Vortrag über Ethik: Difference between revisions

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|translator=Übersetzt von {{person link|Peter Winslow}}
|translator=Übersetzt von {{person link|Peter Winslow}}<ref>''Anm. d. Übers.'': Ich bedanke mich bei [[Main Page|The Ludwig Wittgenstein Project]] für den stets konstruktiven Austausch im Zusammenhang mit dieser Übersetzung. Insbesondere be-danke ich mich bei Frau Dr. {{person link|Jasmin Trächtler}}, Herrn Dr. {{person link|Frederic Kettelhoit}} und Herrn {{person link|Michele Lavazza}} für ihre Kommentare und Kritik. Ohne diese wäre diese Übersetzung eine ganz andere geworden. Sollte die Übersetzung wider Erwarten mangelhaft sein, so trage ich allein die Verantwortung.</ref>
|notes=Originaltext: Ludwig Wittgenstein. »[[Lecture on Ethics|A Lecture on Ethics]]«. ''The Philosophical Review'', vol. 74, no. 1, Jan. 1965, Seiten 3–12. Der Originaltext ist in seinem Herkunftsland (USA) nicht gemeinfrei, wurde aber durch die Rechteinhaber weltweit unter der Lizenz {{plainlink|[https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/deed.de Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell 4.0 International]}} zur Verfügung gestellt. Außerdem ist der Originaltext in allen Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 oder weniger Jahren nach dem Tod des Urhebers gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Diese Übersetzung ist unter der Lizenz {{plainlink|[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International]}} veröffentlicht.
|notes=Originaltext: Ludwig Wittgenstein. »[[Lecture on Ethics|A Lecture on Ethics]]«. ''The Philosophical Review'', vol. 74, no. 1, Jan. 1965, Seiten 3–12. Der Originaltext ist in seinem Herkunftsland (USA) nicht gemeinfrei, wurde aber durch die Rechteinhaber weltweit unter der Lizenz {{plainlink|[https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/deed.de Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell 4.0 International]}} zur Verfügung gestellt. Außerdem ist der Originaltext in allen Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 70 oder weniger Jahren nach dem Tod des Urhebers gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Diese Übersetzung ist unter der Lizenz {{plainlink|[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International]}} veröffentlicht.
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All diese Ausdrücke ''scheinen'' prima facie nur ''Gleichnisse'' zu sein. So scheinen wir das Wort ''richtig'' im ethischen Sinne zu verwenden, obwohl wir das Wort ''richtig'' nicht im trivialen Sinne meinen – es ist etwas ähnliches; und wenn wir sagen, »das ist ein guter Kerl«, obwohl das Wort ''gut'' hier nicht dieselbe Bedeutung hat wie im Satz, »das ist ein guter Fußballer«, so scheint eine gewisse Ähnlichkeit zu bestehen. Und wenn wir sagen, »dieser Mann führte ein wertvolles Leben«, meinen wir dies nicht in demselben Sinn, in dem wir von einem wertvollen Schmuck sprechen würden, auch wenn eine Art Analogie scheinbar besteht. In diesem Sinne werden alle religiösen Begriffe nun scheinbar als Gleichnisse oder Allegorien verwendet. Denn wenn wir von Gott reden und davon, dass er alles sieht, und wenn wir uns niederknieen und zu ihm beten, sind alle unsere Begriffe und Handlungen scheinbar Teile einer großen und umfangreichen Allegorie, die ihn als Mensch großer Macht darstellt, dessen Gnade wir für uns gewinnen möchten etc., etc. Aber diese Allegorie beschreibt auch das gerade von mir genannte Erlebnis. Denn das erste Erlebnis ist, glaube ich, genau das, was die Menschen damals mit den Worten, Gott erschuf die Welt, gemeint haben; und das Erlebnis der absoluten Sicherheit wurde dadurch beschrieben, dass wir uns in Gotteshand sicher fühlen.<ref>''Anm. d. Übers''.: Die Übersetzung des Verbs »to create« mit »erschaffen« ruht auf einem Gespräch zwischen Wittgenstein und Waismann, das wiedergegeben wurde, in Brian McGuinness, hrsg. ''Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis: Gespräche, aufgezeichnet von Friedrich Waismann''. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1967, Seite 118:<br />
