Vortrag über Ethik: Difference between revisions

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All diese Ausdrücke ''scheinen'' prima facie nur ''Gleichnisse'' zu sein. So scheinen wir das Wort ''richtig'' im ethischen Sinne zu verwenden, obwohl wir das Wort ''richtig'' nicht im trivialen Sinne meinen – es ist etwas ähnliches; und wenn wir sagen, »das ist ein guter Kerl«, obwohl das Wort ''gut'' hier nicht dieselbe Bedeutung hat wie im Satz, »das ist ein guter Fußballer«, so scheint eine gewisse Ähnlichkeit zu bestehen. Und wenn wir sagen, »dieser Mann führte ein wertvolles Leben«, meinen wir dies nicht in demselben Sinn, in dem wir von einem wertvollen Schmuck sprechen würden, auch wenn eine Art Analogie scheinbar besteht. In diesem Sinne werden alle religiösen Begriffe nun scheinbar als Gleichnisse oder Allegorien verwendet. Denn wenn wir von Gott reden und davon, dass er alles sieht, und wenn wir uns niederknieen und zu ihm beten, sind alle unserer Begriffe und Handlungen scheinbar Teile einer großen und umfangreichen Allegorie, die ihn als Mensch großer Macht darstellt, dessen Gnade wir für uns gewinnen möchten etc., etc. Aber diese Allegorie beschreibt auch das gerade von mir genannte Erlebnis. Denn das erste Erlebnis ist, glaube ich, genau das, was die Menschen damals mit den Worten, Gott erschuf die Welt, gemeint haben; und das Erlebnis der absoluten Sicherheit wurde dadurch beschrieben, dass wir uns in Gotteshand sicher fühlen.<ref>''Anm. d. Übers''.: Die Übersetzung des Verbs »to create« mit »erschaffen« ruht auf einem Gespräch zwischen Wittgenstein und Waismann, das wiedergegeben wurde, in Brian McGuinness, hrsg. ''Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis: Gespräche, aufgezeichnet von Friedrich Waismann''. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1967, Seite 118:<br />
All diese Ausdrücke ''scheinen'' prima facie nur ''Gleichnisse'' zu sein. So scheinen wir das Wort ''richtig'' im ethischen Sinne zu verwenden, obwohl wir das Wort ''richtig'' nicht im trivialen Sinne meinen – es ist etwas ähnliches; und wenn wir sagen, »das ist ein guter Kerl«, obwohl das Wort ''gut'' hier nicht dieselbe Bedeutung hat wie im Satz, »das ist ein guter Fußballer«, so scheint eine gewisse Ähnlichkeit zu bestehen. Und wenn wir sagen, »dieser Mann führte ein wertvolles Leben«, meinen wir dies nicht in demselben Sinn, in dem wir von einem wertvollen Schmuck sprechen würden, auch wenn eine Art Analogie scheinbar besteht. In diesem Sinne werden alle religiösen Begriffe nun scheinbar als Gleichnisse oder Allegorien verwendet. Denn wenn wir von Gott reden und davon, dass er alles sieht, und wenn wir uns niederknieen und zu ihm beten, sind alle unserer Begriffe und Handlungen scheinbar Teile einer großen und umfangreichen Allegorie, die ihn als Mensch großer Macht darstellt, dessen Gnade wir für uns gewinnen möchten etc., etc. Aber diese Allegorie beschreibt auch das gerade von mir genannte Erlebnis. Denn das erste Erlebnis ist, glaube ich, genau das, was die Menschen damals mit den Worten, Gott erschuf die Welt, gemeint haben; und das Erlebnis der absoluten Sicherheit wurde dadurch beschrieben, dass wir uns in Gotteshand sicher fühlen.<ref>''Anm. d. Übers''.: Die Übersetzung des Verbs »to create« mit »erschaffen« ruht auf einem Gespräch zwischen Wittgenstein und Waismann, das wiedergegeben wurde, in Brian McGuinness, hrsg. ''Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis: Gespräche, aufgezeichnet von Friedrich Waismann''. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1967, Seite 118:<br />
:''Wittgenstein: Daß hier ein Zusammenhang besteht, haben die Menschen gefühlt und das so ausgedrückt: Gottvater hat die Welt erschaffen, Gott-Sohn'' (''oder das Wort, das von Gott ausgeht'') ''ist das Ethische''. […]<br />
:''Wittgenstein: Daß hier ein Zusammenhang besteht, haben die Menschen gefühlt und das so ausgedrückt: Gottvater hat die Welt erschaffen, Gott-Sohn'' (''oder das Wort, das von Gott ausgeht'') ''ist das Ethische''. […]<br />
Dem ersten Anschein nach stimmt diese Wortwahl mit der Wortwahl, die heute in der Einheitsübersetzung der Bibel (sprich: in der katholischen Bibel) enthalten ist: »Im Anfang ''erschuf'' Gott […]« (Genesis 1,1) [''Hervorhebung diesseits'']. Dahingegen lautet die Wortwahl in der lutherischen Bibel so: »Am Anfang ''schuf'' Gott […]« [''Hervorhebung diesseits'']. Bei diesem Umstand häufen sich Fragen, unter anderem: Sollte Wittgensteins Wortwahl tatsächlich katholisch sein? Wie lautet diese Stelle in der damaligen katholischen Bibel? in Österreich? Hatte Waismann die Worte Wittgensteins in leicht abgeänderter Form aufgezeichnet? Während diese und weiteren Fragen interessante Problemstellungen für die künftige Forschung darstellen, sprengten jede Ausführung zu ihnen den Rahmen einer Anmerkung. Dieser Umstand ist nur deswegen im Rahmen dieser Übersetzung von Belang, weil diese Wortwahl auf eine weitere, nachstehende Stelle der Übersetzung wirkt. Siehe die nachstehende [[#cite_ref-6|''Anm. d. Übers''. Nr. 6]].</ref> Ein drittes Erlebnis derselben Art ist das des Schuldgefühls und dies wurde wiederum durch die Phrase beschrieben, dass Gott unser Verhalten missbilligt. Scheinbar verwenden wir also konstant Gleichnisse in der ethischen und religiösen Sprache. Aber ein Gleichnis muss ein Gleichnis für ''etwas'' sein. Und wenn ich eine Tatsache durch ein Gleichnis beschreiben kann, muss ich auch in der Lage sein, auf das Gleichnis zu verzichten und die Tatsachen ohne das Gleichnis zu beschreiben. Dahingegen gilt in unserem Fall: Sobald wir versuchen, auf das Gleichnis zu verzichten und die hinter ihm stehenden Tatsachen zu erklären, stellen wir fest, dass es keine solchen Tatsachen gibt. Und was also zunächst als Gleichnis aussah, scheint nun bloßer Unsinn zu sein.
