Line 1,167: Line 1,165:
Und es ist offenbar, dass das „⊃“, welches wir durch „∼“ und „∨“ definieren, identisch ist mit dem, durch welches wir „∨ “ mit „∼“ definieren und dass dieses „∨“ mit dem ersten identisch ist. U. s. w.
Und es ist offenbar, dass das „⊃“, welches wir durch „∼“ und „∨“ definieren, identisch ist mit dem, durch welches wir „∨ “ mit „∼“ definieren und dass dieses „∨“ mit dem ersten identisch ist. U. s. w.


{{ParTLPde|5.43              Dass aus einer Tatsache ''p'' unendlich viele a n d e r e folgen sollten, nämlich ∼∼''p'', ∼∼∼∼''p'', etc., ist doch von vornherein kaum zu glauben. Und nicht weniger merkwürdig ist, dass die unendliche Anzahl der Sätze der Logik (der Mathematik) aus einem halben Dutzend „Grundgesetzen“ folgen.
{{ParTLPde|5.43}}              Dass aus einer Tatsache ''p'' unendlich viele a n d e r e folgen sollten, nämlich ∼∼''p'', ∼∼∼∼''p'', etc., ist doch von vornherein kaum zu glauben. Und nicht weniger merkwürdig ist, dass die unendliche Anzahl der Sätze der Logik (der Mathematik) aus einem halben Dutzend „Grundgesetzen“ folgen.


Alle Sätze der Logik sagen aber dasselbe. Nämlich Nichts.
Alle Sätze der Logik sagen aber dasselbe. Nämlich Nichts.


{{ParTLPde|5.44              Die Wahrheitsfunktionen sind keine materiellen Funktionen.
{{ParTLPde|5.44}}              Die Wahrheitsfunktionen sind keine materiellen Funktionen.


Wenn man z. B. eine Bejahung durch doppelte Verneinung erzeugen kann, ist dann die Verneinung – in irgend einem Sinn – in der Bejahung enthalten? Verneint „∼∼''p''“ ∼''p'', oder bejaht es ''p''; oder beides?
Wenn man z. B. eine Bejahung durch doppelte Verneinung erzeugen kann, ist dann die Verneinung – in irgend einem Sinn – in der Bejahung enthalten? Verneint „∼∼''p''“ ∼''p'', oder bejaht es ''p''; oder beides?
Line 1,179: Line 1,177:
Und gäbe es einen Gegenstand, der „∼“ hiesse, so müsste „∼∼''p''“ etwas anderes sagen als „''p''“. Denn der eine Satz würde dann eben von ∼ handeln, der andere nicht.
Und gäbe es einen Gegenstand, der „∼“ hiesse, so müsste „∼∼''p''“ etwas anderes sagen als „''p''“. Denn der eine Satz würde dann eben von ∼ handeln, der andere nicht.


{{ParTLPde|5.441 Dieses Verschwinden der scheinbaren logischen Konstanten tritt auch ein, wenn „∼(∃''x'') ''.'' ∼''fx''“ dasselbe sagt wie „(''x'') ''. fx''“, oder „(∃''x'') ''. fx . x'' = ''a''“ dasselbe wie „''fa''“.
{{ParTLPde|5.441}} Dieses Verschwinden der scheinbaren logischen Konstanten tritt auch ein, wenn „∼(∃''x'') ''.'' ∼''fx''“ dasselbe sagt wie „(''x'') ''. fx''“, oder „(∃''x'') ''. fx . x'' = ''a''“ dasselbe wie „''fa''“.


{{ParTLPde|5.442 Wenn uns ein Satz gegeben ist, so sind m i t i h m auch schon die Resultate aller Wahrheitsoperationen, die ihn zur Basis haben, gegeben.
{{ParTLPde|5.442}} Wenn uns ein Satz gegeben ist, so sind m i t i h m auch schon die Resultate aller Wahrheitsoperationen, die ihn zur Basis haben, gegeben.


{{ParTLPde|5.45 Gibt es logische Urzeichen, so muss eine richtige Logik ihre Stellung zueinander klar machen und ihr Dasein rechtfertigen. Der Bau der Logik a u s ihren Urzeichen muss klar werden.
{{ParTLPde|5.45}} Gibt es logische Urzeichen, so muss eine richtige Logik ihre Stellung zueinander klar machen und ihr Dasein rechtfertigen. Der Bau der Logik a u s ihren Urzeichen muss klar werden.


{{ParTLPde|5.451 Hat die Logik Grundbegriffe, so müssen sie von einander unabhängig sein. Ist ein Grundbegriff eingeführt, so muss er in allen Verbindungen eingeführt sein, worin er überhaupt vorkommt. Man kann ihn also nicht zuerst für e i n e Verbindung, dann noch einmal für eine andere einführen. Z. B.: Ist die Verneinung eingeführt, so müssen wir sie jetzt in Sätzen von  der Form  „∼''p''“  ebenso verstehen, wie in Sätzen wie  „∼(''p'' ∨ ''q'')“, „(∃''x'') ''.'' ∼''fx''“ u. a. Wir dürfen sie nicht erst für die eine Klasse von Fällen, dann für die andere einführen, denn es bliebe dann zweifelhaft, ob ihre Bedeutung in beiden Fällen die gleiche wäre und es wäre kein Grund vorhanden, in beiden Fällen dieselbe Art der Zeichenverbindung zu benützen.
{{ParTLPde|5.451}} Hat die Logik Grundbegriffe, so müssen sie von einander unabhängig sein. Ist ein Grundbegriff eingeführt, so muss er in allen Verbindungen eingeführt sein, worin er überhaupt vorkommt. Man kann ihn also nicht zuerst für e i n e Verbindung, dann noch einmal für eine andere einführen. Z. B.: Ist die Verneinung eingeführt, so müssen wir sie jetzt in Sätzen von  der Form  „∼''p''“  ebenso verstehen, wie in Sätzen wie  „∼(''p'' ∨ ''q'')“, „(∃''x'') ''.'' ∼''fx''“ u. a. Wir dürfen sie nicht erst für die eine Klasse von Fällen, dann für die andere einführen, denn es bliebe dann zweifelhaft, ob ihre Bedeutung in beiden Fällen die gleiche wäre und es wäre kein Grund vorhanden, in beiden Fällen dieselbe Art der Zeichenverbindung zu benützen.


(Kurz, für die Einführung der Urzeichen gilt, mutatis mutandis, dasselbe, was Frege („Grundgesetze der Arithmetik“) für die Einführung von Zeichen durch Definitionen gesagt hat.)
(Kurz, für die Einführung der Urzeichen gilt, mutatis mutandis, dasselbe, was Frege („Grundgesetze der Arithmetik“) für die Einführung von Zeichen durch Definitionen gesagt hat.)


{{ParTLPde|5.452 Die Einführung eines neuen Behelfes in den Symbolismus der Logik muss immer ein folgenschweres Ereignis sein. Kein neuer Behelf darf in die Logik – sozusagen, mit ganz unschuldiger Miene – in Klammern oder unter dem Striche eingeführt werden.
{{ParTLPde|5.452}} Die Einführung eines neuen Behelfes in den Symbolismus der Logik muss immer ein folgenschweres Ereignis sein. Kein neuer Behelf darf in die Logik – sozusagen, mit ganz unschuldiger Miene – in Klammern oder unter dem Striche eingeführt werden.


(So kommen in den „Principia Mathematica“ von Russell und Whitehead Definitionen und Grundgesetze in Worten vor. Warum hier plötzlich Worte? Dies bedürfte einer Rechtfertigung. Sie fehlt und muss fehlen, da das Vorgehen tatsächlich unerlaubt ist.)
(So kommen in den „Principia Mathematica“ von Russell und Whitehead Definitionen und Grundgesetze in Worten vor. Warum hier plötzlich Worte? Dies bedürfte einer Rechtfertigung. Sie fehlt und muss fehlen, da das Vorgehen tatsächlich unerlaubt ist.)
Line 1,195: Line 1,193:
Hat sich aber die Einführung eines neuen Behelfes an einer Stelle als nötig erwiesen, so muss man sich nun sofort fragen: Wo muss dieser Behelf nun i m m e r angewandt werden? Seine Stellung in der Logik muss nun erklärt werden.
Hat sich aber die Einführung eines neuen Behelfes an einer Stelle als nötig erwiesen, so muss man sich nun sofort fragen: Wo muss dieser Behelf nun i m m e r angewandt werden? Seine Stellung in der Logik muss nun erklärt werden.


{{ParTLPde|5.453 Alle Zahlen der Logik müssen sich rechtfertigen lassen.
{{ParTLPde|5.453}} Alle Zahlen der Logik müssen sich rechtfertigen lassen.


Oder vielmehr: Es muss sich herausstellen, dass es in der Logik keine Zahlen gibt.
Oder vielmehr: Es muss sich herausstellen, dass es in der Logik keine Zahlen gibt.
Line 1,201: Line 1,199:
Es gibt keine ausgezeichneten Zahlen.
Es gibt keine ausgezeichneten Zahlen.