All diese Ausdrücke ''scheinen'' prima facie nur ''Gleichnisse'' zu sein. So scheinen wir das Wort ''richtig'' im ethischen Sinne zu verwenden, obwohl wir das Wort ''richtig'' nicht im trivialen Sinne meinen – es ist etwas ähnliches; und wenn wir sagen, »das ist ein guter Kerl«, obwohl das Wort ''gut'' hier nicht dieselbe Bedeutung hat wie im Satz, »das ist ein guter Fußballer«, so scheint eine gewisse Ähnlichkeit zu bestehen. Und wenn wir sagen, »dieser Mann führte ein wertvolles Leben«, meinen wir dies nicht in demselben Sinn, in dem wir von einem wertvollen Schmuck sprechen würden, auch wenn eine Art Analogie scheinbar besteht. In diesem Sinne werden alle religiösen Begriffe nun scheinbar als Gleichnisse oder Allegorien verwendet. Denn wenn wir von Gott reden und davon, dass er alles sieht, und wenn wir uns niederknieen und zu ihm beten, sind alle unsere Begriffe und Handlungen scheinbar Teile einer großen und umfangreichen Allegorie, die ihn als Mensch großer Macht darstellt, dessen Gnade wir für uns gewinnen möchten etc., etc. Aber diese Allegorie beschreibt auch das gerade von mir genannte Erlebnis. Denn das erste Erlebnis ist, glaube ich, genau das, was die Menschen damals mit den Worten, Gott erschuf die Welt, gemeint haben; und das Erlebnis der absoluten Sicherheit wurde dadurch beschrieben, dass wir uns in Gotteshand sicher fühlen.<ref>''Anm. d. Übers''.: Die Übersetzung des Verbs »to create« mit »erschaffen« ruht auf einem Gespräch zwischen Wittgenstein und Waismann, das wiedergegeben wurde, in Brian McGuinness, hrsg. ''Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis: Gespräche, aufgezeichnet von Friedrich Waismann''. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1967, Seite 118:<br />
:''Wittgenstein: Daß hier ein Zusammenhang besteht, haben die Menschen gefühlt und das so ausgedrückt: Gottvater hat die Welt erschaffen, Gott-Sohn'' (''oder das Wort, das von Gott ausgeht'') ''ist das Ethische''. […]<br />
:''Wittgenstein: Daß hier ein Zusammenhang besteht, haben die Menschen gefühlt und das so ausgedrückt: Gottvater hat die Welt erschaffen, Gott-Sohn'' (''oder das Wort, das von Gott ausgeht'') ''ist das Ethische''. […]<br />
Dem ersten Anschein nach stimmt diese Wortwahl mit der Wortwahl überein, die heute in der Einheitsübersetzung der Bibel (sprich: in der katholischen Bibel) enthalten ist: »Im Anfang ''erschuf'' Gott […]« (Genesis 1,1) [''Hervorhebung diesseits'']. Dahingegen lautet die Wortwahl in der lutherischen Bibel so: »Am Anfang ''schuf'' Gott […]« [''Hervorhebung diesseits'']. Bei diesem Umstand häufen sich Fragen, unter anderem: Sollte Wittgensteins Wortwahl tatsächlich katholisch sein? Wie lautet diese Stelle in der damaligen katholischen Bibel? in Österreich? Hatte Waismann die Worte Wittgensteins in leicht abgeänderter Form aufgezeichnet? Während diese und weitere Fragen interessante Problemstellungen für die künftige Forschung darstellen, sprengten jede Ausführung zu ihnen den Rahmen einer Anmerkung. Dieser Umstand ist nur deswegen im Rahmen dieser Übersetzung von Belang, weil diese Wortwahl auf eine weitere, nachstehende Stelle der Übersetzung wirkt. Siehe die nachstehende [[#cite_note-6|''Anm. d. Übers''. Nr. 6]].</ref> Ein drittes Erlebnis derselben Art ist das des Schuldgefühls und dies wurde wiederum durch die Phrase beschrieben, dass Gott unser Verhalten missbilligt. Scheinbar verwenden wir also konstant Gleichnisse in der ethischen und religiösen Sprache. Aber ein Gleichnis muss ein Gleichnis für ''etwas'' sein. Und wenn ich eine Tatsache durch ein Gleichnis beschreiben kann, muss ich auch in der Lage sein, auf das Gleichnis zu verzichten und die Tatsachen ohne das Gleichnis zu beschreiben. Dahingegen gilt in unserem Fall: Sobald wir versuchen, auf das Gleichnis zu verzichten und die hinter ihm stehenden Tatsachen zu erklären, stellen wir fest, dass es keine solchen Tatsachen gibt. Und was also zunächst wie ein Gleichnis aussah, scheint nun bloßer Unsinn zu sein.