Dem ersten Anschein nach stimmt diese Wortwahl mit der Wortwahl, die heute in der Einheitsübersetzung der Bibel (sprich: in der katholischen Bibel) enthalten ist: »Im Anfang ''erschuf'' Gott […]« (Genesis 1,1) [''Hervorhebung diesseits'']. Dahingegen lautet die Wortwahl in der lutherischen Bibel so: »Am Anfang ''schuf'' Gott […]« [''Hervorhebung diesseits'']. Bei diesem Umstand häufen sich Fragen, unter anderem: Sollte Wittgensteins Wortwahl tatsächlich katholisch sein? Wie lautet diese Stelle in der damaligen katholischen Bibel? in Österreich? Hatte Waismann die Worte Wittgensteins in leicht abgeänderter Form aufgezeichnet? Während diese und weiteren Fragen interessante Problemstellungen für die künftige Forschung darstellen, sprengten jede Ausführung zu ihnen den Rahmen einer Anmerkung. Dieser Umstand ist nur deswegen im Rahmen dieser Übersetzung von Belang, weil diese Wortwahl auf eine weitere, nachstehende Stelle der Übersetzung wirkt. Siehe die nachstehende [[#cite_note-6|''Anm. d. Übers''. Nr. 6]].</ref> Ein drittes Erlebnis derselben Art ist das des Schuldgefühls und dies wurde wiederum durch die Phrase beschrieben, dass Gott unser Verhalten missbilligt. Scheinbar verwenden wir also konstant Gleichnisse in der ethischen und religiösen Sprache. Aber ein Gleichnis muss ein Gleichnis für ''etwas'' sein. Und wenn ich eine Tatsache durch ein Gleichnis beschreiben kann, muss ich auch in der Lage sein, auf das Gleichnis zu verzichten und die Tatsachen ohne das Gleichnis zu beschreiben. Dahingegen gilt in unserem Fall: Sobald wir versuchen, auf das Gleichnis zu verzichten und die hinter ihm stehenden Tatsachen zu erklären, stellen wir fest, dass es keine solchen Tatsachen gibt. Und was also zunächst als Gleichnis aussah, scheint nun bloßer Unsinn zu sein.


Also für die, die sie erlebt haben – ich zum Beispiel – scheinen die drei von mir angeführten Erlebnisse (ich hätte auch weitere anführen können) in irgendeinem Sinne einen intrinsischen, absoluten Wert zu haben. Aber wenn ich sage, sie sind Erlebnisse, sind sie dann sicherlich Tatsachen; sie haben dann und dort stattgefunden, hatten eine bestimmte Dauer und lassen sich somit beschreiben. Und aufgrund meiner Argumentation vor einigen Minuten muss ich eingestehen, dass es Unsinn ist, diesen einen absoluten Wert zuzuschreiben. Und ich möchte mein Fazit noch akuter formulieren: »Es ist das Paradox, dass ein Erlebnis, eine Tatsache, scheinbar einen übernatürlichen Wert hat«. Es gibt nun eine Art und Weise, in der ich versucht wäre, auf dieses Paradox zu antworten.
Also für die, die sie erlebt haben – ich zum Beispiel – scheinen die drei von mir angeführten Erlebnisse (ich hätte auch weitere anführen können) in irgendeinem Sinne einen intrinsischen, absoluten Wert zu haben. Aber wenn ich sage, sie sind Erlebnisse, sind sie dann sicherlich Tatsachen; sie haben dann und dort stattgefunden, hatten eine bestimmte Dauer und lassen sich somit beschreiben. Und aufgrund meiner Argumentation vor einigen Minuten muss ich eingestehen, dass es Unsinn ist, diesen einen absoluten Wert zuzuschreiben. Und ich möchte mein Fazit noch akuter formulieren: »Es ist das Paradox, dass ein Erlebnis, eine Tatsache, scheinbar einen übernatürlichen Wert hat«. Es gibt nun eine Art und Weise, in der ich versucht wäre, auf dieses Paradox zu antworten.