{{ParTLPde|5.454 In der Logik gibt es kein Nebeneinander, kann es keine Klassifikation geben.
{{ParTLPde|5.454}} In der Logik gibt es kein Nebeneinander, kann es keine Klassifikation geben.


In der Logik kann es nicht Allgemeineres und Spezielleres geben.
In der Logik kann es nicht Allgemeineres und Spezielleres geben.


{{ParTLPde|5.4541 Die Lösungen der logischen Probleme müssen einfach sein, denn sie setzen den Standard der Einfachheit.
{{ParTLPde|5.4541}} Die Lösungen der logischen Probleme müssen einfach sein, denn sie setzen den Standard der Einfachheit.


Die Menschen haben immer geahnt, dass es ein Gebiet von Fragen geben müsse, deren Antworten – a priori – symmetrisch, und zu einem abgeschlossenen, regelmässigen Gebilde vereintliegen.
Die Menschen haben immer geahnt, dass es ein Gebiet von Fragen geben müsse, deren Antworten – a priori – symmetrisch, und zu einem abgeschlossenen, regelmässigen Gebilde vereintliegen.
Line 1,211: Line 1,209:
Ein Gebiet, in dem der Satz gilt: simplex sigillum veri.
Ein Gebiet, in dem der Satz gilt: simplex sigillum veri.


{{ParTLPde|5.46 Wenn  man die logischen Zeichen richtig  einführte, so hätte  man damit auch schon den Sinn aller ihrer Kombinationen eingeführt; also nicht nur „''p'' ∨ ''q''“ sondern auch schon „∼(''p'' ∨ ∼''q'')“ etc. etc. Man hätte damit auch schon die Wirkung aller nur möglichen Kombinationen von Klammern eingeführt. Und damit wäre es klar geworden, dass die eigentlichen allgemeinen Urzeichen nicht die „''p'' ∨ ''q''“, „(∃''x'') ''. fx''“, etc. sind, sondern die allgemeinste Form ihrer Kombinationen.
{{ParTLPde|5.46}} Wenn  man die logischen Zeichen richtig  einführte, so hätte  man damit auch schon den Sinn aller ihrer Kombinationen eingeführt; also nicht nur „''p'' ∨ ''q''“ sondern auch schon „∼(''p'' ∨ ∼''q'')“ etc. etc. Man hätte damit auch schon die Wirkung aller nur möglichen Kombinationen von Klammern eingeführt. Und damit wäre es klar geworden, dass die eigentlichen allgemeinen Urzeichen nicht die „''p'' ∨ ''q''“, „(∃''x'') ''. fx''“, etc. sind, sondern die allgemeinste Form ihrer Kombinationen.


{{ParTLPde|5.461 Bedeutungsvoll ist die scheinbar unwichtige Tatsache, dass die logischen Scheinbeziehungen, wie ∨ und ⊃, der Klammern bedürfen – im Gegensatz zu den wirklichen Beziehungen.
{{ParTLPde|5.461}} Bedeutungsvoll ist die scheinbar unwichtige Tatsache, dass die logischen Scheinbeziehungen, wie ∨ und ⊃, der Klammern bedürfen – im Gegensatz zu den wirklichen Beziehungen.


Die Benützung der Klammern mit jenen scheinbaren Urzeichen deutet ja schon darauf hin, dass diese nicht die wirklichen Urzeichen sind. Und es wird doch wohl niemand glauben, dass die Klammern eine selbständige Bedeutung haben.
Die Benützung der Klammern mit jenen scheinbaren Urzeichen deutet ja schon darauf hin, dass diese nicht die wirklichen Urzeichen sind. Und es wird doch wohl niemand glauben, dass die Klammern eine selbständige Bedeutung haben.


{{ParTLPde|5.4611 Die logischen Operationszeichen sind Interpunktionen.
{{ParTLPde|5.4611}} Die logischen Operationszeichen sind Interpunktionen.


{{ParTLPde|5.47 Es ist klar, dass alles was sich überhaupt vo n vo r n h e r e i n über die Form aller Sätze sagen lässt, sich a u f e i n m a l sagen lassen muss.
{{ParTLPde|5.47}} Es ist klar, dass alles was sich überhaupt vo n vo r n h e r e i n über die Form aller Sätze sagen lässt, sich a u f e i n m a l sagen lassen muss.


Sind ja schon im Elementarsatze alle logischen Operationen enthalten. Denn „''fa''“ sagt dasselbe wie „(∃''x'') ''. fx . x'' = ''a''“.
Sind ja schon im Elementarsatze alle logischen Operationen enthalten. Denn „''fa''“ sagt dasselbe wie „(∃''x'') ''. fx . x'' = ''a''“.
Line 1,229: Line 1,227:
Das aber ist die allgemeine Satzform.
Das aber ist die allgemeine Satzform.


{{ParTLPde|5.471 Die allgemeine Satzform ist das Wesen des Satzes.
{{ParTLPde|5.471}} Die allgemeine Satzform ist das Wesen des Satzes.


{{ParTLPde|5.4711 Das Wesen des Satzes angeben, heisst, das Wesen aller  Beschreibung angeben, also das Wesen der Welt.
{{ParTLPde|5.4711}} Das Wesen des Satzes angeben, heisst, das Wesen aller  Beschreibung angeben, also das Wesen der Welt.


{{ParTLPde|5.472 Die Beschreibung der allgemeinsten Satzform ist  die Beschreibung des einen und einzigen allgemeinen Urzeichens  der Logik.
{{ParTLPde|5.472}} Die Beschreibung der allgemeinsten Satzform ist  die Beschreibung des einen und einzigen allgemeinen Urzeichens  der Logik.


{{ParTLPde|5.473 Die Logik muss für sich selber sorgen.
{{ParTLPde|5.473}} Die Logik muss für sich selber sorgen.


Ein m ö g l i ch e s Zeichen muss auch bezeichnen können. Alles was in der Logik möglich ist, ist auch erlaubt. („Sokrates ist identisch“ heisst darum nichts, weil es keine Eigenschaft gibt, die „identisch“ heisst. Der Satz ist unsinnig, weil wir eine willkürliche Bestimmung nicht getroffen haben, aber nicht darum, weil das Symbol an und für sich unerlaubt wäre.)
Ein m ö g l i ch e s Zeichen muss auch bezeichnen können. Alles was in der Logik möglich ist, ist auch erlaubt. („Sokrates ist identisch“ heisst darum nichts, weil es keine Eigenschaft gibt, die „identisch“ heisst. Der Satz ist unsinnig, weil wir eine willkürliche Bestimmung nicht getroffen haben, aber nicht darum, weil das Symbol an und für sich unerlaubt wäre.)
Line 1,241: Line 1,239:
Wir können uns, in gewissem Sinne, nicht in der Logik irren.
Wir können uns, in gewissem Sinne, nicht in der Logik irren.


{{ParTLPde|5.4731 Das Einleuchten, von dem Russell so viel sprach, kann nur dadurch in der Logik entbehrlich werden, dass die Sprache selbst jeden logischen Fehler verhindert. – Dass die Logik a priori ist, besteht darin, dass nicht unlogisch gedacht werden ka n n.
{{ParTLPde|5.4731}} Das Einleuchten, von dem Russell so viel sprach, kann nur dadurch in der Logik entbehrlich werden, dass die Sprache selbst jeden logischen Fehler verhindert. – Dass die Logik a priori ist, besteht darin, dass nicht unlogisch gedacht werden ka n n.


{{ParTLPde|5.4732 Wir können einem Zeichen nicht den unrechten Sinn geben.
{{ParTLPde|5.4732}} Wir können einem Zeichen nicht den unrechten Sinn geben.


{{ParTLPde|5.47321 Occams Devise ist natürlich keine willkürliche, oder durch ihren praktischen Erfolg gerechtfertigte, Regel: Sie besagt, dass u n n ö t i g e Zeicheneinheiten nichts bedeuten.
{{ParTLPde|5.47321}} Occams Devise ist natürlich keine willkürliche, oder durch ihren praktischen Erfolg gerechtfertigte, Regel: Sie besagt, dass u n n ö t i g e Zeicheneinheiten nichts bedeuten.


Zeichen, die E i n e n Zweck erfüllen, sind logisch äquivalent, Zeichen, die ke i n e n Zweck erfüllen, logisch bedeutungslos.
Zeichen, die E i n e n Zweck erfüllen, sind logisch äquivalent, Zeichen, die ke i n e n Zweck erfüllen, logisch bedeutungslos.