Dem ersten Anschein nach stimmt diese Wortwahl mit der Wortwahl überein, die heute in der Einheitsübersetzung der Bibel (sprich: in der katholischen Bibel) enthalten ist: »Im Anfang ''erschuf'' Gott […]« (Genesis 1,1) [''Hervorhebung diesseits'']. Dahingegen lautet die Wortwahl in der lutherischen Bibel so: »Am Anfang ''schuf'' Gott […]« [''Hervorhebung diesseits'']. Bei diesem Umstand häufen sich Fragen, unter anderem: Sollte Wittgensteins Wortwahl tatsächlich katholisch sein? Wie lautet diese Stelle in der damaligen katholischen Bibel? in Österreich? Hatte Waismann die Worte Wittgensteins in leicht abgeänderter Form aufgezeichnet? Während diese und weitere Fragen interessante Problemstellungen für die künftige Forschung darstellen, sprengten jede Ausführung zu ihnen den Rahmen einer Anmerkung. Dieser Umstand ist nur deswegen im Rahmen dieser Übersetzung von Belang, weil diese Wortwahl auf eine weitere, nachstehende Stelle der Übersetzung wirkt. Siehe die nachstehende [[#cite_note-7|''Anm. d. Übers''. Nr. 7]].</ref> Ein drittes Erlebnis derselben Art ist das des Schuldgefühls und dies wurde wiederum durch die Phrase beschrieben, dass Gott unser Verhalten missbilligt. Scheinbar verwenden wir also konstant Gleichnisse in der ethischen und religiösen Sprache. Aber ein Gleichnis muss ein Gleichnis für ''etwas'' sein. Und wenn ich eine Tatsache durch ein Gleichnis beschreiben kann, muss ich auch in der Lage sein, auf das Gleichnis zu verzichten und die Tatsachen ohne das Gleichnis zu beschreiben. Dahingegen gilt in unserem Fall: Sobald wir versuchen, auf das Gleichnis zu verzichten und die hinter ihm stehenden Tatsachen zu erklären, stellen wir fest, dass es keine solchen Tatsachen gibt. Und was also zunächst wie ein Gleichnis aussah, scheint nun bloßer Unsinn zu sein.


Also für die, die sie erlebt haben – ich zum Beispiel – scheinen die drei von mir angeführten Erlebnisse (ich hätte auch weitere anführen können) in irgendeinem Sinne einen intrinsischen, absoluten Wert zu haben. Aber wenn ich sage, sie sind Erlebnisse, sind sie dann sicherlich Tatsachen; sie haben dann und dort stattgefunden, hatten eine bestimmte Dauer und lassen sich somit beschreiben. Und aufgrund meiner Argumentation vor einigen Minuten muss ich eingestehen, dass es Unsinn ist, diesen einen absoluten Wert zuzuschreiben. Und ich möchte mein Fazit noch akuter formulieren: »Es ist das Paradox, dass ein Erlebnis, eine Tatsache, scheinbar einen übernatürlichen Wert hat«. Es gibt nun eine Art und Weise, in der ich versucht wäre, auf dieses Paradox zu antworten.
Also für die, die sie erlebt haben – ich zum Beispiel – scheinen die drei von mir angeführten Erlebnisse (ich hätte auch weitere anführen können) in irgendeinem Sinne einen intrinsischen, absoluten Wert zu haben. Aber wenn ich sage, sie sind Erlebnisse, sind sie dann sicherlich Tatsachen; sie haben dann und dort stattgefunden, hatten eine bestimmte Dauer und lassen sich somit beschreiben. Und aufgrund meiner Argumentation vor einigen Minuten muss ich eingestehen, dass es Unsinn ist, diesen einen absoluten Wert zuzuschreiben. Und ich möchte mein Fazit noch akuter formulieren: »Es ist das Paradox, dass ein Erlebnis, eine Tatsache, scheinbar einen übernatürlichen Wert hat«. Es gibt nun eine Art und Weise, in der ich versucht wäre, auf dieses Paradox zu antworten.
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Erlauben Sie mir zunächst, unser erstes Erlebnis des Erstaunens über die Existenz der Welt noch einmal in Betracht zu ziehen; und erlauben Sie mir, dies leicht anders zu beschreiben; im gewöhnlichen Leben wissen wir alle, was man als Wunder bezeichnen würde. Freilich ist es einfach ein Ereignis, das wir noch nie gesehen haben. Nun nehmen wir an, es hätte sich ein solches Ereignis zugetragen. Plötzlich wuchs einem von Ihnen ein Löwenkopf und er brüllte.<ref>''Anm. d. Übers.'': Vergleiche § 7 von Moores ''Principia Ethica'': »Wir können z. B. einem Menschen klarmachen, was eine Chimäre ist, obwohl er nie davon gehört oder eine gesehen hat. Wir können ihm sagen, daß es ein Tier mit Kopf und Körper einer Löwin ist […]« (Deutsch nach: G.E. Moore, ''Principia Ethica. Erweiterte Ausgabe.'' Übersetzt von Burkhard Wisser Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1996., § 7 (Seite 37)).</ref> Etwas Außergewöhnlicheres kann ich mir kaum noch vorstellen. Sobald wir uns von unserer Überraschung erholt haben, wäre mein Vorschlag, einen Arzt zu holen und den Fall wissenschaftlich untersuchen zu lassen und diesen Menschen vivisezieren zu lassen, wenn es ihm nicht schaden würde. Und wo ist das Wunder jetzt hin? Denn es ist klar, dass bei dieser Betrachtungsweise alles Wunderbare verschwunden ist – soweit wir mit diesem Begriff nicht lediglich meinen, dass sich eine Tatsache noch nicht durch die Wissenschaft erklären lässt, was wiederum heißt, dass wir diese Tatsache bisher nicht mit weiteren Tatsachen in einem wissenschaftlichen System vereinbaren könnten. Dies zeigt die Absurdität der Behauptung, die Wissenschaft habe bewiesen, dass es keine Wunder gibt. Die Wahrheit ist, die wissenschaftliche Betrachtung einer Tatsache ist nicht für die Betrachtung einer Tatsache als Wunder geeignet. Denn es ist gleichgültig, welche Tatsache Sie sich vorstellen; sie ist nicht an sich wunderbar im absoluten Sinne dieses Begriffs. Hier sehen wir nun, dass wir das Wort »Wunder« in einem relativen und in einem absoluten Sinne verwendet haben. Und jetzt möchte ich das Erlebnis des Erstaunens über die Existenz der Welt so beschreiben: Es ist das Erlebnis, die Welt als Wunder zu sehen. Hier will ich sagen, dass der richtige, sprachliche Ausdruck für das Wunder der Existenz der Welt nicht in einem Satz in der Sprache liegt, sondern in der Existenz der Sprache selbst. Aber was heißt das, sich dieses Wunders nur zeitweise bewusst zu sein? Denn indem ich den Ausdruck des Wunderbaren von einem Ausdruck ''durch'' die Sprache auf den Ausdruck der ''Existenz der'' Sprache verschiebe, habe ich nichts anderes gesagt, als dass wir nicht das ausdrücken können, was wir ausdrücken wollen, und dass alles, was wir über das absolut Wunderbare sagen, Unsinn bleibt.