{{ParTLPde|5.4733 Frege sagt: Jeder rechtmässig gebildete Satz muss einen Sinn haben; und ich sage: Jeder mögliche Satz ist rechtmässig gebildet, und wenn er keinen Sinn hat, so kann das nur daran liegen, dass wir einigen seiner Bestandteile keine B e d e u t u n g gegeben haben.
{{ParTLPde|5.4733}} Frege sagt: Jeder rechtmässig gebildete Satz muss einen Sinn haben; und ich sage: Jeder mögliche Satz ist rechtmässig gebildet, und wenn er keinen Sinn hat, so kann das nur daran liegen, dass wir einigen seiner Bestandteile keine B e d e u t u n g gegeben haben.


(Wenn wir auch glauben, es getan zu haben.)  
(Wenn wir auch glauben, es getan zu haben.)  
Line 1,255: Line 1,253:
So sagt „Sokrates ist identisch“ darum nichts, weil wir dem Wort „identisch“ als E i g e n s ch a f t s wo r t ke i n e Bedeutung gegeben haben. Denn, wenn es als Gleichheitszeichen auftritt, so symbolisiert es auf ganz andere Art und Weise – die bezeichnende Beziehung ist eine andere, – also ist auch das Symbol in beiden Fällen ganz verschieden; die beiden Symbole haben nur das Zeichen zufällig miteinander gemein.
So sagt „Sokrates ist identisch“ darum nichts, weil wir dem Wort „identisch“ als E i g e n s ch a f t s wo r t ke i n e Bedeutung gegeben haben. Denn, wenn es als Gleichheitszeichen auftritt, so symbolisiert es auf ganz andere Art und Weise – die bezeichnende Beziehung ist eine andere, – also ist auch das Symbol in beiden Fällen ganz verschieden; die beiden Symbole haben nur das Zeichen zufällig miteinander gemein.


{{ParTLPde|5.474 Die Anzahl der nötigen Grundoperationen hängt nu r von unserer Notation ab.
{{ParTLPde|5.474}} Die Anzahl der nötigen Grundoperationen hängt nu r von unserer Notation ab.


{{ParTLPde|5.475 Es kommt nur darauf an, ein Zeichensystem von einer bestimmten Anzahl von Dimensionen – von einer bestimmten mathematischen Mannigfaltigkeit – zu bilden.
{{ParTLPde|5.475}} Es kommt nur darauf an, ein Zeichensystem von einer bestimmten Anzahl von Dimensionen – von einer bestimmten mathematischen Mannigfaltigkeit – zu bilden.


{{ParTLPde|5.476   Es ist klar, dass es sich hier nicht  um eine  A n z a h l   vo n    G r u n d b e g r i f f e n handelt, die bezeichnet werden müssen, sondern um den Ausdruck einer Regel.
{{ParTLPde|5.476}}   Es ist klar, dass es sich hier nicht  um eine  A n z a h l   vo n    G r u n d b e g r i f f e n handelt, die bezeichnet werden müssen, sondern um den Ausdruck einer Regel.


{{ParTLPde|5.5 Jede Wahrheitsfunktion ist ein Resultat der successiven Anwendung der Operation (– – – – –W)(''ξ, . . . .'') auf Elementarsätze.
{{ParTLPde|5.5}} Jede Wahrheitsfunktion ist ein Resultat der successiven Anwendung der Operation (– – – – –W)(''ξ, . . . .'') auf Elementarsätze.


Diese Operation verneint sämtliche Sätze in der rechten Klammer und ich nenne sie die Negation dieser Sätze.
Diese Operation verneint sämtliche Sätze in der rechten Klammer und ich nenne sie die Negation dieser Sätze.


{{ParTLPde|5.501 Einen Klammerausdruck, dessen Glieder Sätze sind, deute ich – wenn die Reihenfolge der Glieder in der Klammer gleichgültig ist – durch ein Zeichen von der Form „(''ξ'')“ an. „''ξ''“ ist eine Variable, deren Werte die Glieder des Klammerausdruckes sind; und der Strich über der Variablen deutet an, dass sie ihre sämtlichen Werte in der Klammer vertritt.
{{ParTLPde|5.501}} Einen Klammerausdruck, dessen Glieder Sätze sind, deute ich – wenn die Reihenfolge der Glieder in der Klammer gleichgültig ist – durch ein Zeichen von der Form „(''ξ'')“ an. „''ξ''“ ist eine Variable, deren Werte die Glieder des Klammerausdruckes sind; und der Strich über der Variablen deutet an, dass sie ihre sämtlichen Werte in der Klammer vertritt.


(Hat also <math>\xi</math> etwa die 3 Werte P, Q, R, so ist (''<math>\bar{\xi}</math>) = (P,  Q,  R).)
(Hat also <math>\xi</math> etwa die 3 Werte P, Q, R, so ist (''<math>\bar{\xi}</math>) = (P,  Q,  R).)
Line 1,277: Line 1,275:
Wir kö n n e n drei Arten der Beschreibung unterscheiden: 1. Die direkte Aufzählung. In diesem Fall können wir statt der Variablen einfach ihre konstanten Werte setzen. 2. Die Angabe einer Funktion ''fx'', deren Werte für alle Werte von ''x'' die zu beschreibenden Sätze sind. 3. Die Angabe eines formalen Gesetzes, nach welchem jene Sätze gebildet sind. In diesem Falle sind die Glieder des Klammerausdrucks sämtliche Glieder einer Formenreihe.
Wir kö n n e n drei Arten der Beschreibung unterscheiden: 1. Die direkte Aufzählung. In diesem Fall können wir statt der Variablen einfach ihre konstanten Werte setzen. 2. Die Angabe einer Funktion ''fx'', deren Werte für alle Werte von ''x'' die zu beschreibenden Sätze sind. 3. Die Angabe eines formalen Gesetzes, nach welchem jene Sätze gebildet sind. In diesem Falle sind die Glieder des Klammerausdrucks sämtliche Glieder einer Formenreihe.


{{ParTLPde|5.502 Ich schreibe also statt „(– – – – –W)(''ξ, . . . .'')“ „''N'' (<math>\bar{\xi}</math>)“.
{{ParTLPde|5.502}} Ich schreibe also statt „(– – – – –W)(''ξ, . . . .'')“ „''N'' (<math>\bar{\xi}</math>)“.


„''N'' (<math>\bar{\xi}</math>)“ ist die Negation sämtlicher Werte der Satzvariablen <math>\xi</math>.
„''N'' (<math>\bar{\xi}</math>)“ ist die Negation sämtlicher Werte der Satzvariablen <math>\xi</math>.


{{ParTLPde|5.503 Da sich offenbar leicht ausdrücken lässt, wie mit dieser Operation Sätze gebildet werden können und wie Sätze mit ihr nicht zu bilden sind, so muss dies auch einen exakten Ausdruck finden können.
{{ParTLPde|5.503}} Da sich offenbar leicht ausdrücken lässt, wie mit dieser Operation Sätze gebildet werden können und wie Sätze mit ihr nicht zu bilden sind, so muss dies auch einen exakten Ausdruck finden können.


{{ParTLPde|5.51 Hat <math>\xi</math> nur einen Wert, so ist ''N'' (<math>\bar{\xi}</math>) = ∼''p'' (nicht ''p''), hat es zwei Werte, so ist ''N'' (<math>\bar{\xi}</math>) = ∼''p .'' ∼''q'' (weder ''p'' noch ''q'').
{{ParTLPde|5.51}} Hat <math>\xi</math> nur einen Wert, so ist ''N'' (<math>\bar{\xi}</math>) = ∼''p'' (nicht ''p''), hat es zwei Werte, so ist ''N'' (<math>\bar{\xi}</math>) = ∼''p .'' ∼''q'' (weder ''p'' noch ''q'').


{{ParTLPde|5.511 Wie kann die allumfassende, weltspiegelnde Logik so spezielle Haken und Manipulationen gebrauchen? Nur, indem sich alle diese zu einem unendlich feinen Netzwerk, zu dem grossen Spiegel, verknüpfen.
{{ParTLPde|5.511}} Wie kann die allumfassende, weltspiegelnde Logik so spezielle Haken und Manipulationen gebrauchen? Nur, indem sich alle diese zu einem unendlich feinen Netzwerk, zu dem grossen Spiegel, verknüpfen.


{{ParTLPde|5.512 „∼''p''“ ist wahr, wenn „''p''“ falsch ist. Also in dem wahren Satz „∼''p''“ ist „''p''“ ein falscher Satz. Wie kann ihn nun der Strich „∼“ mit der Wirklichkeit zum Stimmen bringen?
{{ParTLPde|5.512}} „∼''p''“ ist wahr, wenn „''p''“ falsch ist. Also in dem wahren Satz „∼''p''“ ist „''p''“ ein falscher Satz. Wie kann ihn nun der Strich „∼“ mit der Wirklichkeit zum Stimmen bringen?


Das, was in „∼''p''“ verneint, ist aber nicht das „∼“, sondern dasjenige, was allen Zeichen dieser Notation, welche ''p'' verneinen, gemeinsam ist.
Das, was in „∼''p''“ verneint, ist aber nicht das „∼“, sondern dasjenige, was allen Zeichen dieser Notation, welche ''p'' verneinen, gemeinsam ist.
Line 1,293: Line 1,291:
Also die gemeinsame Regel, nach welcher „∼''p''“, „∼∼∼''p''“, „∼''p'' ∨ ∼''p''“, „∼''p .'' ∼''p''“, etc. etc. (ad inf.) gebildet werden. Und dies Gemeinsame spiegelt die Verneinung wider.
Also die gemeinsame Regel, nach welcher „∼''p''“, „∼∼∼''p''“, „∼''p'' ∨ ∼''p''“, „∼''p .'' ∼''p''“, etc. etc. (ad inf.) gebildet werden. Und dies Gemeinsame spiegelt die Verneinung wider.


{{ParTLPde|5.513 Man könnte sagen: Das Gemeinsame aller Symbole, die sowohl ''p'' als ''q'' bejahen, ist der Satz „''p . q''“. Das Gemeinsame aller Symbole, die entweder ''p'' oder ''q'' bejahen, ist der Satz „''p'' ∨ ''q''“.
{{ParTLPde|5.513}} Man könnte sagen: Das Gemeinsame aller Symbole, die sowohl ''p'' als ''q'' bejahen, ist der Satz „''p . q''“. Das Gemeinsame aller Symbole, die entweder ''p'' oder ''q'' bejahen, ist der Satz „''p'' ∨ ''q''“.


Und so kann man sagen: Zwei Sätze sind einander entgegengesetzt, wenn sie nichts miteinander gemein haben, und: Jeder Satz hat nur ein Negativ, weil es nur einen Satz gibt, der ganz ausserhalb seiner liegt.
Und so kann man sagen: Zwei Sätze sind einander entgegengesetzt, wenn sie nichts miteinander gemein haben, und: Jeder Satz hat nur ein Negativ, weil es nur einen Satz gibt, der ganz ausserhalb seiner liegt.
Line 1,299: Line 1,297:
Es zeigt sich so auch in Russells Notation, dass „''q'' : ''p'' ∨ ∼''p''“ dasselbe sagt wie „''q''“; dass „''p'' ∨ ∼''p''“ nichts sagt.
Es zeigt sich so auch in Russells Notation, dass „''q'' : ''p'' ∨ ∼''p''“ dasselbe sagt wie „''q''“; dass „''p'' ∨ ∼''p''“ nichts sagt.


{{ParTLPde|5.514 Ist eine Notation festgelegt, so gibt es in ihr eine Regel, nach der alle ''p'' verneinenden Sätze gebildet werden, eine Regel, nach der alle ''p'' bejahenden Sätze gebildet werden, eine Regel, nach der alle ''p'' oder ''q'' bejahenden Sätze gebildet werden, u. s. f. Diese Regeln sind den Symbolen äquivalent und in ihnen spiegelt sich ihr Sinn wider.
{{ParTLPde|5.514}} Ist eine Notation festgelegt, so gibt es in ihr eine Regel, nach der alle ''p'' verneinenden Sätze gebildet werden, eine Regel, nach der alle ''p'' bejahenden Sätze gebildet werden, eine Regel, nach der alle ''p'' oder ''q'' bejahenden Sätze gebildet werden, u. s. f. Diese Regeln sind den Symbolen äquivalent und in ihnen spiegelt sich ihr Sinn wider.


{{ParTLPde|5.515  Es muss sich an unseren Symbolen zeigen, dass das, was durch „∨“, „''.''“, etc. miteinander verbunden ist, Sätze sein müssen.
{{ParTLPde|5.515}}  Es muss sich an unseren Symbolen zeigen, dass das, was durch „∨“, „''.''“, etc. miteinander verbunden ist, Sätze sein müssen.


Und dies ist auch der Fall, denn das Symbol „''p''“ und „''q''“ setzt ja selbst das „∨“, „∼“, etc. voraus. Wenn das Zeichen „''p''“ in „''p''∨ ''q''“ nicht für ein komplexes Zeichen steht, dann kann es allein nicht Sinn haben; dann können aber auch die mit „''p''“ gleichsinnigen Zeichen „''p'' ∨ ''p''“, „''p . p''“, etc. keinen Sinn haben. Wenn aber „''p'' ∨ ''p''“ keinen Sinn hat, dann kann auch „''p'' ∨ ''q''“ keinen Sinn haben.
Und dies ist auch der Fall, denn das Symbol „''p''“ und „''q''“ setzt ja selbst das „∨“, „∼“, etc. voraus. Wenn das Zeichen „''p''“ in „''p''∨ ''q''“ nicht für ein komplexes Zeichen steht, dann kann es allein nicht Sinn haben; dann können aber auch die mit „''p''“ gleichsinnigen Zeichen „''p'' ∨ ''p''“, „''p . p''“, etc. keinen Sinn haben. Wenn aber „''p'' ∨ ''p''“ keinen Sinn hat, dann kann auch „''p'' ∨ ''q''“ keinen Sinn haben.


{{ParTLPde|5.5151 Muss das Zeichen des negativen Satzes mit dem Zeichen des positiven gebildet werden? Warum sollte man den negativen Satz nicht durch eine negative Tatsache ausdrücken können. (Etwa: Wenn „''a''“ nicht in einer bestimmten Beziehung zu „''b''“ steht, könnte das ausdrücken, dass ''aRb'' nicht der Fall ist.)
{{ParTLPde|5.5151}} Muss das Zeichen des negativen Satzes mit dem Zeichen des positiven gebildet werden? Warum sollte man den negativen Satz nicht durch eine negative Tatsache ausdrücken können. (Etwa: Wenn „''a''“ nicht in einer bestimmten Beziehung zu „''b''“ steht, könnte das ausdrücken, dass ''aRb'' nicht der Fall ist.)


Aber auch hier ist ja der negative Satz indirekt durch den positiven gebildet.
Aber auch hier ist ja der negative Satz indirekt durch den positiven gebildet.
Line 1,311: Line 1,309:
Der positive S a t z muss die Existenz des negativen S a t z e s voraussetzen und umgekehrt.
Der positive S a t z muss die Existenz des negativen S a t z e s voraussetzen und umgekehrt.


{{ParTLPde|5.52 Sind die Werte  von  ''ξ'' sämtliche Werte einer Funktion  ''fx'' für  alle Werte von ''x'', so wird ''N'' (<math>\bar{\xi}</math>) = ∼(∃''x'') ''. fx''.
{{ParTLPde|5.52}} Sind die Werte  von  ''ξ'' sämtliche Werte einer Funktion  ''fx'' für  alle Werte von ''x'', so wird ''N'' (<math>\bar{\xi}</math>) = ∼(∃''x'') ''. fx''.


{{ParTLPde|5.521 Ich trenne den Begriff A l l e von der Wahrheitsfunktion.
{{ParTLPde|5.521}} Ich trenne den Begriff A l l e von der Wahrheitsfunktion.


Frege und Russell haben die Allgemeinheit in Verbindung mit dem logischen Produkt oder der logischen Summe eingeführt. So wurde es schwer, die Sätze „(∃''x'') ''. fx''“ und „(''x'') ''. fx''“, in welchen beide Ideen beschlossen liegen, zu verstehen.
Frege und Russell haben die Allgemeinheit in Verbindung mit dem logischen Produkt oder der logischen Summe eingeführt. So wurde es schwer, die Sätze „(∃''x'') ''. fx''“ und „(''x'') ''. fx''“, in welchen beide Ideen beschlossen liegen, zu verstehen.


{{ParTLPde|5.522  Das Eigentümliche der Allgemeinheitsbezeichnung ist erstens, dass sie auf ein logisches Urbild hinweist, und zweitens, dass sie Konstante hervorhebt.
{{ParTLPde|5.522}}  Das Eigentümliche der Allgemeinheitsbezeichnung ist erstens, dass sie auf ein logisches Urbild hinweist, und zweitens, dass sie Konstante hervorhebt.


{{ParTLPde|5.523  Die Allgemeinheitsbezeichnung tritt als Argument auf.
{{ParTLPde|5.523}}  Die Allgemeinheitsbezeichnung tritt als Argument auf.


{{ParTLPde|5.524 Wenn die Gegenstände gegeben sind, so sind uns damit auch schon a l l e Gegenstände gegeben.
{{ParTLPde|5.524}} Wenn die Gegenstände gegeben sind, so sind uns damit auch schon a l l e Gegenstände gegeben.


Wenn die Elementarsätze gegeben sind, so sind damit auch a l l e Elementarsätze gegeben.
Wenn die Elementarsätze gegeben sind, so sind damit auch a l l e Elementarsätze gegeben.