Erlauben Sie mir zunächst, unser erstes Erlebnis des Erstaunens über die Existenz der Welt noch einmal in Betracht zu ziehen; und erlauben Sie mir, dies leicht anders zu beschreiben; im gewöhnlichen Leben wissen wir alle, was man als Wunder bezeichnen würde. Freilich ist es einfach ein Ereignis, das wir noch nie gesehen haben. Nun nehmen wir an, es hätte sich ein solches Ereignis zugetragen. Plötzlich wuchs einem von Ihnen ein Löwenkopf und er brüllte.<ref>''Anm. d. Übers.'': Vergleiche § 7 von Moores ''Principia Ethica'': »Wir können z. B. einem Menschen klarmachen, was eine Chimäre ist, obwohl er nie davon gehört oder eine gesehen hat. Wir können ihm sagen, daß es ein Tier mit Kopf und Körper einer Löwin ist […]« (Deutsch nach: G.E. Moore, ''Principia Ethica. Erweiterte Ausgabe.'' Übersetzt von Burkhard Wisser Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1996., § 7 (Seite 37)).</ref> Etwas Außergewöhnlicheres kann ich mir kaum noch vorstellen. Sobald wir uns von unserer Überraschung erholt haben, wäre mein Vorschlag, einen Arzt zu holen und den Fall wissenschaftlich untersuchen zu lassen und diesen Menschen vivisezieren zu lassen, wenn es ihm nicht schaden würde. Und wo ist das Wunder jetzt hin? Denn es ist klar, dass bei dieser Betrachtungsweise alles Wunderbare verschwunden ist – soweit wir mit diesem Begriff nicht lediglich meinen, dass sich eine Tatsache noch nicht durch die Wissenschaft erklären lässt, was wiederum heißt, dass wir diese Tatsache bisher nicht mit weiteren Tatsachen in einem wissenschaftlichen System vereinbaren könnten. Dies zeigt die Absurdität der Behauptung, die Wissenschaft habe bewiesen, dass es keine Wunder gibt. Die Wahrheit ist, die wissenschaftliche Betrachtung einer Tatsache ist nicht für die Betrachtung einer Tatsache als Wunder geeignet. Denn es ist gleichgültig, welche Tatsache Sie sich vorstellen; sie ist nicht an sich wunderbar im absoluten Sinne dieses Begriffs. Hier sehen wir nun, dass wir das Wort »Wunder« in einem relativen und in einem absoluten Sinne verwendet haben. Und jetzt möchte ich das Erlebnis des Erstaunens über die Existenz der Welt so beschreiben: Es ist das Erlebnis, die Welt als Wunder zu sehen. Hier will ich sagen, dass der richtige, sprachliche Ausdruck für das Wunder der Existenz der Welt nicht in einem Satz in der Sprache liegt, sondern in der Existenz der Sprache selbst. Aber was heißt das, sich dieses Wunders nur zeitweise bewusst zu sein? Denn indem ich den Ausdruck des Wunderbaren von einem Ausdruck ''durch'' die Sprache auf den Ausdruck der ''Existenz der'' Sprache verschiebe, habe ich nichts anderes gesagt, als dass wir nicht das ausdrücken können, was wir ausdrücken wollen, und dass alles, was wir über das absolut Wunderbare sagen, Unsinn bleibt.