{{ParTLPde|5.525 Es ist unrichtig, den Satz „(∃''x'') ''. fx''“ – wie Russell dies tut – in Worten durch „''fx'' ist m ö g l i c h“ wiederzugeben.
{{ParTLPde|5.525}} Es ist unrichtig, den Satz „(∃''x'') ''. fx''“ – wie Russell dies tut – in Worten durch „''fx'' ist m ö g l i c h“ wiederzugeben.


Gewissheit, Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Sachlage wird nicht durch einen Satz ausgedrückt, sondern dadurch, dass ein Ausdruck eine Tautologie, ein sinnvoller Satz, oder eine Kontradiktion ist.
Gewissheit, Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Sachlage wird nicht durch einen Satz ausgedrückt, sondern dadurch, dass ein Ausdruck eine Tautologie, ein sinnvoller Satz, oder eine Kontradiktion ist.
Line 1,331: Line 1,329:
Jener Präzedenzfall, auf den man sich immer berufen möchte, muss schon im Symbol selber liegen.
Jener Präzedenzfall, auf den man sich immer berufen möchte, muss schon im Symbol selber liegen.


{{ParTLPde|5.526                             Man kann die Welt vollständig durch vollkommen verallgemeinerte Sätze beschreiben, das heisst also, ohne irgend einen Namen von vornherein einem bestimmten Gegenstand zuzuordnen.
{{ParTLPde|5.526}}                             Man kann die Welt vollständig durch vollkommen verallgemeinerte Sätze beschreiben, das heisst also, ohne irgend einen Namen von vornherein einem bestimmten Gegenstand zuzuordnen.


Um dann auf die gewöhnliche Ausdrucksweise zu kommen, muss man einfach nach einem Ausdruck „es gibt ein und nur ein ''x'', welches ''. . . .''“ sagen: Und dies ''x'' ist ''a''.
Um dann auf die gewöhnliche Ausdrucksweise zu kommen, muss man einfach nach einem Ausdruck „es gibt ein und nur ein ''x'', welches ''. . . .''“ sagen: Und dies ''x'' ist ''a''.


{{ParTLPde|5.5261    Ein vollkommen verallgemeinerter Satz ist, wie jeder andere Satz zusammengesetzt. (Dies zeigt sich daran, dass wir in „(∃''x, φ'')''.φx''“ „''φ''“ und „''x''“ getrennt erwähnen müssen. Beide stehen unabhängig in bezeichnenden Beziehungen zur Welt, wie im unverallgemeinerten Satz.)
{{ParTLPde|5.5261}}    Ein vollkommen verallgemeinerter Satz ist, wie jeder andere Satz zusammengesetzt. (Dies zeigt sich daran, dass wir in „(∃''x, φ'')''.φx''“ „''φ''“ und „''x''“ getrennt erwähnen müssen. Beide stehen unabhängig in bezeichnenden Beziehungen zur Welt, wie im unverallgemeinerten Satz.)


Kennzeichen des zusammengesetzten Symbols: Es hat etwas mit a n d e r e n Symbolen gemeinsam.
Kennzeichen des zusammengesetzten Symbols: Es hat etwas mit a n d e r e n Symbolen gemeinsam.


{{ParTLPde|5.5262 Es verändert ja die Wahr- oder Falschheit j e d e s Satzes etwas am allgemeinen Bau der Welt. Und der Spielraum, welcher ihrem Bau durch die Gesamtheit der Elementarsätze gelassen wird, ist eben derjenige, welchen die ganz allgemeinen Sätze begrenzen.
{{ParTLPde|5.5262}} Es verändert ja die Wahr- oder Falschheit j e d e s Satzes etwas am allgemeinen Bau der Welt. Und der Spielraum, welcher ihrem Bau durch die Gesamtheit der Elementarsätze gelassen wird, ist eben derjenige, welchen die ganz allgemeinen Sätze begrenzen.


(Wenn ein Elementarsatz wahr ist, so ist damit doch jedenfalls Ein Elementarsatz m e h r wahr.)
(Wenn ein Elementarsatz wahr ist, so ist damit doch jedenfalls Ein Elementarsatz m e h r wahr.)


{{ParTLPde|5.53 Gleichheit des Gegenstandes drücke ich durch Gleichheit des Zeichens aus, und nicht mit Hilfe eines Gleichheitszeichens. Verschiedenheit der Gegenstände durch Verschiedenheit der Zeichen.
{{ParTLPde|5.53}} Gleichheit des Gegenstandes drücke ich durch Gleichheit des Zeichens aus, und nicht mit Hilfe eines Gleichheitszeichens. Verschiedenheit der Gegenstände durch Verschiedenheit der Zeichen.


{{ParTLPde|5.5301 Dass die Identität keine Relation zwischen Gegenständen ist, leuchtet ein. Dies wird sehr klar, wenn man z. B. den Satz „(''x'') : ''fx.'' ⊃'' .x'' = ''a''“  betrachtet. Was dieser  Satz  sagt, ist einfach, dass nu r ''a'' der Funktion ''f'' genügt, und nicht, dass nur solche Dinge der Funktion ''f'' genügen, welche eine gewisse Beziehung zu ''a'' haben.
{{ParTLPde|5.5301}} Dass die Identität keine Relation zwischen Gegenständen ist, leuchtet ein. Dies wird sehr klar, wenn man z. B. den Satz „(''x'') : ''fx.'' ⊃'' .x'' = ''a''“  betrachtet. Was dieser  Satz  sagt, ist einfach, dass nu r ''a'' der Funktion ''f'' genügt, und nicht, dass nur solche Dinge der Funktion ''f'' genügen, welche eine gewisse Beziehung zu ''a'' haben.


Man könnte nun freilich sagen, dass eben nu r ''a'' diese Beziehung zu ''a'' habe, aber um dies auszudrücken, brauchten wir das Gleichheitszeichen selber.
Man könnte nun freilich sagen, dass eben nu r ''a'' diese Beziehung zu ''a'' habe, aber um dies auszudrücken, brauchten wir das Gleichheitszeichen selber.


{{ParTLPde|5.5302 Russells Definition von „=“ genügt nicht; weil man nach ihr nicht sagen kann, dass zwei Gegenstände alle Eigenschaften gemeinsam haben. (Selbst wenn dieser Satz nie richtig ist, hat er doch S i n n.)
{{ParTLPde|5.5302}} Russells Definition von „=“ genügt nicht; weil man nach ihr nicht sagen kann, dass zwei Gegenstände alle Eigenschaften gemeinsam haben. (Selbst wenn dieser Satz nie richtig ist, hat er doch S i n n.)


{{ParTLPde|5.5303 Beiläufig gesprochen: Von z we i Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von E i n e m zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts.
{{ParTLPde|5.5303}} Beiläufig gesprochen: Von z we i Dingen zu sagen, sie seien identisch, ist ein Unsinn, und von E i n e m zu sagen, es sei identisch mit sich selbst, sagt gar nichts.


{{ParTLPde|5.531  Ich schreibe also nicht „''f'' (''a, b'') ''. a'' = ''b''“, sondern „''f'' (''a, a'')“ (oder „''f'' (''b, b'')“). Und nicht „''f'' (''a, b'') ''.'' ∼''a'' = ''b''“, sondern „''f'' (''a, b'')“.
{{ParTLPde|5.531}}  Ich schreibe also nicht „''f'' (''a, b'') ''. a'' = ''b''“, sondern „''f'' (''a, a'')“ (oder „''f'' (''b, b'')“). Und nicht „''f'' (''a, b'') ''.'' ∼''a'' = ''b''“, sondern „''f'' (''a, b'')“.


{{ParTLPde|5.532 Und analog: Nicht „(∃''x, y'') ''. f'' (''x, y'') ''. x'' = ''y''“, sondern „(∃''x'') ''. f'' (''x, x'')“; und nicht „(∃''x, y'') ''. f'' (''x, y'') ''.'' ∼''x'' = ''y''“, sondern „(∃''x, y'') ''. f'' (''x, y'')“.
{{ParTLPde|5.532}} Und analog: Nicht „(∃''x, y'') ''. f'' (''x, y'') ''. x'' = ''y''“, sondern „(∃''x'') ''. f'' (''x, x'')“; und nicht „(∃''x, y'') ''. f'' (''x, y'') ''.'' ∼''x'' = ''y''“, sondern „(∃''x, y'') ''. f'' (''x, y'')“.


(Also statt des Russell’schen „(∃''x, y'') ''. f'' (''x, y'')“: „(∃''x, y'') ''. f'' (''x, y'') ''.'' ∨ ''.'' (∃''x'') ''. f'' (''x, x'')“.)
(Also statt des Russell’schen „(∃''x, y'') ''. f'' (''x, y'')“: „(∃''x, y'') ''. f'' (''x, y'') ''.'' ∨ ''.'' (∃''x'') ''. f'' (''x, x'')“.)