Die Antwort auf das alles wird den meisten von Ihnen vollkommen klar sein. Sie werden sagen: Nun, wenn uns bestimmte Erlebnisse ständig versuchen, diesen eine Eigenschaft zuzuschreiben, die wir absoluten oder ethischen Wert bzw. absolute oder ethische Wichtigkeit nennen, so zeigt dies lediglich, dass wir mit diesen Worten ''nichts'' Unsinniges meinen – dass das, was wir schließlich meinen, wenn wir sagen, dass ein Erlebnis einen absoluten Wert hat, ''eine Tatsache ist wie andere Tatsachen'' ''auch'' und dass das alles nichts anderes bedeutet, als dass es uns noch nicht gelungen ist, die korrekte logische Analyse von dem gefunden zu haben, was wir mit unseren ethischen und religiösen Ausdrücken meinen. Bei diesem Einwand sehe ich sofort klar, gleichsam mich ein Licht umstrahlend, nicht nur, dass sich keine denkbare Beschreibung als Beschreibung dessen eignete, was ich mit absolutem Wert meine, sondern auch, dass ich ab initio aufgrund ihrer Sinnhaftigkeit jede sinnvolle Beschreibung, was immer man mir vorschlagen mag, ablehnen würde.<ref>''Anm. d. Übers''.: Die Worte »flash of light« (hier: »ein Licht umstrahlend«) sind wohl eine Anspielung auf die in der ''Apostelgeschichte'' beschriebene Bekehrung des Saulus (9,3). Angesichts des in der vorstehenden [[#cite_note-4|Anmerkung 4]] skizzierten Umstands und vorbehaltlich weiterer Forschung muss man eine Entscheidung treffen, ob die Worte »flash of light« nach der einheitlichen (katholischen) oder nach der lutherischen Bibel übersetzt werden. Hier habe ich mich für die heutige, katholische Übersetzung entschieden, damit die obige Wortwahl »erschaffen« und die hier getroffene Wortwahl »ein Licht umstrahlend« zunächst übereinstimmend, gleichsam aus einem Guss, sind. Nach der lutherischen Bibel wären diese Worte mit »ein Licht umleuchtend« zu übersetzen.</ref> Das heißt: Ich sehe jetzt, dass diese unsinnigen Ausdrücke nicht deswegen unsinnig waren, weil ich noch nicht die korrekten Ausdrücke gefunden habe, sondern dass ihre Unsinnigkeit ihr Wesen war.
Die Antwort auf das alles wird den meisten von Ihnen vollkommen klar sein. Sie werden sagen: Nun, wenn uns bestimmte Erlebnisse ständig versuchen, diesen eine Eigenschaft zuzuschreiben, die wir absoluten oder ethischen Wert bzw. absolute oder ethische Wichtigkeit nennen, so zeigt dies lediglich, dass wir mit diesen Worten ''nichts'' Unsinniges meinen – dass das, was wir schließlich meinen, wenn wir sagen, dass ein Erlebnis einen absoluten Wert hat, ''eine Tatsache ist wie andere Tatsachen'' ''auch'' und dass das alles nichts anderes bedeutet, als dass es uns noch nicht gelungen ist, die korrekte logische Analyse von dem gefunden zu haben, was wir mit unseren ethischen und religiösen Ausdrücken meinen. Bei diesem Einwand sehe ich sofort klar, gleichsam mich ein Licht umstrahlend, nicht nur, dass sich keine denkbare Beschreibung als Beschreibung dessen eignete, was ich mit absolutem Wert meine, sondern auch, dass ich ab initio aufgrund ihrer Sinnhaftigkeit jede sinnvolle Beschreibung, was immer man mir vorschlagen mag, ablehnen würde.<ref>''Anm. d. Übers''.: Die Phrase »flash of light« stellt wohl eine Metapher dar. Als Übersetzer wurde ich hier mit der Frage konfrontiert: Was tun? Sollte man diese Phrase etwas wörtlich übersetzen, wie Joachim Schulte in seiner Übersetzung dieses Textes übersetzt hat (»blitzartig ein Licht […] drüber«)? Diese Frage ist, glaube ich, zu verneinen. Denn man kann den Umstand, dass Wittgenstein diese Phrase im Rahmen seiner Ausführungen zur Ethik und Religion verwendet hat, nicht ignorieren. Man kann diesen Umstand deswegen nicht ignorieren, weil sie auf zwei mögliche Quellen für diese Metapher hindeutet: (1) andere Ausführungen zur Ethik/Religion etwa von anderen Philosoph:innen bzw. (2) religiöse Texten wie die Bibel. Da Wittgenstein in seinem »Vortrag über Ethik« einmal aus dem Buch ''Principia Ethica'' von G.E. Moore zitiert und