{{ParTLPde|5.5321    Statt „(''x'') : ''fx'' ⊃ ''x'' = ''a''“ schreiben wir also z. B. „(∃''x'') ''. fx.'' ⊃ ''.fa'' : ∼(∃''x, y'') ''. fx . fy''“.
{{ParTLPde|5.5321}}    Statt „(''x'') : ''fx'' ⊃ ''x'' = ''a''“ schreiben wir also z. B. „(∃''x'') ''. fx.'' ⊃ ''.fa'' : ∼(∃''x, y'') ''. fx . fy''“.


Und der Satz „nu r Ein ''x'' befriedigt ''f'' ()“ lautet: „(∃''x'') ''. fx'' : ∼(∃''x, y'') ''. fx . fy''“.
Und der Satz „nu r Ein ''x'' befriedigt ''f'' ()“ lautet: „(∃''x'') ''. fx'' : ∼(∃''x, y'') ''. fx . fy''“.


{{ParTLPde|5.533 Das Gleichheitszeichen ist also kein wesentlicher Bestandteil der Begriffsschrift.
{{ParTLPde|5.533}} Das Gleichheitszeichen ist also kein wesentlicher Bestandteil der Begriffsschrift.


{{ParTLPde|5.534  Und nun sehen wir, dass Scheinsätze wie: „''a'' = ''a''“, „''a'' = ''b . b'' = ''c.'' ⊃ ''a'' = ''c''“, „(''x'') ''. x'' = ''x''“, „(∃''x'') ''. x'' = ''a''“, etc. sich in einer richtigen Begriffsschrift gar nicht hinschreiben lassen.
{{ParTLPde|5.534}}  Und nun sehen wir, dass Scheinsätze wie: „''a'' = ''a''“, „''a'' = ''b . b'' = ''c.'' ⊃ ''a'' = ''c''“, „(''x'') ''. x'' = ''x''“, „(∃''x'') ''. x'' = ''a''“, etc. sich in einer richtigen Begriffsschrift gar nicht hinschreiben lassen.


{{ParTLPde|5.535  Damit erledigen sich auch alle Probleme, die an solche Scheinsätze geknüpft waren.
{{ParTLPde|5.535}}  Damit erledigen sich auch alle Probleme, die an solche Scheinsätze geknüpft waren.


Alle Probleme, die Russells „Axiom of Infinity“ mit sich bringt, sind schon hier zu lösen.
Alle Probleme, die Russells „Axiom of Infinity“ mit sich bringt, sind schon hier zu lösen.
Line 1,373: Line 1,371:
Das, was das Axiom of infinity sagen soll, würde sich in der Sprache dadurch ausdrücken, dass es unendlich viele Namen mit verschiedener Bedeutung gäbe.
Das, was das Axiom of infinity sagen soll, würde sich in der Sprache dadurch ausdrücken, dass es unendlich viele Namen mit verschiedener Bedeutung gäbe.


{{ParTLPde|5.5351 Es gibt gewisse Fälle, wo man in Versuchung gerät, Ausdrücke von der Form „''a'' = ''a''“ oder „''p'' ⊃ ''p''“  u. dgl.  zu  benützen. Und zwar geschieht dies, wenn man von dem Urbild: Satz, Ding, etc. reden möchte. So hat Russell in den „Principles of Mathematics“ den Unsinn „''p'' ist ein Satz“ in Symbolen durch „''p'' ⊃ ''p''“ wiedergegeben und als Hypothese vor gewisse Sätze gestellt, damit deren Argumentstellen nur von Sätzen besetzt werden könnten.
{{ParTLPde|5.5351}} Es gibt gewisse Fälle, wo man in Versuchung gerät, Ausdrücke von der Form „''a'' = ''a''“ oder „''p'' ⊃ ''p''“  u. dgl.  zu  benützen. Und zwar geschieht dies, wenn man von dem Urbild: Satz, Ding, etc. reden möchte. So hat Russell in den „Principles of Mathematics“ den Unsinn „''p'' ist ein Satz“ in Symbolen durch „''p'' ⊃ ''p''“ wiedergegeben und als Hypothese vor gewisse Sätze gestellt, damit deren Argumentstellen nur von Sätzen besetzt werden könnten.


(Es ist schon darum Unsinn, die Hypothese ''p'' ⊃ ''p'' vor einen Satz zu stellen, um ihm Argumente der richtigen Form zu sichern, weil die Hypothese für einen Nicht-Satz als Argument nicht falsch, sondern unsinnig wird, und weil der Satz selbst durch die unrichtige Gattung von Argumenten unsinnig wird, also sich selbst ebenso gut, oder so schlecht, vor den unrechten Argumenten bewahrt, wie die zu diesem Zweck angehängte sinnlose Hypothese.)
(Es ist schon darum Unsinn, die Hypothese ''p'' ⊃ ''p'' vor einen Satz zu stellen, um ihm Argumente der richtigen Form zu sichern, weil die Hypothese für einen Nicht-Satz als Argument nicht falsch, sondern unsinnig wird, und weil der Satz selbst durch die unrichtige Gattung von Argumenten unsinnig wird, also sich selbst ebenso gut, oder so schlecht, vor den unrechten Argumenten bewahrt, wie die zu diesem Zweck angehängte sinnlose Hypothese.)


{{ParTLPde|5.5352 Ebenso wollte man „Es gibt keine D i n g e“ ausdrücken durch „∼(∃''x'') ''. x'' = ''x''“. Aber selbst wenn dies ein Satz wäre, – wäre er nicht auch wahr, wenn es zwar „Dinge gäbe“, aber diese nicht mit sich selbst identisch wären?
{{ParTLPde|5.5352}} Ebenso wollte man „Es gibt keine D i n g e“ ausdrücken durch „∼(∃''x'') ''. x'' = ''x''“. Aber selbst wenn dies ein Satz wäre, – wäre er nicht auch wahr, wenn es zwar „Dinge gäbe“, aber diese nicht mit sich selbst identisch wären?


{{ParTLPde|5.54               In der allgemeinen Satzform kommt der Satz im Satze nur als Basis der Wahrheitsoperationen vor.
{{ParTLPde|5.54}}               In der allgemeinen Satzform kommt der Satz im Satze nur als Basis der Wahrheitsoperationen vor.


{{ParTLPde|5.541 Auf den ersten Blick scheint es, als könne ein Satz in einem anderen auch auf andere Weise vorkommen.
{{ParTLPde|5.541}} Auf den ersten Blick scheint es, als könne ein Satz in einem anderen auch auf andere Weise vorkommen.


Besonders in gewissen Satzformen der Psychologie, wie „A glaubt, dass ''p'' der Fall ist“, oder „A denkt ''p''“, etc.
Besonders in gewissen Satzformen der Psychologie, wie „A glaubt, dass ''p'' der Fall ist“, oder „A denkt ''p''“, etc.
Line 1,389: Line 1,387:
(Und in der modernen Erkenntnistheorie (Russell, Moore, etc.) sind jene Sätze auch so aufgefasst worden.)
(Und in der modernen Erkenntnistheorie (Russell, Moore, etc.) sind jene Sätze auch so aufgefasst worden.)


{{ParTLPde|5.542 Es ist aber  klar,  dass  „A glaubt, dass  ''p''“, „A denkt  ''p''“, „A sagt ''p''“ von der Form „‚''p''‘ sagt ''p''“ sind: Und hier handelt es sich nicht um eine Zuordnung von einer Tatsache und einem Gegenstand, sondern um die Zuordnung von Tatsachen durch Zuordnung ihrer Gegenstände.
{{ParTLPde|5.542}} Es ist aber  klar,  dass  „A glaubt, dass  ''p''“, „A denkt  ''p''“, „A sagt ''p''“ von der Form „‚''p''‘ sagt ''p''“ sind: Und hier handelt es sich nicht um eine Zuordnung von einer Tatsache und einem Gegenstand, sondern um die Zuordnung von Tatsachen durch Zuordnung ihrer Gegenstände.


{{ParTLPde|5.5421 Dies zeigt auch, dass die Seele – das Subjekt, etc. – wie sie in der heutigen oberflächlichen Psychologie aufgefasst wird, ein Unding ist.
{{ParTLPde|5.5421}} Dies zeigt auch, dass die Seele – das Subjekt, etc. – wie sie in der heutigen oberflächlichen Psychologie aufgefasst wird, ein Unding ist.


Eine zusammengesetzte Seele wäre nämlich keine Seele mehr.
Eine zusammengesetzte Seele wäre nämlich keine Seele mehr.


{{ParTLPde|5.5422 Die richtige Erklärung der Form des Satzes „A urteilt ''p''“ muss zeigen, dass es unmöglich ist, einen Unsinn zu urteilen. (Russells Theorie genügt dieser Bedingung nicht.)
{{ParTLPde|5.5422}} Die richtige Erklärung der Form des Satzes „A urteilt ''p''“ muss zeigen, dass es unmöglich ist, einen Unsinn zu urteilen. (Russells Theorie genügt dieser Bedingung nicht.)