auch mindestens dreimal darauf anspielt – Stichwörter hier sind: (1) Chimäre (''chimera''), ein komplexer Gegenstand, dessen Teile uns vollkommen bekannt sind, der aber als Ganzes nicht existiert, wie Wittgensteins Straße oben (vergleiche § 7 ''Principia Ethica''); (2) Lust (''pleasure''; vergleiche § 52 ''Principia Ethica''); (3) Wittgensteins Widerspruch der Auffassung von Moore, dass der direkte Gegenstand der Ethik Erkenntnisse (''knowledge'') seien (vergleiche § 14 ''Principia Ethica'') – wäre dieses Buch nicht nur eine mögliche, sondern auch eine wahrscheinliche Quelle für diese Metapher. Aber dieses Buch enthält nichts, was als tatsächliche Quelle dieser Metapher gelten könnte. Beim Ausschluss dieser wahrscheinlichen Quelle gilt es nun, die zweite mögliche Quelle zu untersuchen. Und hier wird man fündig. Wie wohl bekannt, strahlt bzw. leuchtet ein Licht (sprich: »flash of light«) bei der Bekehrung des Saulus (Apostelgeschichte 9,3). Dies ist unter anderem ein Moment der Einsicht; an dieser Stelle seines »Vortrags über Ethik« beschreibt Wittgenstein auch ein Moment der Einsicht. Die Übereinstimmung zwischen der in der Apostelgeschichte enthaltenen Bekehrung des Saulus und dem in dem »Vortrag über Ethik« enthaltenen Eingeständnis des Wittgenstein – das heißt, die Übereinstimmung zwischen Wortwahl und Bild – ist zu groß, um reinen Zufall zu sein. Diese Feststellung der Übereinstimmung führt jedoch zu einem weiteren Übersetzungsproblem. Angesichts des in der vorstehenden [[#cite_note-5|Anmerkung 5]] skizzierten Umstands und vorbehaltlich weiterer Forschung muss man eine Entscheidung treffen, ob die Phrase »flash of light« nach der einheitlichen (katholischen) oder nach der lutherischen Bibel zu übersetzen ist . Hier habe ich mich für die katholische Übersetzung entschieden, damit die obige Wortwahl »erschaffen«, die von Wittgenstein selbst stammt, und die hier getroffene Wortwahl »ein Licht umstrahlend« zunächst übereinstimmend, gleichsam aus einem Guss, sind. Nach der lutherischen Bibel wären diese Worte mit »ein Licht umleuchtend« zu übersetzen.
</ref> Das heißt: Ich sehe jetzt, dass diese unsinnigen Ausdrücke nicht deswegen unsinnig waren, weil ich noch nicht die korrekten Ausdrücke gefunden habe, sondern dass ihre Unsinnigkeit ihr Wesen war.


Denn durch sie wollte ich nur ''über die Welt hinausgehen''; das heißt: über die sinnvolle Sprache hinaus. Meine ganze Tendenz – und ich glaube, die Tendenz aller Menschen, die jemals versucht haben, über die Ethik oder Religion zu sprechen oder zu schreiben – bestand darin, gegen die Grenze der Sprache anzurennen. Dieses Anrennen gegen die Wände unseres Käfigs ist vollkommen, absolut hoffnungslos. Die Ethik, sofern sie einem Wunsch entspringt, etwas über den endgültigen Sinn des Lebens, das absolut Gute, das absolut Wertvolle zu sagen, kann keine Wissenschaft sein. Was sie sagt, führt zu keinen neuen Erkenntnissen in irgendeinem Sinne. Aber sie ist ein Nachweis einer Tendenz im menschlichen Geiste, vor der ich für mein Teil nur den Hut ziehen kann und über die ich mich nie im Leben lustig machen würde.
Denn durch sie wollte ich nur ''über die Welt hinausgehen''; das heißt: über die sinnvolle Sprache hinaus. Meine ganze Tendenz – und ich glaube, die Tendenz aller Menschen, die jemals versucht haben, über die Ethik oder Religion zu sprechen oder zu schreiben – bestand darin, gegen die Grenze der Sprache anzurennen. Dieses Anrennen gegen die Wände unseres Käfigs ist vollkommen, absolut hoffnungslos. Die Ethik, sofern sie einem Wunsch entspringt, etwas über den endgültigen Sinn des Lebens, das absolut Gute, das absolut Wertvolle zu sagen, kann keine Wissenschaft sein. Was sie sagt, führt zu keinen neuen Erkenntnissen in irgendeinem Sinne. Aber sie ist ein Nachweis einer Tendenz im menschlichen Geiste, vor der ich für mein Teil nur den Hut ziehen kann und über die ich mich nie im Leben lustig machen würde.