{{ParTLPde|5.5423 Einen Komplex wahrnehmen, heisst, wahrnehmen, dass sich seine Bestandteile so und so zu einander verhalten.
{{ParTLPde|5.5423}} Einen Komplex wahrnehmen, heisst, wahrnehmen, dass sich seine Bestandteile so und so zu einander verhalten.


Dies erklärt wohl auch, dass man die Figur
Dies erklärt wohl auch, dass man die Figur
Line 1,407: Line 1,405:
(Sehe ich erst auf die Ecken ''a'' und nur flüchtig auf ''b'', so erscheint ''a'' vorne; und umgekehrt.)
(Sehe ich erst auf die Ecken ''a'' und nur flüchtig auf ''b'', so erscheint ''a'' vorne; und umgekehrt.)


{{ParTLPde|5.55               Wir müssen nun die Frage nach allen möglichen Formen der Elementarsätze a priori beantworten.
{{ParTLPde|5.55}}               Wir müssen nun die Frage nach allen möglichen Formen der Elementarsätze a priori beantworten.


Der Elementarsatz besteht aus Namen. Da wir aber die Anzahl der Namen von verschiedener Bedeutung nicht angeben können, so können wir auch nicht die Zusammensetzung des Elementarsatzes angeben.
Der Elementarsatz besteht aus Namen. Da wir aber die Anzahl der Namen von verschiedener Bedeutung nicht angeben können, so können wir auch nicht die Zusammensetzung des Elementarsatzes angeben.


{{ParTLPde|5.551  Unser Grundsatz ist, dass jede Frage, die sich überhaupt durch die Logik entscheiden lässt, sich ohne weiteres entscheiden lassen muss.
{{ParTLPde|5.551}}  Unser Grundsatz ist, dass jede Frage, die sich überhaupt durch die Logik entscheiden lässt, sich ohne weiteres entscheiden lassen muss.


(Und wenn wir in die Lage kommen, ein solches Problem durch Ansehen der Welt beantworten zu müssen, so zeigt dies, dass wir auf grundfalscher Fährte sind.)
(Und wenn wir in die Lage kommen, ein solches Problem durch Ansehen der Welt beantworten zu müssen, so zeigt dies, dass wir auf grundfalscher Fährte sind.)


{{ParTLPde|5.552                             Die „Erfahrung“, die wir zum Verstehen der Logik brauchen, ist nicht die, dass sich etwas so und so verhält, sondern, dass etwas i s t: aber das ist eben ke i n e Erfahrung.
{{ParTLPde|5.552}}                             Die „Erfahrung“, die wir zum Verstehen der Logik brauchen, ist nicht die, dass sich etwas so und so verhält, sondern, dass etwas i s t: aber das ist eben ke i n e Erfahrung.


Die Logik ist vo r jeder Erfahrung – dass etwas s o ist. Sie ist vor dem Wie, nicht vor dem Was.
Die Logik ist vo r jeder Erfahrung – dass etwas s o ist. Sie ist vor dem Wie, nicht vor dem Was.


{{ParTLPde|5.5521 Und wenn dies nicht so wäre, wie könnten wir die Logik anwenden? Man könnte sagen: Wenn es eine Logik gäbe, auch wenn es keine Welt gäbe, wie könnte es dann eine Logik geben, da es eine Welt gibt.
{{ParTLPde|5.5521}} Und wenn dies nicht so wäre, wie könnten wir die Logik anwenden? Man könnte sagen: Wenn es eine Logik gäbe, auch wenn es keine Welt gäbe, wie könnte es dann eine Logik geben, da es eine Welt gibt.


{{ParTLPde|5.553                             Russell sagte, es gäbe einfache Relationen zwischen verschiedenen Anzahlen von Dingen (Individuals). Aber zwischen welchen Anzahlen? Und wie soll sich das entscheiden? – Durch die Erfahrung?
{{ParTLPde|5.553}}                             Russell sagte, es gäbe einfache Relationen zwischen verschiedenen Anzahlen von Dingen (Individuals). Aber zwischen welchen Anzahlen? Und wie soll sich das entscheiden? – Durch die Erfahrung?


(Eine ausgezeichnete Zahl gibt es nicht.)
(Eine ausgezeichnete Zahl gibt es nicht.)


{{ParTLPde|5.554                             Die Angabe jeder speziellen Form wäre vollkommen willkürlich.
{{ParTLPde|5.554}}                             Die Angabe jeder speziellen Form wäre vollkommen willkürlich.


{{ParTLPde|5.5541 Es soll sich a priori angeben lassen, ob ich z. B. in die Lage kommen kann, etwas mit dem Zeichen einer 27-stelligen Relation bezeichnen zu müssen.
{{ParTLPde|5.5541}} Es soll sich a priori angeben lassen, ob ich z. B. in die Lage kommen kann, etwas mit dem Zeichen einer 27-stelligen Relation bezeichnen zu müssen.


{{ParTLPde|5.5542 Dürfen wir denn aber überhaupt so fragen? Können wir eine Zeichenform aufstellen und nicht wissen, ob ihr etwas entsprechen könne?
{{ParTLPde|5.5542}} Dürfen wir denn aber überhaupt so fragen? Können wir eine Zeichenform aufstellen und nicht wissen, ob ihr etwas entsprechen könne?


Hat die Frage einen Sinn: Was muss s e i n, damit etwas der-Fall-sein kann?
Hat die Frage einen Sinn: Was muss s e i n, damit etwas der-Fall-sein kann?


{{ParTLPde|5.555                             Es ist klar, wir haben vom Elementarsatz einen Begriff, abgesehen von seiner besonderen logischen Form.
{{ParTLPde|5.555}}                             Es ist klar, wir haben vom Elementarsatz einen Begriff, abgesehen von seiner besonderen logischen Form.


Wo man aber Symbole nach einem System bilden kann, dort ist dieses System das logisch wichtige und nicht die einzelnen Symbole.
Wo man aber Symbole nach einem System bilden kann, dort ist dieses System das logisch wichtige und nicht die einzelnen Symbole.
Line 1,439: Line 1,437:
Und wie wäre es auch möglich, dass ich es in der Logik mit Formen zu tun hätte, die ich erfinden kann; sondern mit dem muss ich es zu tun haben, was es mir möglich macht, sie zu erfinden.
Und wie wäre es auch möglich, dass ich es in der Logik mit Formen zu tun hätte, die ich erfinden kann; sondern mit dem muss ich es zu tun haben, was es mir möglich macht, sie zu erfinden.


{{ParTLPde|5.556 Eine Hierarchie der Formen der Elementarsätze kann es nicht geben. Nur was wir selbst konstruieren, können wir voraussehen.
{{ParTLPde|5.556}} Eine Hierarchie der Formen der Elementarsätze kann es nicht geben. Nur was wir selbst konstruieren, können wir voraussehen.


{{ParTLPde|5.5561 Die empirische Realität ist begrenzt durch die Gesamtheit der Gegenstände. Die Grenze zeigt sich wieder in der Gesamtheit der Elementarsätze.
{{ParTLPde|5.5561}} Die empirische Realität ist begrenzt durch die Gesamtheit der Gegenstände. Die Grenze zeigt sich wieder in der Gesamtheit der Elementarsätze.


Die Hierarchien sind, und müssen unabhängig von der Realität sein.
Die Hierarchien sind, und müssen unabhängig von der Realität sein.


{{ParTLPde|5.5562 Wissen wir aus rein logischen Gründen, dass es Elementarsätze geben muss, dann muss es jeder wissen, der die Sätze in ihrer unanalysierten Form versteht.
{{ParTLPde|5.5562}} Wissen wir aus rein logischen Gründen, dass es Elementarsätze geben muss, dann muss es jeder wissen, der die Sätze in ihrer unanalysierten Form versteht.


{{ParTLPde|5.5563 Alle Sätze unserer Umgangssprache sind tatsächlich, so wie  sie sind, logisch vollkommen geordnet. – Jenes Einfachste, was wir hier angeben sollen, ist nicht ein Gleichnis der Wahrheit, sondern die volle Wahrheit selbst.
{{ParTLPde|5.5563}} Alle Sätze unserer Umgangssprache sind tatsächlich, so wie  sie sind, logisch vollkommen geordnet. – Jenes Einfachste, was wir hier angeben sollen, ist nicht ein Gleichnis der Wahrheit, sondern die volle Wahrheit selbst.


(Unsere Probleme sind nicht abstrakt, sondern vielleicht die konkretesten, die es gibt.)
(Unsere Probleme sind nicht abstrakt, sondern vielleicht die konkretesten, die es gibt.)


{{ParTLPde|5.557  Die A nwe n d u n g der Logik entscheidet darüber, welche Elementarsätze es gibt.
{{ParTLPde|5.557}}  Die A nwe n d u n g der Logik entscheidet darüber, welche Elementarsätze es gibt.


Was in der Anwendung liegt, kann die Logik nicht vorausnehmen.
Was in der Anwendung liegt, kann die Logik nicht vorausnehmen.
Line 1,461: Line 1,459:
Also dürfen die Logik und ihre Anwendung einander nicht übergreifen.
Also dürfen die Logik und ihre Anwendung einander nicht übergreifen.


{{ParTLPde|5.5571    Wenn ich die Elementarsätze nicht a priori angeben kann, dann muss es zu offenbarem Unsinn führen, sie angeben zu wollen.
{{ParTLPde|5.5571}}    Wenn ich die Elementarsätze nicht a priori angeben kann, dann muss es zu offenbarem Unsinn führen, sie angeben zu wollen.


{{ParTLPde|5.6          D i e   G r e n z e n   m e i n e r   S p r a ch e bedeuten die Grenzen meiner Welt.
{{ParTLPde|5.6}}          D i e   G r e n z e n   m e i n e r   S p r a ch e bedeuten die Grenzen meiner Welt.


{{ParTLPde|5.61               Die Logik erfüllt die Welt; die Grenzen der Welt sind auch ihre Grenzen.
{{ParTLPde|5.61}}               Die Logik erfüllt die Welt; die Grenzen der Welt sind auch ihre Grenzen.


Wir können also in der Logik nicht sagen: Das und das gibt es in der Welt, jenes nicht.
Wir können also in der Logik nicht sagen: Das und das gibt es in der Welt, jenes nicht.
Line 1,473: Line 1,471:
Was wir nicht denken können, das können wir nicht denken; wir können also auch nicht s a g e n, was wir nicht denken können.
Was wir nicht denken können, das können wir nicht denken; wir können also auch nicht s a g e n, was wir nicht denken können.


{{ParTLPde|5.62              Diese Bemerkung gibt den Schlüssel zur Entscheidung der Frage, inwieweit der Solipsismus eine Wahrheit ist.
{{ParTLPde|5.62}}              Diese Bemerkung gibt den Schlüssel zur Entscheidung der Frage, inwieweit der Solipsismus eine Wahrheit ist.


Was der Solipsismus nämlich m e i n t, ist ganz richtig, nur lässt es sich nicht s a g e n, sondern es zeigt sich.
Was der Solipsismus nämlich m e i n t, ist ganz richtig, nur lässt es sich nicht s a g e n, sondern es zeigt sich.
Line 1,479: Line 1,477:
Dass die Welt m e i n e Welt ist, das zeigt sich darin, dass die Grenzen d e r Sprache (der Sprache, die allein ich verstehe) die Grenzen m e i n e r Welt bedeuten.
Dass die Welt m e i n e Welt ist, das zeigt sich darin, dass die Grenzen d e r Sprache (der Sprache, die allein ich verstehe) die Grenzen m e i n e r Welt bedeuten.


{{ParTLPde|5.621      Die Welt und das Leben sind Eins.
{{ParTLPde|5.621}}      Die Welt und das Leben sind Eins.


{{ParTLPde|5.63       Ich bin meine Welt. (Der Mikrokosmos.)
{{ParTLPde|5.63}}       Ich bin meine Welt. (Der Mikrokosmos.)


{{ParTLPde|5.631      Das denkende, vorstellende, Subjekt gibt es nicht.
{{ParTLPde|5.631}}      Das denkende, vorstellende, Subjekt gibt es nicht.


Wenn ich ein Buch schriebe „Die Welt, wie ich sie vorfand“, so wäre darin auch über meinen Leib zu berichten und zu sagen, welche Glieder meinem Willen unterstehen und welche nicht etc., dies ist nämlich eine Methode, das Subjekt zu isolieren, oder vielmehr zu zeigen, dass es in einem wichtigen Sinne kein Subjekt gibt: Von ihm allein nämlich könnte in diesem Buche n i cht die Rede sein. –  
Wenn ich ein Buch schriebe „Die Welt, wie ich sie vorfand“, so wäre darin auch über meinen Leib zu berichten und zu sagen, welche Glieder meinem Willen unterstehen und welche nicht etc., dies ist nämlich eine Methode, das Subjekt zu isolieren, oder vielmehr zu zeigen, dass es in einem wichtigen Sinne kein Subjekt gibt: Von ihm allein nämlich könnte in diesem Buche n i cht die Rede sein. –  


{{ParTLPde|5.632 Das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine Grenze der Welt.
{{ParTLPde|5.632}} Das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine Grenze der Welt.


{{ParTLPde|5.633 Wo in der Welt ist ein metaphysisches Subjekt zu merken?
{{ParTLPde|5.633}} Wo in der Welt ist ein metaphysisches Subjekt zu merken?


Du sagst, es verhält sich hier ganz, wie mit Auge und Gesichtsfeld. Aber das Auge siehst du wirklich n i ch t.
Du sagst, es verhält sich hier ganz, wie mit Auge und Gesichtsfeld. Aber das Auge siehst du wirklich n i ch t.
Line 1,495: Line 1,493:
Und nichts a m G e s i cht s f e l d lässt darauf schliessen, dass es von einem Auge gesehen wird.
Und nichts a m G e s i cht s f e l d lässt darauf schliessen, dass es von einem Auge gesehen wird.


{{ParTLPde|5.6331 Das Gesichtsfeld hat nämlich nicht etwa eine solche Form:
{{ParTLPde|5.6331}} Das Gesichtsfeld hat nämlich nicht etwa eine solche Form:


[[File:TLP 5.6331.png|250px|center|link=]]
[[File:TLP 5.6331.png|250px|center|link=]]


{{ParTLPde|5.634     Das hängt damit zusammen, dass kein Teil unserer Erfahrung auch a priori ist.
{{ParTLPde|5.634}}     Das hängt damit zusammen, dass kein Teil unserer Erfahrung auch a priori ist.


Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein.
Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein.
Line 1,507: Line 1,505:
Es gibt keine Ordnung der Dinge a priori.
Es gibt keine Ordnung der Dinge a priori.


{{ParTLPde|5.64 Hier sieht man, dass der Solipsismus, streng durchgeführt, mit dem reinen Realismus zusammenfällt. Das Ich des Solipsismus schrumpft zum ausdehnungslosen Punkt zusammen, und es bleibt die ihm koordinierte Realität.
{{ParTLPde|5.64}} Hier sieht man, dass der Solipsismus, streng durchgeführt, mit dem reinen Realismus zusammenfällt. Das Ich des Solipsismus schrumpft zum ausdehnungslosen Punkt zusammen, und es bleibt die ihm koordinierte Realität.


{{ParTLPde|5.641 Es gibt also wirklich einen Sinn, in welchem in der Philosophie nicht-psychologisch vom Ich die Rede sein kann.
{{ParTLPde|5.641}} Es gibt also wirklich einen Sinn, in welchem in der Philosophie nicht-psychologisch vom Ich die Rede sein kann.


Das Ich tritt in die Philosophie dadurch ein, dass die „Welt meine Welt ist“.
Das Ich tritt in die Philosophie dadurch ein, dass die „Welt meine Welt ist“.
Line 1,515: Line 1,513:
Das philosophische Ich ist nicht der Mensch, nicht der menschliche Körper, oder die menschliche Seele, von der die Psychologie handelt, sondern das metaphysische Subjekt, die Grenze – nicht ein Teil der Welt.
Das philosophische Ich ist nicht der Mensch, nicht der menschliche Körper, oder die menschliche Seele, von der die Psychologie handelt, sondern das metaphysische Subjekt, die Grenze – nicht ein Teil der Welt.


{{ParTLPde|6                         Die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion ist: <math>[ \bar{p}, \bar{\xi}, N (\bar{\xi}) ]</math>.
{{ParTLPde|6}}                         Die allgemeine Form der Wahrheitsfunktion ist: <math>[ \bar{p}, \bar{\xi}, N (\bar{\xi}) ]</math>.


Dies ist die allgemeine Form des Satzes.
Dies ist die allgemeine Form des Satzes.


{{ParTLPde|6.001               Dies sagt nichts anderes, als dass jeder Satz ein Resultat der successiven Anwendung der  Operation <math>N' (\bar{\xi})</math> auf  die  Elementarsätze ist.
{{ParTLPde|6.001}}               Dies sagt nichts anderes, als dass jeder Satz ein Resultat der successiven Anwendung der  Operation <math>N' (\bar{\xi})</math> auf  die  Elementarsätze ist.


{{ParTLPde|6.002              Ist die allgemeine Form gegeben, wie ein Satz gebaut ist, so ist damit auch schon die allgemeine Form davon gegeben, wie aus einem Satz durch eine Operation ein anderer erzeugt werden kann.
{{ParTLPde|6.002              Ist die allgemeine Form gegeben, wie ein Satz gebaut ist, so ist damit auch schon die allgemeine Form davon gegeben, wie aus einem Satz durch eine Operation ein anderer erzeugt werden kann.